Soziales

Leben spüren – Ein kurzer Ausflug in eine andere Welt

Barbara Osdarty am 05.01.2022

2022 01 05 Miteinander klamm1 Foto: Dr. Barbara Osdarty
Die Vorderkaser-Klamm ist ein beeindruckendes Naturdenkmal.

Ganz winzig ist der Mensch inmitten dieser Naturgewalt. Die Vorderkaser-Klamm ist ein beeindruckendes Naturdenkmal.

Rei­sen ver­än­dern. Das ist kei­ne neue Erkennt­nis. Jeder, der gern ver­reist, hat das bestimmt schon erlebt. Die vie­len neu­en Ein­drü­cke, neue Men­schen, frem­de Kul­tu­ren – viel Stoff zum Nach­den­ken, oft ver­bun­den mit einem neu­en Blick auf das eige­ne Leben und das gewohn­te Zuhau­se. Fern­rei­sen sind natür­lich dazu prä­de­sti­niert, sol­che Emp­fin­dun­gen aus­zu­lö­sen, lan­ge Aus­lands­auf­ent­hal­te sowie­so. Denn man sieht so vie­le Din­ge, die man nicht gekannt, nie vor­her erlebt hat! Da ich sehr gern rei­se, fal­len mir sofort jede Men­ge Län­der ein, in denen es zu Ereig­nis­sen und Begeg­nun­gen kam, die in der einen oder ande­ren Wei­se prä­gend für mich waren. Lan­ge habe ich über­legt, wel­ches Erleb­nis ich für mei­ne ers­te Rei­se­ge­schich­te aus­wäh­len soll: Grie­chen­land? Island? Spa­ni­en? Isra­el? Vie­le Möglichkeiten…

Doch nicht immer muss man weit in die Fer­ne schwei­fen, um Momen­te zu erle­ben, die einen blei­ben­den Ein­druck hin­ter­las­sen. Ein sol­cher Moment war für mich der Besuch der Vor­der­ka­ser-Klamm im Salz­bur­ger Saal­ach­tal. Etwa zwei­ein­halb Stun­den fährt man von mir daheim dort­hin – eher ein Aus­flug als eine Rei­se also. Und doch ein Besuch in einer ande­ren Welt! Ich muss dazu­sa­gen: Ich lie­be Klam­men und Schluch­ten. Vor allem sol­che, durch die ein Fluss fließt. Die engen Wege, die teils ver­win­kel­ten Ste­ge, die beson­de­ren Fels­for­ma­tio­nen – all das hat mir schon immer gefal­len, weit mehr eigent­lich, als hohe Gip­fel zu erklim­men und den Blick über majes­tä­ti­sche Pan­ora­men schwei­fen zu las­sen. In eine Klamm hin­ab­zu­stei­gen, hat für mich etwas Ursprüng­li­che­res, Urtüm­li­che­res. Ein biss­chen wie eine Rei­se in den Bauch der Erde.

Die Natur gibt Antwort auf viele Fragen des Lebens

2022 01 05 Miteinander klamm2 Dr. Barbara Osdarty
Die Vorderkaser-Klamm ist ein beeindruckendes Naturdenkmal.

Doch zurück zur Vor­der­ka­ser-Klamm. Es ist nur eine klei­ne Wan­de­rung, aber eine, die sich aus mei­ner Sicht mit kaum einer ande­ren ver­glei­chen lässt. Der Auf­takt“ ist ver­gleichs­wei­se unspek­ta­ku­lär: Durch eine schö­ne Fluss­land­schaft führt der Weg näher zum Berg; durch dicht bewal­de­tes Gebiet geht es in Ser­pen­ti­nen immer höher hin­auf, und wer genau hin­schaut, kann zwi­schen Gras und Blät­tern manch zau­ber­haf­te bota­ni­sche Sel­ten­heit ent­de­cken – ein Lehr­pfad macht auf die Beson­der­hei­ten auf­merk­sam. Ist der kur­ze Anstieg bewäl­tigt, geht es in die Klamm hinein. 

Wir haben den Ort 2020, kurz nach dem ers­ten Coro­na-Lock­down besucht. Viel­leicht auch des­we­gen war außer uns nur eine Fami­lie in der Klamm unter­wegs. Eine Ein­bahn-Rege­lung sorg­te zudem dafür, dass wir kei­nen wei­te­ren Men­schen begeg­ne­ten. Ich weiß nicht, wie oft es mög­lich ist, den Ort in sol­cher Ein­sam­keit zu erle­ben. Doch ich glau­be, nur so erschließt sich sei­ne Außer­ge­wöhn­lich­keit in ihrem gan­zen Umfang.

Eine stei­le Holz­trep­pe führt durch einen engen Durch­lass – die wuch­ti­gen, meter­hoch auf­ra­gen­den Fels­wän­de zur Rech­ten und Lin­ken sind zum Grei­fen nah. Ob man den Stair­way to hea­ven“ oder doch eher das Tor zur Höl­le gefun­den hat – an die­ser Stel­le des Weges ist das unmög­lich zu ergründen.

Es ist ein wenig beklem­mend, sich in den Spalt hin­ein­zu­wa­gen – die Geräu­sche des Wal­des ver­stum­men, das Tosen des Was­sers, das direkt unter den Füßen dahin­braust, über­tönt alles ande­re, vor allem dann, wenn es, wie bei unse­rem Besuch, zuvor meh­re­re Tage stark gereg­net hat. Rich­tet man den Blick nach oben, bleibt nur ein dün­ner Licht­strei­fen, der die kan­ti­ge Dun­kel­heit der Fels­wän­de durch­bricht. So genau mag man auch gar nicht hin­schau­en, denn zwi­schen den Fels­wän­den haben sich mas­si­ve Stein­bro­cken bei ihrem Sturz Rich­tung Erde ver­fan­gen – hun­der­te Kilos, die über den Köp­fen schwe­ben. Bis zum Boden ver­liert das Licht sei­ne Kraft, dämm­ri­ges Grün umringt den Wan­de­rer. Und plötz­lich sind sie da, die­se Fra­gen, woher wir kom­men und wohin wir gehen. Fra­gen, auf die es kei­ne Ant­wort gibt.

Oder doch? Denn die Schlucht selbst, sie gibt eine Ant­wort: Egal wie steil, eng, rut­schig, beängs­ti­gend der Weg auch sein mag – am Ende führt er hin­aus, ins Licht.

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