Abrechnung mit der Hölle

Redaktion am 01.03.2022

2022 02 28 pb alb aufmacher sandra norak Foto: Ikarus Film/Kronawitter
Sandra Norak.

Porträt zum Welttag der Frauen: Eine ehemalige Prostituierte kämpft gegen sexuelle Ausbeutung und Menschenhandel.

Was die 32-jäh­ri­ge San­dra Norak erzählt, ist ver­stö­rend. Als ich erst­mals durch einen Zei­tungs­ar­ti­kel auf ihre Geschich­te stieß, war ich scho­ckiert. In kras­sen Wor­ten umschrieb sie dar­in den See­len­mord“, der an ihr began­gen wor­den war. Bis zu 20 Frei­er am Tag hat­te sie zu bedie­nen“. Zuge­rit­ten“ – so die Aus­drucks­wei­se von Zuhäl­tern – habe man sie, um sie gefü­gig zu machen. San­dra muss­te am eige­nen Leib erle­ben, dass im Rot­licht ande­re Geset­ze herr­schen. Bei­na­he wäre sie in die­sem Sys­tem, das die Wür­de von Men­schen dem Pro­fit von Zuhäl­tern und Bor­dell­be­trei­bern opfert, zugrun­de gegangen. 

Von ost­eu­ro­päi­schen Frau­en, die die blan­ke Not in die Abhän­gig­keit von Sex­händ­lern“ treibt, hat­te ich mehr­fach gehört. Aber wie, so frag­te ich mich, gerät eine bay­ri­sche Abitu­ri­en­tin – San­dra war 17, als sie erst­mals ein Bor­dell betrat – in die Fän­ge eines Men­schen­händ­lers? Mei­ne jour­na­lis­ti­sche Neu­gier­de war geweckt. Dar­über woll­te ich mehr erfahren.

2022 02 28 pb alb sandra norak passau Foto: Ikarus Film/Kronawitter
Porträt hoch über Passau: Die Dreiflüssestadt spielt keine unwesentliche Rolle im Leben von Sandra Norak. Hier hat sie erfolgreich ihr Jurastudium absolviert.

San­dra Norak, das stell­te sich bald her­aus, lebt mit ver­deck­ter Iden­ti­tät. Nach ihrem Aus­stieg aus der Pro­sti­tu­ti­on änder­te sie mit dem Wohn­ort auch ihren Namen. Nicht nur, um sich von ihrem Vor­le­ben abzu­gren­zen, son­dern auch, weil die Sex-Mafia“ mehr­mals ver­such­te, sie mund­tot zu machen. Denn San­dra redet scho­nungs­los über die Zustän­de in Bor­del­len. Damit will sie ver­hin­dern, dass ande­ren pas­siert, was sie erle­ben muss­te. Die­ser Impuls war es, der ihr die Kraft gab, sich aus dem Rot­licht zu befreien. 

Als ich sie das erst Mal traf, war ich erstaunt. Nicht eine ver­här­te­te Akti­vis­tin mit einer ver­ständ­li­chen Abnei­gung gegen Män­ner begrüß­te mich, son­dern eine zar­te jun­ge Frau, die das Lachen nicht ver­lernt hat­te. Ihr Ver­trau­en zu gewin­nen, hat den­noch eini­ge Zeit gedau­ert. Der dar­aus ent­stan­de­ne Film erzählt nicht nur ihr Leben, das von der Schul­bank über das Bor­dell ins Jura­stu­di­um führt. Er ist ein Appell, den men­schen­ver­ach­ten­den Prak­ti­ken des Rot­lich­tes end­lich den Kampf anzusagen.

„Was hier passiert, hält kein normaler Mensch aus“

San­dra stammt aus Nie­der­bay­ern. Schon früh ver­lässt der Vater die Fami­lie, lässt die Toch­ter mit ihrer psy­chisch kran­ken Mut­ter im Stich. Nach Mager­sucht und einem Sui­zid­ver­such fin­det die 16-Jäh­ri­ge in einem Inter­net­chat einen ver­stän­di­gen Zuhö­rer. Sie ahnt nicht, dass sie an einen soge­nann­ten Lover­boy“ gera­ten ist, der sie zu Unfass­ba­rem zwin­gen wird. Bald ist er ihr ein­zi­ger Bezugs­punkt. Sie ver­liebt sich in ihn und zieht schließ­lich in sei­ne Woh­nung. Als er ihr erzählt, dass man ihm wegen Schul­den nach dem Leben trach­tet, will sie ihm hel­fen. Die ein­zi­ge Chan­ce, so gibt er ihr zu ver­ste­hen, sei die Sex-Arbeit“. San­dra ist geschockt, wil­ligt schließ­lich aber doch ein. Ich dach­te, es wäre die höchs­te Form, einem ande­ren zu zei­gen, dass man ihn wirk­lich liebt“, meint sie resü­mie­rend. Was dann beginnt, ist ein Lei­dens­weg: In soge­nann­ten Flat­rate-Bor­del­len fühlt sie sich bald wie ein Sex­ro­bo­ter“. San­dra erlebt die Bru­ta­li­tät der Kun­den, die mei­nen, ein Geld­schein wür­de sie zu allem berech­ti­gen. Sie erfährt das Rot­licht als Par­al­lel­welt, in der Men­schen­han­del und ille­ga­le Prak­ti­ken an der Tages­ord­nung sind. Frau­en, die hier frei­wil­lig arbei­ten, weil sie Spaß am Sex haben, habe ich nicht getrof­fen“, erzählt sie.

2022 02 28 pb alb sandra norak mit pferd Foto: Ikarus Film/Kronawitter
Sandra Norak: Am Beginn ihres Wegs in die Freiheit stand ein Job als Pferdepflegerin.

Nach sechs Jah­ren gelingt ihr der Aus­stieg. Sie jobbt als Pfer­de­pfle­ge­rin, holt ihr Abitur nach und beginnt in Pas­sau, Jura zu stu­die­ren. Ihr Ziel: sie will all jene vor Gericht brin­gen, die das Leben von Frau­en in eine Höl­le verwandeln. 

Vor eini­gen Wochen durf­te ich San­dra in ein Laser­stu­dio beglei­ten. Wie ein Brand­zei­chen hat­te ihr der Zuhäl­ter ein rie­si­ges Tat­too auf den Rücken ste­chen las­sen. Die Klei­dung aus der Pro­sti­tu­ti­on habe ich weg­ge­wor­fen, nun will ich, dass auch die­ses Zei­chen der Unfrei­heit ver­schwin­det“, erzählt sie mir vor der auf­wen­di­gen und schmerz­haf­ten Behand­lung. Bis der Dra­chen­kopf des Zuhäl­ters von ihrer Haut ver­schwin­det, wird es noch lan­ge dau­ern. Bis ihre see­li­schen Wun­den ver­heilt sind, wohl noch län­ger. Was sie eben­so schmerzt, ist, dass man­che immer noch mei­nen, das ältes­te Gewer­be der Welt“ wäre ein Arbeits­platz wie jeder ande­re. Die vie­len Frau­en, die San­dra wäh­rend ihrer Zeit im Rot­licht ken­nen­ler­nen konn­te, haben sie gelehrt: Was hier pas­siert, hält kein nor­ma­ler Mensch aus.“

2022 02 28 pb alb sandra norak pruefung Foto: Ikarus Film/Kronawitter
Sandra Norak ist stolz auf das bestandene Staatsexamen.

San­dra ist alles ande­re als eine mili­tan­te Femi­nis­tin. Ihr Appell, Deutsch­land nicht län­ger als Puff Euro­pas“ und Magnet des Sex­tou­ris­mus zu dul­den, for­mu­liert sie eher sanft. Den­noch wird ihr mis­sio­na­ri­scher Eifer spür­bar, wenn sie scho­nungs­los den Frei­ern einen Spie­gel vor­hält. Vor Poli­ti­kern oder Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen for­dert sie, die libe­ra­le Gesetz­ge­bung in Deutsch­land, die Men­schen­händ­lern idea­le Bedin­gun­gen bie­tet, zu been­den. Bor­del­le dürf­ten nicht län­ger Orte eines Mar­ty­ri­ums für vul­nerable Frau­en sein. Des­halb favo­ri­siert San­dra Norak das soge­nann­te Nor­di­sche Modell, das bereits in eini­gen euro­päi­schen Län­dern ein­ge­führt wur­de: Es bestraft Zuhäl­ter und Frei­er. Mit einem eige­nen Netz­werk will San­dra betrof­fe­nen Pro­sti­tu­ier­ten Wege aus ihrer Mise­re auf­zei­gen und ihnen juris­ti­schen Bei­stand leis­ten, um den Pei­ni­gern das Hand­werk zu legen.

San­dras Kampf gegen eine gedul­de­te Form moder­ner Skla­ve­rei erin­nert mich an Schwes­ter Lea Acker­mann. Bereits vor Jahr­zehn­ten hat die streit­ba­re Ordens­frau ange­pran­gert, dass Frau­en im Rot­licht als Ware gehan­delt und behan­delt wer­den. Auch in kirch­li­chen Krei­sen hat sie dafür viel Auf­merk­sam­keit erhal­ten. Bleibt zu hof­fen, dass auch San­dra Norak in Chris­tin­nen und Chris­ten Mit­strei­ter fin­det, damit end­lich auf­hört, was dem Geist des Evan­ge­li­ums zutiefst wider­spricht: Die sexu­el­le Aus­beu­tung von Frauen.

Text: Max Kronawitter

„Sandras Kampf gegen Menschenhandel“ – Film in der ARD

Die ARD zeigt am 8. März um 23:30 das Por­trait von Max Kro­na­wit­ter Vom Bor­dell ins Jura­stu­di­um – San­dras Kampf gegen Men­schen­han­del“ (ver­füg­bar auch in der ARD-Mediathek).

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