Foto: Roswitha Dorfner
Vor einem Jahr wurde Jeremias Schröder zum Abtprimas gewählt und damit zum obersten Repräsentanten aller Benediktiner weltweit – etwa 6000 Mönche und 12.000 Nonnen. Abtprimas Jeremias gehört zur Erzabtei St. Ottilien und hat seinen Dienstsitz in der Abtei Sant’Anselmo in Rom. Mit dem Passauer Bistumsblatt sprach er über seinen Lebensweg und die Herausforderungen von Kirche, Orden und Welt in unserer Zeit.
H.H. Abtprimas, Sie werden im Dezember 61 Jahre alt – für die meisten ein erster Anlass zur Rückschau auf das eigene Berufsleben. Sie aber legen erst richtig los …
Schröder: Ich hatte mich innerlich schon darauf eingestellt, so eine Art Frühruhestand zu beginnen. Ich hatte ein sehr schönes kleines Kloster in Tirol, in dem ich gelebt habe – aber als ich dann im vergangenen Herbst zum Abtprimas der Benediktiner gewählt wurde, habe ich auch sehr gerne und bereitwillig „Ja“ gesagt. Ich kenne und liebe unsere benediktinische Konföderation, ich bin seit 25 Jahren mit Leitungsaufgaben betraut, die weltweit sind. Und deshalb habe ich auch akzeptiert, dass ich wahrscheinlich diese Aufgabe erfüllen kann und verstehe, warum die anderen Äbte mich da wählen wollten – und keinen guten Grund hatte „Nein“ zu sagen. Ich will das dann auch wirklich gerne, mit Inbrunst und Freude machen.
Und haben Sie sich schon gut eingefunden ins Amt?
Schröder: Ich war der Stellvertreter meines Vorgängers gewesen, war also in vielen Themen schon drin. Mein Vorgänger hatte die Dinge sehr gut übergeben, alles fertiggemacht, die Räume freigegeben und ich konnte wirklich sofort voll beginnen, auch mit einer guten Mannschaft.
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Was konnten Sie bereits bewegen und was sehen Sie als vordringliche Aufgaben der kommenden Jahre?
Schröder: Der Abtprimas hat erstmal zwei große Aufgabenbereiche: Ihm ist der Zusammenhalt der benediktinischen Konföderation anvertraut. Wir sind ein sehr dezentralisierter Orden, in ganz vielen Ländern präsent. Es ist eine kontinuierliche Aufgabe, dass das überhaupt wahrgenommen wird, dass die Mönche sich bewusst sind, dass wir eine Familie sind. Da konnte ich schon einiges aufbauen, damit wir – auch technologisch – intensiver im Austausch sind. Es ist auch wichtig, dass wir den Zusammenhalt mit den Frauen stärken und eng halten. Die rund 12.000 Benediktinerinnen weltweit organisieren sich gerade selber weiter, mit etwas mehr Verselbstständigung vom Abtprimas. Die andere große Aufgabe des Abtprimas ist unsere Hochschule in Sant’Anselmo in Rom, wo der ordenseigene Nachwuchs ausgebildet wird. Wir haben eine kleine Universität, die uns Papst Leo XIII. vor 130 Jahren anvertraut hat und die einfach gut weitergehen muss. Die Hochschule hat momentan historische Höchstzahlen an Studenten, sie brummt.
Und etwas mehr in die Zukunft?
Schröder: Wir Benediktiner wollen im Jahr 2029 ein großes Ordensjubiläum feiern: 1500 Jahre seit der Gründung von Montecassino, unserem ersten Kloster, das Benedikt von Nursia 529 gegründet hat.
Im Vorfeld stellen sich wichtige Fragen: Was heißt das für uns Benediktiner, Rückschau zu halten auf eine solch große, oft grandiose, manchmal auch sehr zerbrechliche Geschichte? Wo stehen wir heute und vor allem, was ist denn unsere Rolle, unser Auftrag in der Kirche und vielleicht sogar in der Gesellschaft der Zukunft? Das wollen wir für 2029 in den Blick nehmen und nicht nur in Rom, sondern in allen unseren Klöstern weltweit feiern – eine Riesenaufgabe, die mich gerade sehr mit Beschlag belegt.
Zumal Sie ja nicht einfach durchregieren können – die Benediktinerklöster und ‑kongregationen verfügen ja über eine hohe Autonomie …
Schröder: Ich muss vor allem motivieren und koordinieren – der Abtprimas hat ganz wenig formale Macht, er ist Repräsentant des Ordens gegenüber dem Heiligen Stuhl und ein Art Garant des Zusammenhalts. Das gelingt nur durch gute Kommunikation, durchregieren gibt es überhaupt nicht bei uns.
Blicken wir noch einmal zurück. Ihr Weg ins geistliche Amt war sehr geradlinig, in jeder Beziehung: Schon Ihr Abitur legten Sie am Maristenkolleg in Ihrer Geburtsstadt Mindelheim ab und traten unmittelbar danach in die nur knapp 50 Kilometer entfernte Erzabtei der Missionsbenediktiner in St. Ottilien ein. Hatten Sie nie Zweifel? Und was hat Sie in der Jugend geprägt für diesen Weg?
Schröder: Ich wollte als junger Mensch nie Pfarrer werden, aber ich war begeistert in der katholischen Jugend. Auch mein Aufenthalt als Schüler in Taizé hat mir wirklich gefallen: Das Gemeinschaftsleben dort, das Leben, das strukturiert wird, geordnet wird im Rhythmus von Beten und Arbeiten. Mit siebzehn Jahren habe ich das dann in Sankt Ottilien konkret kennengelernt, bei den Benediktinern und war eigentlich sofort ziemlich ergriffen. Ich wollte kein normales Familienleben führen, sondern in einer christlichen Gemeinschaft leben. Und ich wollte eigentlich Entwicklungshelfer werden, naturverbunden leben. St. Ottilien ist ein riesiger Bauernhof. Alles, was ich so in meinem Leben wollte, habe ich dort vorgefunden, wenn auch leicht anders als ursprünglich gedacht. Und mit achtzehn Jahren, als ich dann zum zweiten Mal länger zu Gast war, habe ich mir gedacht, wenn ich das nicht wenigstens probiere, mache ich mir das ganze Leben Vorwürfe. Ich habe dann gefragt und bin nach dem Abitur schließlich eingetreten. Vom ersten Moment an im Kloster war ich sehr, sehr glücklich, wie ein Fisch im Wasser. Das hat gepasst. Das Kloster war gut für mich. Allmählich konnte ich da ein reiferer Mensch werden und meine Talente und Fähigkeiten entwickeln. Ich hätte nicht Oberer werden müssen, aber das Klosterleben als solches, das Leben in der brüderlichen Gemeinschaft – das war, was der liebe Gott von mir wollte, was auch zu mir gepasst hat. Ich bin bis heute ein sehr zufriedener Mönch.
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„Respice stellam“ – schaue auf den Stern ist Ihr persönliches Motto. Es stammt aus einer Predigt des heiligen Bernhard von Clairvaux zum Lob der Gottesmutter. Was bedeutet die Muttergottes für Sie, für den Glauben, für die Kirche?
Schröder: Ich bin so froh, dass wir in unserem katholischen Christsein der Muttergottes so eine doch wirklich zentrale Rolle einräumen dürfen, weil da das Frauliche und Weibliche, das wir auch von Gott selber glauben, sichtbar wird und verkörpert wird in einer Art und Weise, die für uns alle zugänglich ist, das Bergende, das Schützende. Das müsste eigentlich auch noch andere Folgen haben für die Art und Weise, wie wir mit Frauen in der Kirche umgehen. Da sehe ich schon noch große Aufgaben vor uns, da bin ich nicht besonders glücklich. Aber dass wir in unserer Frömmigkeitstradition, in unseren Wallfahrten und auch hier an diesem Ort die Muttergottes so stark im Vordergrund haben und da wirklich auch so emotional ansprechend noch mal mit unserem Beten und unserem Wallfahren da unterwegs sein dürfen, das ist für mich ein ganz großer Trost.
Macht der Gnadenort Altötting auch mit Ihnen persönlich etwas, wenn Sie dort sind?
Schröder: Ich habe schon zweimal in meinem Leben große und schwierige Fragen der Gottesmutter von Altötting anvertraut und auch zweimal Votivgaben versprochen und dann auch später dargebracht in wichtigen, schwierigen Anliegen, mit denen ich zu kämpfen hatte. Also gerade hier in Altötting fühle ich mich bei der Gottesmutter schon sehr geborgen und aufgenommen.
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Was können Sie umgekehrt daraus unseren Leserinnen und Lesern an Zuspruch mitgeben aus Ihrem Aufenthalt in Altötting?
Schröder: Wir sind Menschen der Hoffnung, Pilger der Hoffnung. Das hat uns ja Papst Franziskus noch für dieses Jahr auch als Auftrag gegeben. Ich kann nur sagen, das Pilgern, das sollen wir ganz, ganz wörtlich nehmen. Ich finde, wir sollten immer wieder uns auf den Weg machen für eine Wallfahrt oder einen Pilgerort besuchen – da auch wirklich zu Fuß und mit unseren Anliegen und Nöten und Sorgen und auch unserer Schuld und unserer Sünde an so einen Wallfahrtsort gehen, um dort wieder bei Gott Liebe und Hoffnung zu tanken.
Wie blicken Sie als international vernetzter Ordensmann, als Benediktinermönch auf die Kirche heute in Deutschland, aber auch in der Welt? Was macht Ihnen Sorgen, was Hoffnung?
Schröder: Ich kenne ja diese deutsche Kirche inwendig sozusagen. Ich weiß, wo vieles herkommt, ich sehe die Stärke, die in unseren Strukturen liegt, die Kompetenz. Ich sehe aber auch die manchmal zu starre Struktur, die bürokratisch wirkt. Wir können vieles richtig gut organisieren. Und gleichzeitig führt diese durchorganisierte Kirche auch zu einer leichten Entfremdung und zu einer Starrheit, die das Menschliche ein bisschen schwieriger werden lässt. Der synodale Weg hat das auch ein bisschen verkörpert. Umgekehrt muss ich im Ausland manchmal in die Bresche springen und sagen: Nein, ihr habt das missverstanden. So ist Deutschland auch nicht. Wir gehen nicht ins Schisma. Wir sind einfach ein bisschen anders und nehmen gewisse Fragen sehr, sehr ernst. Und deswegen kommen wir nicht so leicht zu Kompromissen. Ich fühle mich da oft wirklich zwischen den Stühlen. Und vielleicht ist es auch genau die Position, die ich als deutscher Abtprimas in Rom haben muss: dass ich beide Seiten verstehe und in beide Seiten hinein versuche, etwas Verständnis zu wecken.
Was macht Ihnen Hoffnung?
Schröder: Erstens die Zusage unseres Heilands: Die Pforten der Unterwelt werden diese Kirche nicht überwältigen. Ich bin zudem beeindruckt von den Päpsten, die uns immer wieder auch Zukunft zeigen und Türen öffnen. Und dann lebe ich als Christ immer in der Hoffnung, dass Gott etwas vorhat mit uns und von uns etwas für diese Welt erwartet. Das ist, worum es im Letzten geht: dass wir am Evangelium unsere Gemeinsamkeit finden, das, was uns zusammenhält und vor allem dieses Evangelium als Auftrag dann weitergeben. Und das darf in großer Verschiedenheit passieren – muss wahrscheinlich sogar.
Die Welt heute scheint wirklich sehr in Aufruhr, in Unordnung. Viele haben Angst. Was ist da Ihre Botschaft?
Schröder: Wir Benediktiner sind da, wir geben diese christliche Hoffnung weiter, diese Zuversicht. Ich habe den Eindruck, wir stehen vor einem Epochenumbruch. Ich verstehe selber vieles auch gar nicht, was passiert. Ich stehe da vor großen Rätseln. Ich bin mir sicher, die Welt schaut in zwanzig Jahren ganz anders aus als jetzt. Und ich kann mir noch nicht vorstellen, wie. Und da gehe ich mit Neugier rein. Ich bin Historiker. Mich interessiert das Phänomen von Transformationen. Angst ist vielleicht das falsche Wort, aber natürlich auch schon manchmal mit Bangen und Sagen: Wie viel Leid wird das mit sich bringen, wie viel Schmerz? Wir Benediktiner sind an vielen Orten der Welt erst einmal einfach präsent, wir bleiben da – und das oft unter schwierigen Bedingungen an Brennpunkten wie im Heiligen Land, in der Ukraine, in Burkina Faso, in Haiti, in Kuba. Wir laufen nicht weg, wenn es schwer und hart wird, sondern wir bleiben bis zur bitteren Neige und teilen das Leben der Menschen. Das sehe ich als ein ganz großes, wichtiges Zeugnis unseres Ordens.
Wolfgang
Terhörst
Redaktionsleiter


