Sie ist eine Berufene – eine Ordensfrau ist sie jedoch nicht: Silvia Schießl, die sich seit Anfang November Silvia Richardis Schießl Obl. OSB nennen darf und diesen Namen mit Stolz trägt, ist verheiratet, hat vier Kinder, arbeitet bei der Diözesanstelle für Berufungspastoral im Bischöflichen Ordinariat in Passau und ist seit kurzem Benediktineroblatin. Wie es dazu kam und warum sie sich entschieden hat, ihren Glauben gerade auf diese – hierzulande eher weniger bekannte – Art zu leben, erzählt sie gern, denn als Oblatin versteht sie es als ihre Aufgabe, anderen Menschen zu zeigen, dass es viele Wege zu Gott gibt.
Frau Schießl, bei Ihrer Oblation haben Sie Ihr Taufkleid getragen, denn Ihre Taufe ist noch gar nicht so lange her. Wie kam es eigentlich, dass Sie Teil der katholischen Gemeinschaft geworden sind?
Silvia Schießl: Als Kind wurde ich im Glauben der Zeugen Jehovas sozialisiert. Wenn man jung ist, hinterfragt man die Dinge nicht – schon früh habe ich aber gespürt, dass mir der Glaube wichtig ist, vor allem die Bibel, aber dass ich bei den Zeugen Jehovas trotzdem nicht an der richtigen Stelle bin. So habe ich als Jugendliche – wie übrigens viele andere auch – angefangen, eine Art Doppelleben zu führen: erst zur Gemeindeversammlung, dann aber in die Disco. Doch es waren nicht nur die strengen Regeln, die mich abgeschreckt haben, sondern vor allem, dass ich immer deutlicher das Gefühl hatte, dass der Jesus, den ich in der Bibel kennengelernt habe, vieles von dem, was die Zeugen Jehovas predigen, wohl kaum so leben würde. Da stimmte einfach vieles nicht zusammen.
Machen wir hier gleich einmal einen Sprung in die Gegenwart: Heute sind Sie Katholikin. Ist denn in der katholischen Kirche Ihrem Empfinden nach alles anders?
Silvia Schießl: Nein. Auch in der katholischen Kirche finde ich manches nicht zeitgemäß und ich glaube nicht, dass bei uns alles so läuft, wie Jesus es sich wünschen würde. Aber es gibt einen ganz entscheidenden Unterschied: In der katholischen Kirche kann man über diese Dinge sprechen. Es mag dem einen oder anderen nicht passen, aber es ist möglich. Äußert man bei den Zeugen Jehovas Kritik, wird man praktisch unter Dauerbeobachtung gestellt. Ständig wirken andere auf einen ein, versuchen, einem die eigene Meinung zu nehmen. Man wird angeprangert, angefeindet, ausgeschlossen. Der Druck ist enorm. Mit der Liebe Gottes hat das für mich nichts zu tun. Es ist unmenschlich.
Obwohl Sie das früh erkannt haben, war der Ausstieg dennoch sehr schwer für Sie. Warum?
Silvia Schießl: Das ist einfach zu beantworten. Als Zeuge Jehovas hat man praktisch keine sozialen Kontakte außerhalb der Gemeinschaft. Willst du gehen, verlierst du alles. Deine Familie, deine Freunde. Niemand von ihnen wird mehr mit dir sprechen, denn täten sie es, würden sie selbst auch zu Ausgestoßenen. Und immer wieder erhältst du Besuch, immer wieder versucht man, dich zurückzuholen. Ich hatte das Glück, eine Tante und einen Onkel zu haben, die keine Zeugen sind. Die haben mich aufgefangen. Aber wenn man niemanden hat, dann ist der Absprung fast unmöglich. Auch ich bin noch einmal zurückgekehrt, obwohl ich tief in meinem Herzen wusste, dass es falsch ist.
Warum das?
Silvia Schießl: Als ich gegangen bin, fühlte ich mich unendlich allein. Man muss sich das so vorstellen: Plötzlich sind 20 Jahre deines Lebens wie ausgelöscht. Für die Menschen, die dir wichtig waren und von denen du geglaubt hast, dass auch du ihnen wichtig bist, existierst du nicht mehr. Doch auch alle Strukturen fallen plötzlich weg, die gewohnten Rituale, alles. Für mich war es vor allem schwer, dass mir der Glaube ja nach wir vor sehr wichtig war. Deswegen habe ich versucht, meinen Glauben allein zu leben, doch mir fehlte die Gemeinschaft so sehr. Denn alleine glauben kostet unendlich viel Kraft, so war es jedenfalls bei mir. Ich denke, das ist der Grund, warum ich noch einmal zurückgegangen bin. Es war die Sehnsucht, mit anderen gemeinsam zu beten und zu glauben, auch wenn ich letztlich wusste, dass die, zu denen ich gehe, die Falschen sind – doch eine andere Gemeinschaft kannte ich nicht.
Der Weg bis zur katholischen Taufe war ein langer, oder?
Silvia Schießl: Ja. Ich habe meinen Mann kennengelernt – er ist katholisch getauft, war aber zu dem Zeitpunkt kein praktizierender Katholik. Mir war immer wichtig, dass meine Kinder im Glauben aufwachsen, deswegen habe ich ihnen aus der Bibel vorgelesen. Sie sollten Gott kennenlernen. Taufen lassen haben wir die Kinder aber zunächst nicht, sie sollten selbst entscheiden.
Drei der vier Kinder haben sich vom katholischen Glauben angezogen gefühlt. Einer meiner Söhne hat schon mit fünf Jahren den Wunsch geäußert, sich taufen zu lassen. Weil er noch so jung war, haben wir seine Entscheidung hinterfragt, ihn aber unterstützt. Dadurch kam ich immer wieder in Situationen, die mich auch selbst herausgefordert haben. Denn unser Pfarrer hat schnell gespürt, dass ich für Glaubensthemen offen bin und mich deswegen immer wieder im Dienste der Pfarrei „eingespannt“. Als Tischmutter zum Beispiel, obwohl ich, bis ich „auserwählt“ wurde, nicht einmal wusste, was das ist. So bin ich immer tiefer in die Gemeinschaft hineingewachsen, ohne aber formal der Kirche anzugehören.
Das ging ja einige Jahre so. Wie kam es, dass Sie sich schließlich für die Taufe entschieden haben?
Silvia Schießl: Ich habe gemerkt, dass ich in der Pfarrgemeinde offen aufgenommen werde, auch wenn ich Kritik äußere, anderer Meinung bin. Das hat mir gutgetan. 2013 habe ich dann auch zum ersten Mal die Osternacht besucht – ein Moment, der mich unwahrscheinlich berührt hat. Da wuchs in mir der Wunsch, mich taufen zu lassen. Unser Pfarrer hat sich darüber sehr gefreut und wir haben ein intensives Katechumenatsjahr miteinander verbracht. Er hat mir später einmal gesagt, dass er noch mit keinem anderen erwachsenen Täufling eine ähnlich intensive Vorbereitungszeit erlebt hat.
Zu Weihnachten eine Auszeit vom Alltag
Dadurch, dass Sie 2015 eine Stelle im Bereich der Berufungspastoral bekommen haben, konnten Sie Glaube und Arbeit verbinden. Ist dabei auch der Wunsch entstanden, den Glauben weiter zu vertiefen?
Silvia Schießl: Für mich war auf einmal alles ganz stimmig. Über die Arbeit bekam ich Kontakt zu Ordensleuten, auch zu den Benediktinerinnen der Anbetung in Neustift. Mich faszinierte das Ordensleben, über das ich zu diesem Zeitpunkt wenig wusste, sehr – aber als verheiratete Mutter von vier Kindern ist ein Leben im Kloster natürlich keine Option. Erst mit der Zeit habe ich herausgefunden, dass es den „dritten Weg“ gibt, bei den Benediktinerinnen heißt er Oblation. Man bindet sich fest an eine Ordensgemeinschaft, teilt deren Glaubensleben und praktiziert die Ordensregeln mitten im eigenen Alltag. Ich konnte mir das einerseits nicht vorstellen, fühlte mich aber andererseits gleich sehr angezogen.
Und von da an hat das Thema Sie nicht mehr losgelassen?
Silvia Schießl: Nein. Erst war mir das gar nicht so bewusst. Aber immer wieder bin ich darauf gestoßen. Zum Beispiel auch, wenn ich etwas ganz anderes im Internet gesucht habe. Am Ende landete ich häufig bei Seiten, die sich mit der Oblation befassen.
Der Weg zur Oblation ist aber doch ein aufwändiger, der auch nicht immer ganz einfach in den Alltag zu integrieren ist. Wie hat Ihre Familie auf Ihren Wunsch reagiert?
Silvia Schießl: Erst einmal: Meine Familie wusste letztlich vor mir, dass das mein Weg ist. Mein Sohn hat es ausgesprochen, noch bevor es mir wirklich bewusst war. Und meine Familie hat diesen Weg vom ersten Moment an mitgetragen, auch wenn das mit vielen Herausforderungen verbunden war und bleiben wird, denn die Zeit, die ich im Kloster verbringe, geht natürlich im Familienleben ab. Aber das war bei uns nie ein Thema, alle haben mich unterstützt. Dafür bin ich unendlich dankbar.
Als Oblatin sucht man sich ja eine konkrete Gemeinschaft aus, an die man sich bindet. Warum die Benediktinerinnen der Anbetung in Neustift?
Silvia Schießl: Beruflich hatte ich bereits mit den Schwestern zu tun. Bei einem Vortrag in Neustift über Hildegard von Bingen lernte ich dann Sr. Edith, die im Kloster Oblatenrektorin ist, kennen. Ich würde sagen: Wir hatten schnell einen guten Draht zueinander. Es kam dann noch zu einer weiteren, zufälligen Begegnung und daraus entstand dann der Wunsch nach geistlicher Begleitung durch Sr. Edith. Dabei war die Oblation mehrfach ein Thema, aber noch eher allgemein. Zu diesem Zeitpunkt habe ich noch nicht verstanden, dass Gott mich auf diese Weise ruft. Ich konnte das nicht glauben, hatte eher das Gefühl: ‚ich doch nicht‘ – und doch hat es mich gleichzeitig nicht mehr losgelassen. Heute denke ich, in dieser Zeit hat mich der Heilige Geist geführt.
Hat Ihre Entscheidung über die organisatorischen Fragen hinaus Auswirkung auf die Familie gehabt?
Silvia Schießl: Ich glaube, die Tatsache, dass ich mich so viel mit Glaubensfragen beschäftigt und auch mit ihm darüber gesprochen habe, hat auch meinen Mann ein Stück näher zum Glauben gebracht. Er trägt meinen Weg mit, geht aber gleichzeitig seinen eigenen. So hat er zum Beispiel die Exerzitien für sich entdeckt, die Begeisterung für Lobpreismusik verbindet uns beide.
Man bereitet sich ja etwa ein Jahr auf die Oblation vor. Was tut man in dieser Zeit?
Silvia Schießl: Man lernt die klösterliche Gemeinschaft kennen und erfährt viel über den Orden und seine Regeln. Wenn man, wie ich, relativ nahe bei dem Kloster, an das man sich bindet, wohnt, besucht man die Schwestern, kommt für einen Nachmittag, einen Abend oder auch ein Wochenende. Man lernt, das Stundengebet zu beten und bekommt Tipps, wie es sich in den Alltag integrieren lässt. Und man setzt sich sehr intensiv mit der Regel des Heiligen Benedikt auseinander. Mich fasziniert, wie alltagstauglich sie ist. Für mich ist sie eine Erweiterung von Jesu Gebot der Menschlichkeit. Sie ist eine Hilfe für ein gutes Miteinander. Im Kern geht es darum, sich auch mal zurückzunehmen. Demut, das bedeutet nicht, sich klein machen, sondern das heißt, zuhören, auch wenn der andere nichts sagt – jedenfalls nicht mit dem Mund –, sich selbst nicht so wichtig nehmen, auf den anderen achten. Ich selber komme öfter in Situationen, wo ich sehr schnell sehr viel will. Und da merke ich: Manches ginge vielleicht besser, wenn ich noch ein bisschen mehr ‚benediktinisch‘ wäre. Ich reflektiere meinen Alltag neu, wodurch sich viele Chancen eröffnen, das Leben anders zu gestalten.
Durch die Oblation sind Sie ja auch Mitglied der klösterlichen Gemeinschaft geworden. Ein einfacher Prozess?
Silvia Schießl: Jein. Einige Schwestern sind sehr offen, freuen sich, dass sie durch uns Oblatinnen stärker mit der Welt in Kontakt stehen. Aber man darf nicht vergessen: Die Benediktinerinnen der Anbetung sind ein stark klausierter Orden. Und viele der Schwestern haben diesen Weg aus einem bestimmten Grund gewählt. Ich finde es wichtig, dass wir Oblatinnen – zumal wir ja noch eine sehr kleine Gemeinschaft sind – uns das immer wieder bewusst machen und sensibel damit umgehen.
Am 1. November fand nun – nach coronabedinger mehrfacher Verschiebung – Ihre Oblation statt. Hatte die Pandemie Auswirkungen auf den Tag?
Silvia Schießl: Ja, erhebliche. Die letzten Tage vor der Feier waren für mich wirklich steinig, das kann man so sagen. Eine gefühlsmäßige Achterbahnfahrt. Eigentlich sollte es ein großes Fest werden, mit allen Freunden und Verwandten. Das war mein Wunsch. Und das ging dann ja nicht. Aber es ist schon seltsam, wie der Herr uns führt und zum Wesentlichen hinleitet. Denn worum geht es bei der Oblation? Um meine Hingabe. Nicht um das Drumherum. Nach einem gewissen Ringen ist mir genau das bewusst geworden. Meine Familie war dabei, meine Freunde in Gedanken mit mir verbunden – da war plötzlich nichts Negatives mehr, sondern ein tiefer Friede. Es war der richtige Rahmen für ein so wichtiges Versprechen.