Gehöre ich auch schon dazu? Ab wann ist man ein „alter weißer Mann“? Und kann man vielleicht verhindern, einer zu werden? Das sind so Fragen, die einem Mann, der dem 60. Geburtstag näher ist als dem 50., unweigerlich durch den Kopf gehen, seit sich dieser ideologische Kampfbegriff in der Gesellschaft breitgemacht hat. So richtig wurde ja nie ganz genau geklärt, was der „alte weiße Mann“ denn nun genau ist. Nur soviel scheint klar: Er ist fortgeschrittenen Alters, weißer Hautfarbe, hat einen guten Posten und gewisse Privilegien und will, dass das so bleibt, so lange es irgendwie geht. Warum Feministinnen den „alten weißen Mann“ gleich zum absoluten Feindbild einer offenen und toleranten Gesellschaft erkoren haben – ich habe es (noch) nicht ganz verstanden.
Und doch stelle ich immer häufiger fest: Es gibt ihn tatsächlich. Aber es ist eher der zornige weiße Mann, der das Zusammenleben in diesem Land schwierig macht. Dass mit dem Alter die vielen Veränderungen, die in gefühlt immer kürzeren Zeitabständen über uns hereinbrechen, auch Sorgen bereiten, ist völlig nachvollziehbar. Auch das Nervenkostüm wird mit jedem grauen Haar dünner, im Gegenzug wächst die Lust am Granteln, wie ich an mir selber feststellen muss. Das ist, denke ich, Teil einer natürlichen Entwicklung. Dafür haben die reifen Jahre ja auch ein Geschenk parat: Besonnenheit, die aus der Erfahrung wächst. Wir müssen nicht mehr jedem Trend hinterherhecheln, wissen, dass ein wenig Disziplin kein Teufelszeug ist und genießen es, gelegentlich zumindest mit einem Fuß aus dem alltäglichen Hamsterrad auszusteigen. Im besten Fall erkennen wir spätestens im Lebensherbst, worauf es wirklich ankommt, wie wir unser Leben und das der anderen reicher machen.
Doch ich fürchte, dem zornigen Mann bleibt diese Gnade versagt. Irgendwann in einer Lebensphase steckengeblieben, igelt er sich ein in falscher Nostalgie, grenzt alles aus, was anders ist als er selbst und verteufelt alles Neue. Auffallend oft sind es Männer, die einst Machtpositionen besetzten, die überhaupt nicht damit umgehen können, wenn diese Macht schwindet. Sie verfassen Streitschriften, kanzeln andere ab und beschweren sich lautstark über beinahe alles, was nicht in ihr Weltbild passt. Nur mit Lösungen gehen sie eher sparsam um. Und blind vor Wut merken sie gar nicht, aus welch privilegierter, gut situierter Warte heraus sie ihr Füllhorn der Schmähungen ausgießen.
Vielleicht sollten wir uns beim Altwerden dann doch eher an echten Vorbildern orientieren. Martin Buber war gewiss so eines. Von ihm stammt der Satz: „Alt sein ist ja ein herrliches Ding, wenn man nicht verlernt hat, was anfangen heißt.“ Große Worte eines weißen, aber vor allem weisen Mannes.

Wolfgang Krinninger
Chefredakteur