Aufbrechen, sich auf den Weg der Gottsuche machen – dazu ermuntert eine neue Reihe im Haus Spectrum Kirche. Was es damit auf sich hat, erklärt Dr. Bernhard Kirchgessner im Interview.
Heute Gott erfahren – so lautet der Titel einer neuen Reihe in Spectrum Kirche. Wie ist diese Idee entstanden?
Kirchgessner: Es ist ein großes Anliegen unseres Bischofs, Räume und Möglichkeiten zu eröffnen, damit Menschen heute Gott erfahren können. Klar ist: Es herrscht allseits ein großes Defizit an Glaubenswissen, aber wenn ich einfach jemanden den Katechismus in die Hand drücke, werde ich ihn damit nicht gerade für Jesus begeistern. Der Mensch muss die Möglichkeit haben, eine persönliche Erfahrung machen zu können. Da wir in unserem Haus einen Schwerpunkt auf christliche Spiritualität und Mystik gelegt haben, kreierten wir eine Reihe, wo wir aus verschiedenen Blickwinkeln auf dieses Thema schauen. Wir wollen Wegmarken setzen, die helfen, eine Gotteserfahrung zu machen.
Ist die Erfahrung Gottes heute schwieriger als früher?
Kirchgessner: Ich würde nicht sagen, dass sie schwieriger geworden ist, aber das Thema ist in der Kirchengeschichte der Neuzeit in Vergessenheit geraten. Da war Wissen und Wissensvermittlung sehr wichtig – auch an den Universitäten im Theologiestudium, was ja auch absolut richtig ist. Erst die Wiederentdeckung der monastischen Theologie, die Wiederentdeckung von großen Frauen und Männern und ihren geistlichen Werken hat uns diesen Zugang wieder eröffnet. Das macht heute Mut, dieser Frage doch intensiver nachzugehen.
Aber muss bei der Erfahrung Gottes nicht jeder seinen eigenen Weg finden?
Kirchgessner: Natürlich. Das ist ganz klar. Ich hab ja gesagt: Wir liefern Wegmarken, aber das ist keine Einbahnstraße, wo man drauf geht und es hilft dir. Im Grunde genommen gibt es ja wahnsinnig viele Formen und Möglichkeiten der Spiritualität. Mit unserer Reihe möchten wir neugierig machen, selbst einfach mal reinzuschnüffeln. Der eine wird bei Theresa von Ávila reinschauen, ein anderer wird reinhören, was Meister Eckhart zu sagen hat, dem dritten ist die Regel des hl. Benedikt eine Hilfe. Und anhand dieser geistlichen Meisterinnen und Meister dann einen Weg zu gehen, das wär‘s eigentlich. Neugierig zu machen, zu ermutigen, zu sagen: Geh, aber lass dich nicht einschränken.
Und an wen richtet sich diese Reihe?
Kirchgessner: Eigentlich an alle, die auch nur im entferntesten eine Sehnsucht nach des Transzendenten haben. Ich stelle bei unseren Ausstellungen immer wieder fest, dass jeder Mensch von einer ganz tiefen Sehnsucht geprägt ist – nicht nur nach Vordergründigem, sondern nach etwas Bleibendem. Und da ist unser Ansatzpunkt, zu sagen, folge der Sehnsucht, die du in dir spürst. Folge dieser Sehnsucht und diese Sehnsucht wird dich auch ans Ziel führen.
Können Sie uns noch etwas zu den Referenten der Reihe sagen?
Kirchgessner: Wir versuchen von verschiedenster Warte her das Thema anzugehen: Frau Prof. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, die erst jüngst den „Nobelpreis für Theologie“ (Auszeichnung mit dem Ratzinger-Preis 2021, die Redaktion) bekommen hat, wird über die göttliche Liebe sprechen (14. Februar, die Red.) Ich selber werde auf die Themen Achtsamkeit und Entschleunigung schauen, weil das für viele heute eine wunderbare Einstiegsmöglichkeit bietet. Der Sehnsucht folgen, die Heilige Schrift als Wegmarke, das wird Dr. Anton Cuffari aufgreifen. Die Versenkung in die Stille, die Kontemplation, darum nimmt sich unser zweiter Nobelpreisträger für Theologie, Prof. Ludger Schwienhorst-Schönberger, an. Dann wird ein Künstler aus seiner Warte sprechen: Wie kann Kunst einen Weg bereiten, um Gott zu erfahren? Ganz intensiv eignet sich dafür auch die Musik. Wie sie das Herz berührt und noch eine Spur tiefer geht, das erklärt Diözesanmusikdirektor Dr. Marius Schwemmer. Und ganz zuletzt haben wir mit Prof. Dr. Georg Langenhorst aus Augsburg einen Spezialisten für Religion in der zeitgenössischen Literatur. Er geht der Frage nach, wie uns Literatur auf diesen Weg befördern kann.
„Es geht um die ganz existentielle Erfahrung. Ich kann nicht sagen, ich setz‘ mich jetzt hin, bete drei Rosenkränze und dann wird der liebe Gott sich schon einstellen, das ist Quatsch. Aber ich kann den Weg bereiten, ich kann Wegmarken setzen, ich kann Menschen ermutigen: Geh diesen Weg! Das ist das Entscheidende.”
Verraten Sie uns noch, wie denn Ihre eigene Gotteserfahrung aussieht?
Kirchgessner: Es ist natürlich sehr schwierig, über die eigene Gotteserfahrung zu sprechen. Ich sag mal so: Meine Bekehrung fand vor 20 Jahren in der Abteikirche von Fontenay statt, ein Zisterzienserkloster, welches Bernhard von Clairvaux 1118 gegründet hat. Das hört sich seltsam an, wo ich bereits 40 Jahre Priester bin. Aber da bin ich in guter Gesellschaft. Theresa von Ávila bezeugt, sie war schon 19 Jahre im Kloster, als sie sich bekehrt hat. Vom 20. August 2003 an, stand die Frage: „Gibt es Gott oder gibt es Gott nicht?“ überhaupt nicht mehr im Raum, weil sie so existentiell greifbar war, dass ich seither für mich rechne, was war davor und was war danach. Und das hat mich beflügelt, diesen Weg zu gehen. Das traf fast zeitgleich mit meiner Tätigkeit hier im Hause zusammen. Und natürlich ist Bernhard von Clairvaux für mich ein ganz wichtiger Wegbegleiter.
Gott ist Liebe – wenn jemand aufschlüsseln kann, was das heißt und was das für das eigene Leben bedeutet, dann sitzt man eigentlich an der ganz entscheidenden Stelle. Fachleute sagen: Das war für Bernhard von Clairvaux die Bibelstelle schlechthin: Deus caritas est. Wer da mehr wissen will, dem empfehle ich, die erste Hälfte der Enzyklika „Deus caritas est“ von Papst Benedikt XVI. zu lesen, die genauso dicht ist. Wenn wir diesen Satz ernst nehmen, wären wir bei der Frage, ob man Gott erfahren kann, schon einmal auf einem ganz guten Weg. Man darf‘s aber nicht so ganz billig in den Raum werfen und nichts mehr dazu sagen. Man muss diesen Satz aufschlüsseln – und zwar nicht nur in der Theorie, sondern durchs eigene Leben. Mich hat ein Satz von Papst Paul VI. ganz stark geprägt: Der heutige Mensch hört weniger auf Gelehrte als auf Zeugen. Und wenn er doch auf Gelehrte hört, dann nur deshalb, weil sie Zeugen sind. Und das ist das ganz Entscheidende: Unser Zeugnis. Wenn wir leben, was wir glauben und glauben, was wir leben, ist mir um die Zukunft des Christentums überhaupt nicht bange. Aber genau da klafft momentan eine riesige Lüge.
Es geht also nicht nur um das Wissen, sondern auch um die Erfahrung?
Kirchgessner: Es geht um die ganz existentielle Erfahrung. Ich kann nicht sagen, ich setz‘ mich jetzt hin, bete drei Rosenkränze und dann wird der liebe Gott sich schon einstellen, das ist Quatsch. Aber ich kann den Weg bereiten, ich kann Wegmarken setzen, ich kann Menschen ermutigen: Geh diesen Weg! Das ist das Entscheidende. Bernhard sagt beispielsweise: Suche, suche, suche – und lass nicht nach. Jesus selbst hat uns verheißen: Wer sucht, der findet.
Hier können Sie das Interview auch anhören:
Ihnen entgeht ein toller Beitrag!
Wolfgang Krinninger
Chefredakteur