
Es war nicht leicht, aus Jerusalem nach Altötting zu kommen aufgrund der schwierigen Lage im Heiligen Land. Abt Nikodemus Schnabel von der Dormitio-Abtei auf dem Zionsberg hat die Strapazen trotzdem gerne auf sich genommen – er war Ehrengast bei der Jubiläumsfeier des Bayerischen Pilgerbüros. Im Gespräch verrät er seine Sorgen, aber auch, warum er sich so über die Wahl von Papst Leo XIV. freut.
Abt Nikodemus, die Lage im Heiligen Land ist – wieder einmal – dramatisch. Was bedeutet das für die Dormitio-Abtei selbst und wie blicken Sie vom Zionsberg umgekehrt auf das Geschehen in Israel, in Gaza, im Westjordanland und im Libanon?
Abt Nikodemus: Seit dem 7. Oktober 2023 (dem Angriff der Hamas auf Israel, Anm. d. Red.) stehen wir unter enormer Herausforderung – und zwar in zweifacher Hinsicht: Die eine nehmen wir sehr gerne an, das ist die pastoral-seelsorgliche. Unsere Klöster in Jerusalem und in Tabgha am See Genezareth sind Hoffnungsinseln in einem Ozean von Leid geworden, für Juden, Christen und Muslime gleichermaßen. Wir haben sehr viele Seelsorge-Gespräche, sehr viele Konzerte und Ausstellungen. Wir sagen auch immer wieder zu Menschen, kommt zu uns ins Kloster und bleibt eine Weile, wenn es euch guttut. Die zweite Herausforderung ist enorm und rein finanzieller Natur. Wir leben von den Pilgern und auch Touristen – die sind weggebrochen in einer Größenordnung wie bei Corona. Ich kämpfe um das Überleben meiner beiden Klöster. Und das nicht nur für uns Mönche, sondern auch für die Angestellten, ich möchte niemanden entlassen. Uns sind 24 Mitarbeiter mit insgesamt 29 Kindern im schulpflichtigen Alter anvertraut – Christen aus Bethlehem. Zusammenfassend: Geistlich geht es uns gut, weil wir noch einmal neu „Ja“ gesagt haben zu diesen beiden Orten. Wir sind neu gefordert als Mönche, als Beter, als Seelsorger. Finanziell ist es schwierig.
Haben Sie trotzdem Hoffnung, dass es irgendwann ein friedlicheres Miteinander geben kann im Heiligen Land?
Abt Nikodemus: Ja, ich habe absolut Hoffnung! Weil ich von beiden Seiten wunderbare Menschen kenne, gerade gläubige Menschen. Die Menschen, die mir im Moment am meisten Trost geben sind tiefgläubige Juden, tiefgläubige Muslime, tiefgläubige Christen, die aus dem Glauben heraus sagen „ein Zusammenleben ist möglich“. Der andere, sehr kostbare Gedanke, den wir teilen ist: JEDER Mensch ist Ebenbild Gottes, hat eine unveräußerliche Menschenwürde. Diese religiösen Menschen sind Geschwister im Geiste. Religion ist eben auch eine Quelle, die Zukunft ermöglicht. Das Problem sind die „Hooligans der Religion“, wie ich sie gerne nenne. Das sind die, die Religion missbrauchen – die gibt es auf beiden Seiten und die sind auf beiden Seiten leider auch in politischer Verantwortung.
„Unsere Klöster in Jerusalem und in Tabgha am See Genezareth sind Hoffnungsinseln in einem Ozean von Leid geworden, für Juden, Christen und Muslime gleichermaßen.”
Kürzlich haben Sie die Christen in aller Welt, auch in Deutschland, zu mehr Solidarität mit ihren Glaubensbrüdern im Heiligen Land aufgerufen. Was brauchen diese zurzeit am meisten und was erhoffen bzw. erwarten Sie von den Christen hierzulande?
Abt Nikodemus: Von den Christen kommt relativ wenig Solidarität. Da ist die Solidarität von Juden und Muslimen weltweit mit ihren Glaubensbrüdern deutlich stärker. Es ist auch nicht so leicht: Wir sind nicht einfach auf der Seite Israels oder Palästinas, wir sind auf beiden Seiten. Unsere Haltung als Kirche ist: Wir sind „pro Mensch“! Ich würde mir einfach wünschen, dass die Christen wieder Mut haben zur Pilgerschaft, dass die Christen einfach auch hören, was die Christen in der Geburtsheimat Jesu zu sagen haben. Und natürlich wäre auch finanzielle Solidarität schön.
Was können Sie selbst, als Mönche vor Ort leisten für die oft verzweifelten Menschen?
Abt Nikodemus: Erst einmal: Wir sind da! Das ist eine ganz große Sache, ein Bekenntnis: Wir sind keine Schönwetter-Mönche, wir sind da und bleiben da. Alle anderen Ausländer haben ihre Koffer gepackt und panikartig das Land verlassen. Wir sind dageblieben, freiwillig, und mit offenen Türen. Das wurde enorm positiv wahrgenommen. Wir sind da im Gebet, wir sind da als Seelsorger – und dann haben wir noch zwei „Sonderberufungen“ entdeckt: Das eine ist Jerusalem als Kulturort. Denn nach meiner Überzeugung kommt der Mensch am stärksten mit seiner Menschenwürde in Kontakt, wenn er schöpferisch kreativ sein darf. Wir wurden DER Ort für Künstler, DER Konzertort in Jerusalem. Wir hatten Tanztheater bei uns, wir hatten Ausstellungen bei uns. Wir erleben gerade, Menschen machen das Leben anderer Menschen zur Hölle wegen Menschengemachtem: wo eine Landesgrenze verläuft, wo welche Flagge weht. Was momentan unter die Räder kommt ist das, was uns Menschen entzogen ist, was wirklich göttlich ist – dass der Mensch in seiner Würde unantastbar ist, die Heiligkeit jedes Menschenlebens. Wir erleben eine gegenseitige Dehumanisierung und Dämonisierung. Hier wirken wir entgegen und betonen gerade jetzt die Menschenwürde. Natürlich unterstützen wir auch Menschen in Not, trotz unserer eigenen finanziellen Schwierigkeiten schicken wir niemanden weg, der hungrig vor unserer Tür steht. Und im Gegenzug zum Kulturort Dormitio bieten wir in Tabgha einen Rückzugsort für Menschen, die unter dem Krieg leiden, um einfach einmal zur Ruhe zu kommen. Die Menschen hungern nach Orten, wo sie nicht mit Parolen gefüttert werden, sondern einfach Mensch sein dürfen.
„Ich habe richtig Freude mit Papst Leo und ich fühle mich – kleine Fußnote – auch persönlich verstanden: Ich komme aus einem Kriegsgebiet und die ersten Worte des Papstes waren ein Friedensgruß.”
Zuletzt, aus aktuellem Anlass: Wie bewerten Sie die Wahl des Ordensbruders Robert Prevost zum neuen Papst Leo XIV. und was erhoffen Sie sich von seinem Pontifikat?
Abt Nikodemus: Ich bin bekennend begeistert! Ich war natürlich als Ordensmann begeistert, dass ein bekennender Ordensmann, ein Augustiner zum Papst gewählt wurde. Robert Prevost hat damit eine sehr klare Spiritualität, aus der er kommt. Außerdem kann ich als Ordensmann – das kenne ich selbst vom Zusammenleben mit meinen Mitbrüdern – nicht eigenbrötlerisch sein oder skurril werden. Da würden mir meine Mitbrüder sofort eine Rückmeldung geben – also, man bleibt da sehr geerdet. Als ehemaliger Generaloberer seines Ordens kennt der neue Papst die ganze Welt, unterschiedlichste Kulturen, hat einen ganz weiten Blick. Was mich auch begeistert: Robert Prevost ist angstfrei. Und er hat Lust auf Zukunft – Stichwort digitale Revolution und künstliche Intelligenz: In einer seiner ersten Reden hat er gesagt, das wir eine neue Form einer theologischen Antwort auf diese Herausforderung brauchen. Ein Papst, der mit einer Vorwärtsdynamik sagt, das gehen wir jetzt an, macht große Freude. Außerdem ist Leo XIV. natürlich Kosmopolit und polyglott. Wir brauchen jemanden mit einem ganz weiten Horizont. Und ich traue dem neuen Papst zu, dass er den globalen Süden mit dem globalen Norden vereinen kann. Als US-Amerikaner hat Robert Prevost auch das Potenzial, politisch und kirchenpolitisch eigene Akzente zu setzen. Einen US-Staatsbürger, einen gebürtigen Chicagoer, den kann man nicht einfach so abtun. Was mich auch total fasziniert ist, wie Leo XIV. von Anfang an die Welt umarmt, Brücken baut zwischen sogenannten Progressiven und Konservativen. So muss Papst. Ich habe richtig Freude mit Papst Leo und ich fühle mich – kleine Fußnote – auch persönlich verstanden: Ich komme aus einem Kriegsgebiet und die ersten Worte des Papstes waren ein Friedensgruß.

Wolfgang Terhörst
Redaktionsleiter