
Die Zeit der Sedisvakanz, in der der Stuhl Petri für kurze Zeit unbesetzt ist, ist auch in Altötting sichtbar, wie ein Blick in die St. Anna-Basilika zeigt.
Kennen Sie auch das Gefühl, alles über ein Haus zu wissen, das ihnen seit langem vertraut ist? Kann es sein, dass die Basilika St. Anna in Altötting so ein Haus ist, auf das dieses Empfinden zutrifft? Ist Ihnen bewusst, dass mit dem Tod von Papst Franziskus in der riesigen Wallfahrtskirche mitten im Herzen Bayerns sichtbar eine besondere Zeit angebrochen ist, die nach Rom und auf den Stuhl Petri verweist? Wenn Sie das alles bejahen können, dann legen sie getrost die nächsten Zeilen zur Seite. Wenn ihnen aber jetzt Zweifel kommen, welche Zusammenhänge zwischen dem neobarocken Prachtbau, dem Petersdom und der Grablege des verstorbenen Bischofs von Rom, der Basilika Santa Maria Maggiore bestehen, dann lesen Sie einfach weiter.
Sie alle tragen den vom Papst verliehenen Ehrentitel „Basilica minor“. Sie sind also „kleine“, aber religiös bedeutende Kirchenbauten, die in einer besonderen Verbindung mit dem Bischof von Rom stehen, als Zentren des katholischen Glaubens mit enormer Strahlkraft gelten und in denen, gemäß der „Acta Domus ecclesiae de titulo basilicae minoris“ vom 9. November 1989 „… die Insignien des Papstes (…) anzubringen, die petrinisch-päpstlichen Feste feierlich zu begehen“ und die „religiöse Bildungsarbeit die römischen Verlautbarungen“ zu studieren und zu verbreiten ist.
Eine Gedenktafel in der St. Anna-Basilika erinnert daran, dass Papst Pius X. das Gotteshaus zur „Basilica minor“ erhoben hat. Papst Pius X. ist auf dem Hochaltarbild der Basilika verewigt – links unter der Darstellung von Mutter Anna mit Maria.
Fotos: Roswitha Dorfner
Drei dieser besonderen Basilicae minores – 78 gibt es davon in Deutschland – gehören zum Bistum Passau: Die Basilika St. Mauritius in Niederaltaich, die Klosterkirche St. Margaretha in Altenmarkt-Osterhofen und die Altöttinger Wallfahrtsbasilika St. Anna, direkt neben dem Kapuzinerkloster St. Konrad. Sie alle legen wie ihre kirchlichen Geschwisterbauten seit dem 21. April sichtbar Zeugnis ab für die Sedisvakanz, für die papstlose Zeit.
Ihnen stehen offiziell die vier großen Basiliken in Rom gegenüber, theologisch folgerichtig als Basilicae maiores betitelt: die Erzbasilika San Giovanni in Laterano, die ranghöchste Kirche der Katholiken, der Petersdom, San Paolo fuori le Mura, die Grabkirche des heiligen Paulus, und Santa Maria Maggiore, wo am 26. April Papst Franziskus auf seinen eigenen Wunsch hin seine letzte Ruhe fand.

Unmittelbar nach Bekanntgabe des Todes von Papst Franziskus begann Kapuzinerbruder Vinzenz Müller, seit vielen Jahrzehnten Mesner der Altöttinger Basilika, Vorkehrungen zu treffen, die seit der Erhebung der Altöttinger St. Annakirche in den Rang einer päpstlichen Basilika 1913 bereits zehnmal ausgeführt werden mussten. „Als erstes nehme ich das päpstliche Wappen über dem Haupteingang der Basilika aus seiner Fassung. Das passiert ziemlich bald nach dem ich vom Tod des Papstes erfahre“, sagt Bruder Vinzenz. Auf einer Leiter steigt er hoch, um das zinnerne Schild aus dem von Engeln flankierten Bronzerahmen zu lösen, der mit den Papstinsignien Tiara, Petrusschlüssel und Pallium verziert ist. „Am schwierigsten ist es, die Zinnplatte durch das Vogelschutznetz zu bringen, damit es keinen Schaden nimmt“. Die letzten päpstlichen Wappenschilder waren nach ihrer Abnahme vertrauensvoll in die Hände von Peter Dengler übergeben worden, der sie mit Akkuratesse und hoher fachlicher Expertise geschaffen hatte, wie Bruder Marinus Parzinger vor den alten Papstwappen im Inneren der Kirche stehend erzählt.
Die Brüder halten inne. Sie erinnern sich an die liebenswürdige Art des begabten Kirchenmalers, eines gebürtigen Altöttingers, an die enge Zusammenarbeit und loben die hochwertige Qualität seiner Arbeiten. Dengler ist mittlerweile verstorben und so wird in diesem Jahr ein neuer Fachmann das Wappen von Papst Franziskus reinigen, ausbessern und farblich auffrischen. „Sobald der neue Papst bekannt gegeben ist, hängen wir das Wappen seines Vorgängers zu den anderen, die im Inneren der Basilika über dem Hauptportal im Halbkreis hängen“, sagt Bruder Vinzenz. „Wir geben dann sofort das neue Wappen in Auftrag, dann montiere ich es wieder draußen in die Fassung.“ Ende Mai, so hoffen die beiden Kapuziner, wird es so weit sein. Sie erinnern sich lebhaft an Unsicherheiten bei vergangenen Päpsten, was die Blasonierung anbelangt. Eine kleine Diskussion über die papabile und was jetzt für die Weltkirche und für die Gläubigen wichtig wäre, entspinnt sich angesichts der Rückschau, der Name eines Kardinals aus dem Veneto fällt.
Papstbasilika St. Anna – Ein Blick auf die Papstwappen in der Altöttinger Basilica minor
Fotos: Roswitha Dorfner
Auch im Inneren der riesigen Wallfahrtskirche ist der verwaiste Sitz des Nachfolgers Petri sofort erkennbar. Vor dem Altar rechts, auf der Epistelseite, steht der Padiglione, ein weiß-gelb gestreifter, kegelförmiger Seidenschirm mit goldenen Quasten, Sinnbild der Schutzherrschaft des Papstes über das Altöttinger Gotteshaus. Seit 113 Jahren kündet er von der Anwesenheit des Heiligen Vaters, sein hohes Alter ist ihm anzusehen. Momentan ist das Conopeum, wie der Basilikaschirm auch heißt, leicht aufgespannt. „In manchen Kirchen wird der Schirm ganz geöffnet, andere schließen ihn völlig. Die Überlieferungen, was man zu tun hat, gehen hier auseinander. Die Farben der Stoffbahnen sind auch recht unterschiedlich, das variiert von Kirche zu Kirche. Die meisten sind rot-gelb gestreift, selten sind sie ganz in Rot gehalten wie in Rom, manche haben gar keinen“, sagt Bruder Vinzenz. Das Modell im Altöttinger Altarraum steht entspricht dem Gelb-Weiß, das Papst Pius VII. für die vatikanischen Farben 1808 statt des traditionellen Rots festgelegt hatte. Eine der ältesten Darstellungen des päpstlichen Schutzschirmes und seiner zeremoniellen Verwendung stammt aus dem Mittelalter und ist in Rom, in der Basilika Santi Quattro Coronati im Oratorium des Hl. Sylvester zu sehen. Kaiser Konstantin reicht Papst Silvester I. ein Phrygium, eine Vorform der päpstlichen Tiara, dabei beschirmt von einem rot-gold gestreiften, aufgespannten Padiglione.
Die Spuren der engen Beziehung zwischen dem Papst in Rom und der Basilika in Altötting sind vielfältig. Das meiste davon ist offensichtlich wie die marmorne Gedenktafel anlässlich der Erhebung zur Basilica minor, das Altarbild oder die goldene geschnitzte Tiara über dem roten Baldachin der Sedilien. Vor den Augen der Öffentlichkeit hingegen verborgen, hängt in der Sakristei in einem Glaskästchen ein weiterer Hinweis auf das wechselseitige Verhältnis zwischen Rom und Altötting: Papst Benedikt XV., der sogenannte Friedenspapst, hat seinen seidenen Saturno, den legendären roten breitkrempigen Papsthut, der Basilika vermacht.
Papstbasilika St. Anna Altötting – Blick auf die Besonderheiten
Symbolisch bedeutsam für eine Basilica minor ist allerdings das Tintinnabulum, ein liturgisches Glöckchen, das leicht zu übersehen, links vor dem Hochaltar, auf der Evangelienseite, steht. Ursprünglich sollte sein Klang das Allerheiligste bei Umgängen ankündigen, seine historischen Wurzeln liegen in magico-religiösen Vorstellungen der Antike, die mittels schrillem Lärms Übel und Gefahren abwehren wollten. In der St. Annabasilika hängt auf einer Tragstange in einem rot-goldenen Holzrahmen eine mittelgroße Glocke, die mit einem ledernen Riemen gezogen werden kann. Ihr Klang ist überraschend kräftig und unangenehm schrill, sie sei deshalb nicht mehr im Einsatz, sie halle einfach in der großen Kirche zu sehr nach, erklärt Bruder Vinzenz. Heute sei die Kultglocke für kleine päpstliche Basiliken symbolisch nicht mehr verbindlich, das Altöttinger Tintinnabulum birgt allerdings eine Besonderheit und weist auf die enge Verbindung der Kapuziner mit dieser Kirche hin. „Das kleine Medaillon über der Glocke zeigt zwei Hände, die sich über dem Handgelenk kreuzen. Sie tragen beide Wundmale. Das ist ungewöhnlich, denn hier sieht man die Hand von Christus, die sich mit der Hand des heiligen Franziskus verbindet“, sagt Bruder Marinus während er die Glocke zum Klingen bringt und überraschend dabei feststellen muss, wie fragil das Medaillon auf dem Glockenrahmen sitzt. Das letzte Insignium einer Basilica minor bleibt der Guardian des St. Konradklosters allerdings schuldig, das Tragen einer schwarzseidenen Mozzetta mit rotem Dekor. „Die gibt es in Altötting nicht, damit haben wir Kapuziner es nicht“, schmunzelt er.
Text: Maximiliane Heigl-Saalfrank