Ich bin Papst Johannes Paul II. begegnet. Und, ja, es war ein spirituelles Erlebnis. Ein Moment, den ich nie vergessen werde. Aber doch auch schräg. Irgendwie.
Blick zurück: Es war ein Samstag im Mai 1987, als mein bester Kumpel und ich mit unseren Motorrädern nach München aufbrachen. Freunde besuchen, bei einem Oldtimermarkt nach Teilen Ausschau halten. Ein herrlicher Tag: Sonne, Wärme, blauer Himmel. Wie geschaffen, um die bleierne Kälte der vergangenen Monate abzuschütteln und den Frühling lächelnd zu begrüßen. Mit der Nase im Wind und leichtem Gepäck. An so einem Tag wird das Herz leicht, während der Asphalt unter einem dahinfließt und die Augen sich kaum sattsehen können an den frischen Farben.
„Leben spüren“ steht als Motto über dieser Seite. Gemeint sind Ereignisse, die den Alltag sprengen, wo wir komplett in unserem Tun aufgehen, alles um uns herum vergessen, eben das echte Leben spüren. Motorradfahren gehört für mich zweifellos dazu. Schon immer. Als Vierzehnjähriger kaufte ich mir für 50 Mark von meinem Taschengeld eine vergammelte Zündapp, die jahrelang in einem Schuppen auf mich gewartet hatte. Ich war ein Ass beim Zerlegen, eher phlegmatisch bei der Fehlersuche und schludrig beim Zusammenbauen. Zudem ziemlich grün hinter den Ohren. Deshalb lief das Moped nur selten. Doch wenn der Zweitakter dann doch mal kleine blaue Qualmwolken ausspuckte, war es um mich geschehen. Ich flog über die Wiesen und Felder rund um unser Haus. Und mir war klar: Nicht anders kann die Freiheit duften. Das hat sich auch nie geändert. Auf dem Motorrad bist du mittendrin. Nichts ist auch nur einen Augenblick dem unmittelbaren Bewusstsein entzogen. Konzentrierte Selbstvergessenheit in einem Rausch der Kurven. Du siehst alles, spürst alles, riechst alles. Auch die Wolken, die sich höher und höher auftürmen und dabei immer schwärzer werden, bis sich schließlich alle Schleusen öffnen.
„Mir war klar: Nicht anders kann die Freiheit duften“
Genau das passierte an jenem Sonntag im Mai 1987, als mein Freund und ich die Motorräder bepackten und uns auf den Rückweg machten. Erst Regen, dann Hagel, dann Schnee. Wir hätten uns denken können, dass so ein Frühlingstag im Mai auch mal ein elender Betrüger sein kann. Doch jetzt war es zu spät. Schon wenige Kilometer nach dem Start waren wir nass bis auf die Unterwäsche. Und fast noch schlimmer: Wir kamen kaum vorwärts. Komplett durchgefroren standen wir auf dem Mittleren Ring. Nichts ging mehr. Auf einer Seite Vollsperrung. Und alle paar Meter ein Polizist. Ein Spalier. Gefühlt war es eine höllische Ewigkeit, real vielleicht eine Stunde. Warum das alles? Wir hatten keine Ahnung.
Dann geschah es: Er fuhr an mir vorbei, in vielleicht fünf Metern Entfernung, auf der allein für ihn gesperrten Gegenfahrbahn, schlafend, im riesigen, bestimmt kuschelig beheizten 600er Mercedes: Johannes Paul II., der Papst.
Mein Kumpel und ich waren nochmal rund zweieinhalb Stunden unterwegs. Betrogen vom Frühling am Vortag und viel zu leichtsinnig hatten wir die warmen Regenklamotten daheim im Schrank gelassen. Es war ein Höllentrip. Wir froren, beteten, bibberten und fluchten. In Landau war ich soweit, dass ich mir in Gedanken ausmalte, wie es wäre, auf der schneebedeckten Fahrbahn zu stürzen und dann im warmen Krankenwagen abtransportiert zu werden. Es schien mir nicht die schlechteste Wahl. Aber wir kamen irgendwie doch daheim an. Dort war die größte Schwierigkeit, den steifen, völlig unterkühlten Körper vom Motorrad zu hieven. Dann war es geschafft. In der Badewanne taute ich langsam auf. Nicht einmal ein Schnupfen blieb. Dafür ein unvergessliches Erlebnis mehr. Seien wir mal ehrlich: Sind es nicht oft die Stunden, an denen man seine Grenzen spürt, die dann in der Erinnerung bestehen bleiben?
Wollen Sie noch wissen, wie es Papst Johannes Paul II. an jenem Sonntag erging? Umjubelt von vielen Zuschauern fuhr er im „Papamobil“ durch die Münchner Innenstadt zur Bürgersaalkirche, um am Grab Pater Rupert Mayers zu beten. Von der Theresienwiese sollte der Hubschrauber abheben nach Augsburg. Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb darüber: „Just zum Abflugtermin setzen gewaltige Sturmböen, Blitz, Donner, Hagel und Schneegestöber ein. An einen Flug ist nicht zu denken. Johannes Paul II. ist gezwungen, München mit dem Auto zu verlassen. Es ist ein Abschied für immer.“
Geschichtsträchtig. Und zwei zitternde Motorradfahrer waren recht nah dran.
Wolfgang Krinninger
Chefredakteur