Weltkirche

Verbessere die Welt!

Werner Friedenberger am 14.01.2021

S13 Jerusalem net Werner Friedenberger
An diesem Ort haben von den Nazis ermordete Menschen ein Gesicht bekommen: Yad Vashem in Jerusalem ist die bedeutendste Gedenkstätte, die an die nationalsozialistische Judenvernichtung erinnert und sie wissenschaftlich dokumentiert.

Der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster, antwortet im Bistumsblatt-Gespräch auf die Frage, ob er Hoffnung hat, dass hierzulande eines Tages Synagogen nicht mehr von der Polizei bewacht werden müssen, mit einem Zitat von David Ben Gurion: „Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist.“

Du Christ!“ Es wäre kaum denk­bar, dass auf Schul­hö­fen in Deutsch­land jemand mit die­sen Wor­ten belei­digt wür­de. Dage­gen ist Du Jude!“ zu einem gän­gi­gen Schimpf­wort bezie­hungs­wei­se zu einer Anma­che gewor­den. Wo sehen Sie hier den Grund?
Prä­si­dent Schus­ter: Sehr häu­fig wer­den Min­der­hei­ten als schwä­cher oder fremd wahr­ge­nom­men und daher dis­kri­mi­niert. Aus die­ser Hal­tung ent­ste­hen dann auch sol­che Schimpf­wör­ter, die ja völ­lig los­ge­löst von der tat­säch­li­chen Her­kunft des Men­schen, der beschimpft wird, ver­wen­det wer­den. Und Vor­ur­tei­le gegen­über Juden sind lei­der tief in vie­len Köp­fen verankert.

Anti­se­mi­tis­mus ist ein umfas­sen­des Phä­no­men der Aus­gren­zung, das, so sagen es Stu­di­en, unab­hän­gig von Alter, Reli­gi­on, Her­kunft, Bil­dungs­ab­schluss, Geschlecht oder Haut­far­be auf­tritt. Anti­se­mi­tis­mus scheint wie ein Virus, das mutiert. Wo muss Ihrer Mei­nung nach der Hebel ange­setzt wer­den, um die­se Seu­che auszurotten?
Prä­si­dent Schus­ter:
Der Ver­gleich mit einem Virus ist der­zeit nahe­lie­gend, aber wir müs­sen klar fest­hal­ten: Anti­se­mi­tis­mus ist eine Ein­stel­lung, die vie­le Men­schen bewusst wäh­len und ver­brei­ten. Wie bei allen Vor­ur­tei­len gibt es Mög­lich­kei­ten, sie zu über­prü­fen. Nie­mand ist so wehr­los, dass man ein­fach von Anti­se­mi­tis­mus ange­steckt wird, ohne etwas dage­gen tun zu kön­nen. Ich hal­te Bil­dung und Begeg­nun­gen für das wich­tigs­te Gegenmittel.

S13 Schuster PB net Zentralrat der Juden
Dr. Josef Schuster (66) wurde im November 2014 zum Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland gewählt. Zugleich ist Josef Schuster Vizepräsident des World Jewish Congress und des European Jewish Congress. Er studierte in Würzburg Medizin und ließ sich 1988 als Internist mit einer eigenen Praxis in Würzburg nieder. Josef Schuster ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder

In Deutsch­land gibt es seit 1700 Jah­ren jüdi­sches Leben. Es soll­te eigent­lich selbst­ver­ständ­lich dazu­ge­hö­ren. Katho­li­sche und evan­ge­li­sche Kir­che star­ten im Febru­ar eine Pla­kat­kam­pa­gne gegen Anti­se­mi­tis­mus. Was ver­spre­chen Sie sich davon?
Prä­si­dent Schus­ter: Die Pla­kat­kam­pa­gne der Kir­chen gehört zu den vie­len Akti­vi­tä­ten, die im Rah­men des Fest­jah­res in ganz Deutsch­land statt­fin­den. Die Kam­pa­gne rich­tet sich nicht nur gegen Anti­se­mi­tis­mus, son­dern zeigt die Ver­wandt­schaft zwi­schen Juden­tum und Chris­ten­tum. Das ist wich­tig. Denn es gibt ja auch Vie­les, was uns verbindet.

Seit 2014 sind Sie jetzt Prä­si­dent des Zen­tral­ra­tes der Juden in Deutsch­land. Mah­nen und den Fin­ger in die Wun­de legen, das ist Teil Ihrer Job­be­schrei­bung. Was moti­viert Sie, immer wie­der Ihre Stim­me zu erheben?
Prä­si­dent Schus­ter: Zum einen habe ich das Wohl der jüdi­schen Gemein­schaft im Blick, die ich offi­zi­ell ver­tre­te. Zum ande­ren haben wir Juden fei­ne Sen­so­ren ent­wi­ckelt für gesell­schaft­li­che Fehl­ent­wick­lun­gen, für Dis­kri­mi­nie­rung. Daher geht es mir sehr oft auch um unse­re Demo­kra­tie als Gan­zes oder auch um ande­re Grup­pen, die benach­tei­ligt wer­den. Eines der wich­tigs­ten Gebo­te im Juden­tum lau­tet Tik­kum Olam“, was man mit Ver­bes­se­re die Welt“ über­set­zen kann. Ich ver­su­che als Zen­tral­rats­prä­si­dent in die­sem Sin­ne zu wirken.

Ausch­witz: Was berührt Sie am meis­ten, wenn Sie das ehe­ma­li­ge Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger besu­chen oder dar­über reden?
Prä­si­dent Schus­ter: Bei mir ist stets der Gedan­ke prä­sent, dass mei­ne Groß­el­tern müt­ter­li­cher­seits dort ermor­det wur­den. Ich ken­ne kei­nen ande­ren Ort, der auf so erschüt­tern­de Wei­se zeigt, wie bes­tia­lisch Men­schen sein kön­nen. Ausch­witz mahnt uns, jede Ent­wick­lung zu stop­pen, die wie­der dazu füh­ren wür­de, bestimm­ten Men­schen ihre Wür­de und ihr Recht zu leben abzusprechen.

Wie kann man der jun­gen Gene­ra­ti­on die Ver­bre­chen der Natio­nal­so­zia­lis­ten und den Holo­caust vor Augen füh­ren, beson­ders in einer Zeit, in der es nur noch weni­ge Zeit­zeu­gen gibt?
Prä­si­dent Schus­ter: Ich hal­te Besu­che in den KZ-Gedenk­stät­ten für ganz wich­tig. Sie müs­sen aller­dings im Unter­richt gut vor- und nach­be­rei­tet wer­den. Außer­dem gibt es wei­ter­hin sehr beein­dru­cken­de Bücher und Fil­me von oder über Über­le­ben­de. Die Begeg­nung mit einem Zeit­zeu­gen kann zwar durch nichts ersetzt wer­den, aber ich bin über­zeugt: Es ist wei­ter mög­lich, sowohl ein fun­dier­tes Wis­sen über die Schoa zu ver­mit­teln als auch Empa­thie mit den Opfern her­zu­stel­len. Und das gilt für alle jun­gen Men­schen, egal, wel­cher Herkunft.

Wie emp­fin­den Sie als Jude der­zeit die gesell­schaft­li­che Stim­mung in Deutschland?
Prä­si­dent Schus­ter:
Die Stim­mung ist der­zeit sehr von der Coro­na-Pan­de­mie mit ihren Fol­gen bestimmt. Das emp­fin­de ich als Jude ver­mut­lich nicht anders als nicht-jüdi­sche Bür­ger. Was mir gro­ße Sor­gen berei­tet, sind die anti­se­mi­ti­schen Ver­schwö­rungs­my­then, die in die­ser Kri­se ver­stärkt in Umlauf gebracht wer­den. Hin­zu kom­men Vor­fäl­le auf Demos von Coro­na-Leug­nern, die inak­zep­ta­bel sind, etwa wenn sich Impf­geg­ner als Ver­folg­te dar­stel­len und einen gel­ben Stern anhef­ten, wie ihn Juden in der Nazi-Zeit tra­gen muss­ten. Das ist geschmack­los und ver­höhnt die Opfer des Holocausts.

Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau Werner Friedenberger
Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau – die größte Mordmaschine der Nazis. Die Großeltern mütterlicherseits von Dr. Josef Schuster, dem Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland, wurden hier umgebracht. Im Bistumsblatt-Gespräch sagt er: „Ich kenne keinen anderen Ort, der auf so erschütternde Weise zeigt, wie bestialisch Menschen sein können.“

Gibt es Orte in Deutsch­land, bei denen Sie Ihren Glau­bens­brü­dern abra­ten wür­den, die Kip­pa, die tra­di­tio­nel­le Kopf­be­de­ckung, zu tra­gen?
Prä­si­dent Schus­ter: In eini­gen Groß‑, zum Teil aber auch mit­tel­gro­ßen Städ­ten ist es lei­der mit einem gewis­sen Risi­ko ver­bun­den, als Jude erkenn­bar zu sein. Gewalt­sa­me Über­grif­fe ereig­nen sich unab­hän­gig davon, wie ein Stadt­teil geprägt ist. Jüngst wur­de ein jüdi­scher Stu­dent in Ham­burg direkt vor der Syn­ago­ge ange­grif­fen. Wir erin­nern uns alle an den soge­nann­ten Gür­tel-Schlä­ger vom Prenz­lau­er Berg in Ber­lin sowie an den Atten­tä­ter von Hal­le. Das Spek­trum der Täter ist breit.

Het­zer und Holo­caust-Leug­ner ver­ste­cken sich hin­ter der Anony­mi­tät des Inter­nets. Wird es nicht Zeit, die­sem nahe­zu rechts­frei­en Raum einen Rie­gel vor­zu­schie­ben?
Prä­si­dent Schus­ter: Hier ist ja bereits viel gesche­hen. Mit dem Netz­werk­durch­set­zungs­ge­setz wur­de ein wich­ti­ger Schritt getan. Zudem hof­fe ich auf die neue EU-Richt­li­nie, den Digi­tal Ser­vices Act. Danach könn­ten die Betrei­ber sozia­ler Netz­wer­ke noch stär­ker ange­hal­ten wer­den, Hass­re­de zu unter­bin­den. Viel hängt von den Nut­zern selbst ab: Sie müs­sen Hate Speech kon­se­quent mel­den und selbst mit Kom­men­ta­ren gegen die Het­ze vor­ge­hen. Die Demo­kra­ten dür­fen das Inter­net nicht den Extre­mis­ten überlassen.

Im Tal­mud steht die Lebens­weis­heit: Solan­ge der Mensch lebt, hat er Hoff­nung.“ Haben Sie die Hoff­nung, dass in Deutsch­land eines Tages Syn­ago­gen nicht mehr von der Poli­zei bewacht wer­den müs­sen?
Prä­si­dent Schus­ter: Da ant­wor­te ich ger­ne mit einem Satz von David Ben Guri­on, dem ers­ten Regie­rungs­chef Isra­els: Wer nicht an Wun­der glaubt, ist kein Realist.“

Was gibt Ihnen per­sön­lich Hoff­nung?
Prä­si­dent Schus­ter: Die gro­ße Mehr­heit der Men­schen in Deutsch­land, die über­zeug­te Demo­kra­ten sind und soli­da­risch an unse­rer Sei­te ste­hen, sowie der poli­ti­sche Grund­kon­sens, der im Grund­ge­setz sei­nen Aus­druck fin­det. Und als reli­giö­ser Mensch gibt mir per­sön­lich auch mein Glau­be Hoffnung.

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Werner Friedenberger

stellv. Chefredakteur

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