Soziales

Ohne Aufbruch keine Einsicht

Wolfgang Krinninger am 10.09.2020

1 ausgrissn Monument Valley Bildquelle Ausgrissn MajesticSunseitn / Christian Kastl
Die Wittmann-Brüder Thomas und Julian im Monument Valley | Ausgrissn! In der Lederhosn nach Las Vegas 2020 | Film

Die Burschen trauen sich was! Das war mein erster Gedanke, als ich vor einigen Tagen im Kino „Ausgrissn! In der Lederhosn nach Las Vegas“ ansah. Der Inhalt: Die Brüder Julian und Thomas Wittmann wollen raus aus der Provinz. Sie lassen ihre oberbayerische Dorfheimat hinter sich, um die große Freiheit in der Ferne zu suchen. Mit zwei 50 Jahre alten Zündapp-Mopeds brechen sie auf: 12.000 Kilometer von Bayern nach Antwerpen, über den großen Teich nach New York und weiter durch das Land der unbegrenzten Möglichkeiten bis nach Las Vegas. Sie lernen skurrile Menschen kennen, frösteln in Kälte und Regen, haben unzählige Pannen, erfahren immer wieder große Gastfreundschaft und kommen nach drei Monaten tatsächlich in Las Vegas an. Eine dreiköpfige Filmcrew hat die Reise in ein farbenprächtiges Roadmovie verwandelt. Wobei die dunklen, die verlorenen Seiten der Vereinigten Staaten nicht ausgeblendet werden.

Jugend­er­in­ne­run­gen wur­den wach.Die USA waren auch für uns jun­ge Moped­ro­cker in den 80er Jah­ren Sehn­suchts­land. Wir waren ganz sicher: Wo alles so viel wei­ter, grö­ßer, höher ist als bei uns, wo die Stra­ßen nicht B12 oder A92, son­dern High­way No. 1 oder Rou­te 66 hei­ßen, dort wo die Frei­heit wohnt, da muss das Para­dies sein. Dass die Ver­ei­nig­ten Staa­ten nie ganz das waren, was wir uns erträum­ten und es heu­te erst recht nicht mehr sind, steht auf einem ande­ren Blatt.

Unse­re Moped-Fluch­ten aus dem All­tag waren über­schau­ba­rer: Statt 12.000 Kilo­me­ter fuh­ren wir 1200, statt drei Mona­ten waren wir zwei Wochen in Deutsch­land und dem benach­bar­ten Aus­land unter­wegs. Und wir hat­ten nie ein Kame­ra­team dabei. Trotz­dem sind die­se Tou­ren tief im Fest­spei­cher der Erin­ne­rung ein­ge­brannt: Land­schaf­ten, Men­schen, Bege­ben­hei­ten, Begeg­nun­gen und vor allem auch Pan­nen an unse­ren alten Motor­rä­dern: Ein ver­lo­re­ner Aus­puff in Bruns­büt­tel, eine ver­brann­te Kupp­lung mit­ten in Frank­reich, Kol­ben­klem­mer, Zün­dungs- und Ver­ga­ser­de­fek­te, Motor­schä­den. Wir wur­den zu Meis­tern der Impro­vi­sa­ti­on und sind irgend­wie doch immer heim­ge­kom­men. Weil zur rech­ten Zeit ein hilfs­be­rei­ter Mensch da war, weil plötz­lich jemand eine Idee hat­te, weil von irgend­wo­her ein Licht­lein kam – es hat sich am Ende immer alles zum Guten gewendet.

Im Lauf der Jah­re durf­te ich als Jour­na­list auch ande­re Arten zu rei­sen ken­nen­ler­nen. Per­fekt geplan­te, gut abge­si­cher­te Tou­ren in fer­ne Län­der, wo man eine Sehens­wür­dig­keit nach der ande­ren auf dem Sil­ber­ta­blett ser­viert bekommt und sich um nichts küm­mern muss. Auch das hat was. Aber im Erin­ne­rungs­spei­cher bleibt nicht annä­hernd so viel hängen.

Eine Erfah­rung machen frei­lich wohl alle Rei­sen­den: Wer auf­bricht, lernt auch die Hei­mat wie­der mit ande­ren Augen zu sehen und zu schät­zen. Auch die Leder­ho­sen-Bur­schen aus Aus­grissn“ waren sich am Ende gar nicht mehr so sicher, ob nicht doch selbst im Dorf in Bay­ern die Frei­heit zu Hau­se sein kann. Tho­mas Witt­mann fasst das im Film so zusam­men: Man sieht echt so wahn­sin­nig vui neie Sachen, wenn man unter­wegs is. Aber wos ma scho a sieht, is, wia schee dass die oiden Sachen dahoam sei kinnan.“ Allein für die­se Ein­sicht hät­te sich das Aben­teu­er schon gelohnt.

Wolfgang krinninger

Wolfgang Krinninger

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Es war ent­span­nend, heu­te nicht ent­schei­den zu müssen.”

Bischof Georg Bätzing | Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz nach der Regionalkonferenz des Synodalen Wegs.

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