Das glauben wir

„Wir sind wie Thomas“

Redaktion am 04.03.2024

2024 03 04 pb alb caravaggio Foto: Wikimedia
Den Finger in die Wunde gelegt: „Der ungläubige Thomas“ ist eines der berühmtesten Gemälde des italienischen Barock-Meisters Caravaggio, geschaffen um 1601–1602.

Der Apostel Thomas zweifelt, dass Jesus auferstanden ist, das Zeugnis seiner Mitbrüder reicht ihm nicht. Wie sieht es heute aus mit Glaube und Zweifel? Kapuzinerbruder Michael Masseo hat sich umgehört – auch unter Mitbrüdern im Kloster.

Der Kol­le­ge in der Geflüch­te­ten­ar­beit schaut mich rat­los an. Er wirkt sehr über­rascht. Zwei­fel an Got­tes Exis­tenz?“, wie­der­holt er mei­ne Fra­ge, fast in Zeit­lu­pe, und denkt nach. Er stammt aus Afgha­ni­stan, ist gläu­bi­ger Mus­lim. Gera­de sind wir zusam­men mit ein paar wei­te­ren Kol­le­gen im Auf­ent­halts­raum einer Geflüch­te­ten­un­ter­kunft, einen Tee oder Kaf­fee in der Hand.

Micha­el, schau doch in den Spie­gel“, setzt er nun an. Wir Men­schen sind doch ein Wun­der­werk Got­tes, wie kön­nen wir da an sei­ner Exis­tenz zwei­feln?“ Wir schau­en gemein­sam in den Spie­gel. Er führt mei­nen Fin­ger und schwärmt: Du hast zwei Augen, mit denen Du sehen kannst. Du hast zwei Ohren, mit denen Du hören kannst. Du hast eine Nase, mit der Du rie­chen kannst. Das ist ganz wun­der­bar geschaf­fen, das kann nicht aus Zufall entstehen.“

Und er legt nach: Nie­mand außer einem Gott kann dies der­art per­fekt schaf­fen!“ Und hin­ter dei­nen Augen liegt ein Gehirn“, redet er ges­ti­ku­lie­rend wei­ter. Eine unglaub­lich per­fek­te Steue­rungs­ma­schi­ne ist unser Gehirn, Ver­bin­dung von Kör­per und Geist, Koor­di­na­ti­on, Gefüh­len“, schwärmt er. So per­fekt kann kein Com­pu­ter der Welt arbei­ten!“, sagt der Kol­le­ge. Ein ande­rer Kol­le­ge ruft dazwi­schen: Doch, jetzt kommt doch gera­de die Künst­li­che Intel­li­genz auf!“ – Ja, aber auch die hat der von Gott geschaf­fe­ne Mensch erfun­den und ent­wi­ckelt.“ Stil­le im Auf­ent­halts­raum. Die end­gül­ti­ge Wider­le­gung mei­ner und unse­rer Zweifel?

Ich bin unsi­cher. Genügt mir ein Schöp­fungs­zeug­nis (das ich selbst ja eben­falls bin) für mei­nen Got­tes­glau­ben? Und außer­dem: Dass Gott exis­tiert, ist das eine. Aber die Auf­er­ste­hung? Selig sind die, die nicht sehen und doch glau­ben“, sagt Jesus im Evan­ge­li­um. Dem Apos­tel Tho­mas gelingt das nicht. Und mir selbst? Wenn ich mich nach sicht­ba­ren Bewei­sen von Got­tes Exis­tenz und Jesu Auf­er­ste­hung seh­ne, bin ich dann Tho­mas 2.0“?

2024 03 04 pb alb kapuziner gisbert schutte Foto: Kapuziner/Lemrich
Kapuzinerbruder Gisbert Schutte.

Ich bin nicht bes­ser als Tho­mas“, bekennt Bru­der Gis­bert Schüt­te aus dem Kapu­zi­ner­klos­ter in Wer­ne an der Lip­pe in Nord­rhein-West­fa­len. Gezwei­felt habe er nicht nur ein­mal, son­dern in vie­len Pha­sen mei­nes Lebens“, sagt der 84-Jäh­ri­ge. In jenen Pha­sen erschien es ihm unbe­greif­lich, dass es einen Gott gibt, der die Geschi­cke der Men­schen in sei­ner Hand haben soll“.

Und so man­chem Mit­bru­der erge­he es nicht anders, sagt Bru­der Gis­bert, der 17 Jah­re lang als Kran­ken­haus­seel­sor­ger in Müns­ter Kran­ke und Ster­ben­de beglei­tet hat und auch heu­te noch ein gefrag­ter Mann für geist­li­che Beglei­tung ist. Der Apos­tel Tho­mas wird geplagt von Zwei­feln, Fra­gen und Unsi­cher­hei­ten, die ganz nor­mal sind unter uns Men­schen“, sagt er.

Aller­dings kann Bru­der Gis­bert mit sei­nen Zwei­feln immer wie­der von sei­nen Mit­brü­dern und ande­ren ver­trau­ten Per­so­nen im Glau­ben über­zeugt wer­den. Wir sind wie Tho­mas und brau­chen die ande­ren und ihren Glau­ben“, ist er überzeugt.

Wenn der Tho­mas in mir durch­kommt“, sagt Bru­der Gis­bert, brau­che er jene Men­schen, die durch ihr Leben, ihre Wor­te und ihre Taten mir Hoff­nung schen­ken und Mut machen“. Daher sei der Apos­tel Tho­mas eben nicht ungläu­big, son­dern ein Zwei­feln­der. Das ist ein wich­ti­ger Unter­schied“, betont Bru­der Gisbert.

Und noch eines macht die Sache mit Glau­ben und Zwei­fel so schwie­rig: Vie­le Men­schen wis­sen und spre­chen von Got­tes­er­leb­nis­sen, vom Gefühl, aus schier aus­weg­lo­sen Situa­tio­nen geret­tet wor­den zu sein, ein Wun­der erlebt zu haben. Und den­noch bedarf es offen­bar immer wei­te­rer Bewei­se, um gegen Got­tes­zwei­fel anzu­kämp­fen. Gewiss­heit ist wie eine Sucht: Man braucht immer mehr davon. Aber lei­der: Wir kön­nen uns noch so sehr danach seh­nen – Gewiss­heit und Glau­be wird nicht das­sel­be sein.

2024 03 04 pb alb kapuziner edmund kesenheimer Foto: Kapuziner/Lemrich
Kapuzinerbruder Edmund Kesenheimer.

Jeden Sonn­tag fei­ern wir Auf­er­ste­hung. Wir erin­nern uns, dass die Gemein­schaft mit Jesus Chris­tus stär­ker ist, als der Tod je sein kann. Das ist ech­ter Glau­be. Ihn habt Ihr nicht gese­hen und den­noch liebt Ihr ihn“, so drückt es der Apos­tel Petrus aus. Und er hat recht: Mir ist klar, dass glau­ben heißt, von einer Wirk­lich­keit aus­zu­ge­hen, die über unse­re sinn­lich wahr­nehm­ba­re Wirk­lich­keit hin­aus­geht, die ich eben nicht sehe. Der Apos­tel Tho­mas tut das nicht. Er glaubt nicht ein­mal den ande­ren Jün­gern, sei­nen eige­nen Mit­brü­dern, dass Jesus auf­ge­stan­den und ihnen erschie­nen ist. Er will Jesus selbst sehen, mit eige­nen Hän­den berühren.

Bru­der Edmund Kesen­hei­mer war jah­re­lang Seel­sor­ger im Kran­ken­haus, bei Ordens­schwes­tern in Süd­deutsch­land und Mis­sio­nar in Indo­ne­si­en. Heu­te lei­tet der 77-Jäh­ri­ge das Kapu­zi­ner­klos­ter in Sögel im Ems­land. Ver­steht er den Apos­tel Tho­mas und des­sen Zwei­fel? Spä­tes­tens als meh­re­re Mit­brü­der im ähn­li­chen Alter wie ich den Orden ver­lie­ßen, kam mein Glau­be ins Wan­ken. Das waren groß­ar­ti­ge Men­schen und Seel­sor­ger, ihre Zwei­fel waren zu groß, und auch mei­ne Fra­gen an Gott wuch­sen täg­lich“, sagt er.

Er habe damals viel an den Apos­tel Tho­mas gedacht, und er wur­de mir sym­pa­thisch. Auch ich hät­te ger­ne ein Zei­chen von Gott erfah­ren“, sagt er.

Im Unter­schied zu Tho­mas konn­ten ihn sei­ne Mit­brü­der auf­fan­gen, erzählt er heu­te: Indem sie treu ihre kapu­zi­ni­sche Beru­fung und ihre Lie­be zu Jesus Chris­tus leb­ten, hal­fen sie mir.“ Den­noch tau­chen immer noch hier und da Zwei­fel an Gott und unse­ren Glau­ben auf, gibt Bru­der Edmund preis und sagt: Auf die­ser Erde wer­den wir kei­nen end­gül­ti­gen Beweis erhalten.“

Text: Br. Micha­el Mas­seo Maldacker

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