Seit bald zwei Jahren ist Stephan Antwerpen (CSU) Erster Bürgermeister der Stadt Altötting. Sein Vorgänger Herbert Hofauer hatte den Wallfahrtsort ein Vierteljahrhundert lang geprägt. Im Interview zeigt Nachfolger Antwerpen, dass er durchaus seine eigenen Vorstellungen von der Entwicklung im „Herzen Bayerns“ hat.
Herr Antwerpen, Altötting lebt nicht nur mit der Wallfahrt, sondern auch von der Wallfahrt. Corona hat für einen massiven Einbruch der Pilgerzahlen gesorgt. Wie können Sie als Bürgermeister gegensteuern?
Antwerpen: Grundsätzlich ist das Bürgermeisteramt in Altötting auch verpflichtet, mit der Kirche und allen geistlichen Gemeinschaften eng zusammen zu arbeiten – weil Altötting ohne die Wallfahrt nicht Altötting wäre. Altötting hat seinen Bekanntheitsgrad der Wallfahrt zu verdanken, über Jahrhunderte hinweg. Wirtschaftlich allerdings lebt Altötting heute nicht mehr von der Wallfahrt. Bestimmte Sparten wie die Gastronomie oder die Devotionalienläden ja, aber vom gesamten Gewerbesteueraufkommen spielt das nur eine marginale Rolle. Doch natürlich prägt uns die Wallfahrt. Allein der Kapellplatz ist ein Juwel, für ähnliches muss man weit suchen. Meine Aufgabe als Bürgermeister ist es, das zu erhalten. Außerhalb des Kapellplatzes ist es allerdings nicht immer gelungen, Altötting attraktiv zu halten. Das möchte ich ändern.
Und die Wallfahrt?
Antwerpen: Was die Entwicklung der jüngsten zwei Jahre betrifft: Ich denke, Corona zeigt nicht nur im Bereich der Wallfahrt und der Kirche wie unter einem Brennglas das auf, was als Problem eigentlich schon vorhanden war – beispielsweise steigende Austrittszahlen und ein erschreckend nachlassender Kirchenbesuch. Schön war allerdings, dass die Altöttinger in der Corona-Zeit ihren Kapellplatz wiederentdeckt haben, wo sie sonst eher fern bleiben, wenn viele Fremde da sind – weil sie vielleicht den Trubel nicht wollen oder sich nicht unbedingt der Kirche verbunden fühlen. Hier kann man vielleicht etwas weiterdenken und den Kapellplatz als Kraftort sehen auch für Gläubige, die nicht zwangsläufig der katholischen Kirche nahestehen. Da müssen wir weltoffen sein, die Arme ausbreiten und es jedem ermöglichen, hierher zu kommen. Ich bin auch der Meinung, ein Gotteshaus sollte für alle da sein. Wer hier auch außerhalb von Kirchenstrukturen Kraft und Spiritualität spürt oder ein Kirchenkonzert genießt, dann kann es durchaus sein, dass er wieder zu seinem Glauben, zum Ursprung findet.
Die Wallfahrt hat sich in der Tat schon vor Corona verändert …
Antwerpen: Was wir in den vergangenen Jahren beobachten konnten, ist, dass die Zahl der Individualpilger deutlich gestiegen ist und speziell in den Corona-Jahren viele Kleingruppen kamen. Diese haben wahrscheinlich eine ganz andere Art der Wallfahrt erfahren als von den großen Pilgerzügen gewohnt: vielleicht findet man da noch mehr zu sich selbst und hat gleichzeitig die Gelegenheit, den Wallfahrtsort mit seinen Attraktionen wie Wallfahrtsmuseum, Diorama oder Panorama besser kennen zu lernen. Diese Individualpilger wollen wir auf jeden Fall unterstützen mit verschiedenen Angeboten und Aktionen des Wallfahrts- und Tourismusbüros der Stadt wie etwa digitale Reiseführer für Altötting und Umgebung oder dem „Altöttinger Pilgersackerl“ mit einer Karte zu Pilgerwegen und Impulskarten zum „Durchatmen“. Die Kooperation zwischen Stadt, Bürgermeister und der Kirche ist gemeinsam gefordert: Wir müssen einerseits die Pilger motivieren nach Altötting zu kommen – das macht natürlich in erster Linie die Muttergottes selbst –, aber das Drumherum muss auch passen. Wir brauchen Vielfalt in der Gastronomie, das ist kein Selbstläufer mehr, wo der Pilger automatisch dasselbe Lokal besucht, weil er da schon immer hingegangen ist. Das Preis-Leistungsverhältnis und die Gastfreundschaft müssen passen.
Dazu sollte das Personal auch etwas über Altötting wissen und an Gäste vermitteln können. Hier können wir als Stadt Verständnis wecken und der Gastronomie Angebote für Fortbildungen machen. Ebenso wollen wir in Zusammenarbeit mit dem Tourismusverband beispielsweise das Fahrradwegenetz weiter verbessern, um noch attraktiver für Radpilger zu werden.
„Der christliche Glaube gibt mir Kraft und einen Rhythmus.”
Glauben Sie, dass die großen Wallfahrten nach Corona zurückkommen?
Antwerpen: Die Probleme, die ich schon geschildert habe, werden nicht von heute auf morgen heilen, die großen Wallfahrten werden nicht einfach so zurückkommen. Wir müssen auf den Trend zum Individualpilgern eingehen.
Und wie ist es in dieser Beziehung um die von Ihnen geforderte Gemeinsamkeit zwischen Stadt und Kirche aktuell bestellt?
Antwerpen: Wir sind auf einem guten gemeinsamen Weg. Ich verstehe mich sehr gut mit dem Stadtpfarrer und Wallfahrtsrektor, Prälat Klaus Metzl und habe auch zu den Gemeinschaften wie den Kapuzinern, den Brüdern Samariter oder der Gemeinschaft Emmanuel einen guten Draht. Wir stehen in regelmäßigem Austausch. Ich wünsche mir aber auch ein gutes Miteinander unter den Gemeinschaften selbst.
Welche Rolle spielt der Shrines of Europe-Verbund (siehe unten) für die Stadt, für die Wallfahrt?
Antwerpen: Shrines of Europe hat große Chancen. Die Probleme sind ja in den jeweiligen Städten ähnlich. Wir haben hier regelmäßig einen wertvollen fachlichen Gedankenaustausch. Aber auch das gemeinsame Marketing spielt eine Rolle. Warum sollte ein Besucher von Mariazell nicht gerne auch einmal Altötting besuchen? Zurzeit planen wir zum Beispiel auch eine Wanderausstellung mit Bildern, die die Schönheit der Mitgliedsorte zeigt. Im Rahmen der Europatage der Musik vom ersten bis dritten Juli in Altötting möchten wir übrigens die Feier zum 25-jährigen Bestehen der Shrines of Europe nachholen.
Ganz persönlich: Welche Rolle spielt für Sie der Glaube im Leben und im Amt?
Antwerpen: Der christliche Glaube gibt mir Kraft und einen Rhythmus. Ich bin christlich erzogen worden, unser Kalender ist bestimmt worden von den Festtagen. Es ist ganz wesentlich, so geprägt zu sein und sein Leben danach zu gestalten. Das geht leider immer mehr verloren, wird immer weniger von einer auf die nächste Generation übertragen. Allein schon die Familie hat nicht mehr den Status, den sie vielleicht noch vor 50 Jahren hatte.
Abschließend: Waren Sie schon zum Antrittsbesuch beim Altöttinger Ehrenbürger, Papst em. Benedikt XVI.?
Antwerpen: Nachdem es 2020 leider nicht geklappt hatte, war ich letztes Jahr in Begleitung von Altbürgermeister Herbert Hofauer in Rom. Da wurde mir schon sehr deutlich, dass mein Vorgänger regelmäßig in Rom war und auch künftig noch sein wird (schmunzelt).
Interview: Wolfgang Terhörst
Shrines of Europe
„Shrines of Europe“ ist die 1996 gegründete Arbeitsgemeinschaft zwischen Europas wichtigsten Marienwallfahrtsorten Altötting, Tschenstochau, Lourdes, Loreto, Fátima, Mariazell (seit 2004) und Einsiedeln (seit 2017).