Die Krise tut mir nix!

Redaktion am 06.09.2022

Info Icon Foto: Uschi Friedenberger
Bei der Selbstversorgerin in Hilgenreith wächst irgendwie alles. Hier zeigt Anni Sigl ihre Aronia-Beeren.

Einfach leben: Das ist gerade in diesen Zeiten wieder sehr modern. Die 86-jährige Bäuerin Anni Sigl aus Hilgenreith bei Innernzell erzählt, warum man auch jetzt zufrieden sein kann und was Nachhaltigkeit für sie bedeutet.

Brauchst Zwie­beln?“ fragt mich die Anni Sigl am Tele­fon in ihrer freund­lich-direk­ten Art. Dann kommst wie­der ein­mal vor­bei und holst dir wel­che!“ Natür­lich kann ich Zwie­beln brau­chen und außer­dem wird es echt mal wie­der Zeit, dass wir uns aus­gie­big unter­hal­ten. Und einen Blick in die üppi­gen Gär­ten der Bäue­rin mit dem grü­nen Dau­men zu wer­fen, ist immer ein Erlebnis. 

Bekannt gewor­den ist das Ehe­paar Sigl, als im Jahr 2012 das Buch Anni und Alo­is. Arm sind wir nicht. Ein Bau­ern­le­ben“ erschien und zahl­rei­che Bei­trä­ge im Baye­ri­schen Fern­se­hen folg­ten. Ich habe die Fami­lie Sigl auch schon oft besucht in ihrem idyl­lisch gele­ge­nen Hof in Hil­gen­reith und über ihr ein­fa­ches zufrie­de­nes Leben geschrie­ben. Treu­en Bis­tums­blatt-Lesern – zu denen übri­gens auch Anni Sigl selbst gehört – ist sie also kei­ne Unbe­kann­te. Und über die gan­zen Jah­re hin­weg hat es übri­gens kein The­ma gege­ben, auf das ich mehr Rück­mel­dun­gen von Lesern bekom­men habe, als zu den Repor­ta­gen über Anni Sigl. 

Ihr Mann Alo­is ist im Jahr 2020 gestor­ben, jetzt bewohnt sie das Anwe­sen allein mit Kat­ze Mau­k­erl. Die räkelt sich gera­de vor dem Haus in der Son­ne. Da ste­hen auch die zwei Küchen­stüh­le zum Trock­nen, die die Anni heu­te schon mit der Wur­zel­bürs­te gesäu­bert hat. Und gleich neben der Haus­tür sind die gan­zen geern­te­ten Zwie­beln zum Trock­nen aus­ge­brei­tet, natür­lich alle selbst­ge­zo­gen. Mei­ne Zwie­beln hat sie mir schon aus­ge­hän­digt und jetzt sit­zen wir auf der Haus­bank und reden über Gott und die Welt. Heut war ich schon mit dem Bull­dog im Nach­bar­dorf und hab einer Bekann­ten auch eine Tüte voll Zwie­beln vor­bei­ge­bracht“, erzählt sie. Dass sie sich mit dem Bull­dog auf den Weg macht, kommt nicht mehr so oft vor und des­halb rei­che der Die­sel, den sie noch auf Vor­rat hat, bis auf Wei­te­res, erzählt die 86-Jäh­ri­ge. Ich brauch kein Gas, ich brauch kein Öl, die Kri­se geht mich nichts an“, betont die Anni, die auf ihren 70 Jah­re alten Holz­ofen in der Küche schwört und noch nie eine Zen­tral­hei­zung hat­te. Das Holz reicht bestimmt noch für fünf Jah­re. Im Som­mer brauch ich eh fast gar kein Holz. Was ich halt im Win­ter brauch! Aber auch im Win­ter hat es bei mir drin nicht mehr als 17, 18 Grad“, erzählt die Bäue­rin. Als ich noch im Schlaf­zim­mer oben geschla­fen habe, hat­te es im Win­ter da drin auch nicht mehr als minus drei oder vier Grad.“ Sie fin­det das nicht so außer­ge­wöhn­lich und meint: Wir sind ja auch nicht auf­ge­wach­sen wie die Weich­ei­er!“ Und so steht für die Anni ange­sichts der stei­gen­den Ener­gie­prei­se fest: Wenn sich die Leu­te im Win­ter ein biss­chen wär­mer anzie­hen wür­den, bräuch­ten sie auch nicht so zu heizen.“

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Anni Sigl ist stolz auf ihre üppige Zwiebelernte – natürlich alles selbst gezogen. Die Sonnenstrahlen kommen gerade recht zum Trocknen der Zwiebeln vorm Haus – und fürs Wohlbefinden von Katze Maukerl im Gras.

Was die Anni sowie­so nicht ver­steht, ist die ihrer Mei­nung nach zu gerin­ge Wert­schät­zung von Lebens­mit­teln: Jetzt wird gleich geschimpft, wenn die Lebens­mit­tel mal ein biss­chen teu­rer wer­den. Aber in den 50-er Jah­ren hat man ja auch 60 Pro­zent sei­nes Loh­nes für Lebens­mit­tel her­ge­ge­ben. Zur Zeit gibt man eh nur rund 20 Pro­zent für Lebens­mit­tel aus. Heut ist halt kei­ner mehr zufrie­den. Da wird gleich gejam­mert, wenn das Essen teu­rer wird. Für Fes­te, Ver­an­stal­tun­gen und zum Flie­gen ist das Geld ja auch da. Lebens­mit­tel jedoch soll­ten bil­lig sein. Aber die Bau­ern müs­sen ja auch noch was verdienen!“

Sie denkt an ihre Kind­heit, als nur alle paar Wochen ein­mal Brot geba­cken wur­de und das Brot dann mit­un­ter schon so hart war, dass man es in die Sup­pe oder in Was­ser ein­tau­chen muss­te, damit man es über­haupt essen konn­te. Trotz­dem habe man es geschätzt – und da sei­en die Leu­te heu­te eben zu sehr ver­wöhnt, fin­det die Anni und erzählt, wie sie ein­mal Besuch hat­te, dem Buben der Apfel run­ter­ge­fal­len ist und der ihn dann nicht mehr essen woll­te. Und als ich zu ihm gesagt habe, er soll den Apfel halt abwi­schen und trotz­dem essen, haben sogar die Eltern komisch geschaut“, wun­dert sich die Anni. War­um soll man so einen Apfel nicht mehr essen kön­nen? Wenn mal ein Apfel ange­fault ist, dann schneid ich ihn ja auch aus.“ Heu­te wer­de ein­fach gene­rell zuviel weg­ge­wor­fen, wun­dert sich Anni Sigl, auch Klei­dungs­stü­cke, an denen noch das Ori­gi­nal-Eti­kett dran ist. Bei mir wird nichts weg­ge­wor­fen, da wird eine Schür­ze auch mal geflickt, bis es halt nicht mehr geht. Ich hab das Spa­ren gelernt. Und wenn mei­ne 40 Jah­re alte Wasch­ma­schi­ne kaputt gehen wür­de, dann wird halt wie­der mit der Hand gewa­schen. Hat man ja frü­her auch getan.“ Sie for­mu­liert es krass: Wenn die Leu­te heu­te nur ein hal­bes Jahr mit­ma­chen müss­ten, wie es uns unterm Krieg und nach dem Krieg gegan­gen ist, da gäb‘s nicht so vie­le Bäu­me, wie sich Leu­te dran auf­hän­gen würden.“

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Vor ihrem Anwesen hat Anni Sigl eine Bienenweide für nützliche Insekten angelegt.

Die Anni wür­de sich wün­schen: Die Leu­te soll­ten zufrie­de­ner sein. Man kann soviel zurück­ste­cken, was man wirk­lich nicht unbe­dingt braucht!“ Eins gehö­re da aber sicher nicht dazu, und das sind gesund pro­du­zier­te Lebens­mit­tel. Bei mir ist alles Bio!“ freut sich die Selbst­ver­sor­ge­rin und lässt lächelnd den Blick über ihr Natur­pa­ra­dies in Hil­gen­reith schwei­fen. Ihre zwei Gemü­se­gär­ten und der Obst­gar­ten geben so ziem­lich das gan­ze Ange­bot eines Obst- und Gemü­se­la­dens her. Die Anni zählt auf: Ich hab ver­schie­de­ne Sala­te wie den Eich­blatt­sa­lat, den Bata­via-Salat, Roma­na-Salat, ita­lie­ni­sche Salat­her­zen und Kopf­sa­lat, zwei­er­lei Endi­vi­en­sa­lat, den Pak Choi oder Senf­kohl, Chi­na­kohl und Zucker­hut. Denn Salat esse ich jeden Tag. Das ist mei­ne Hauptnahrung.“

Die Bäue­rin erzählt beim Gang über den Hof, was in ihren Gär­ten sonst noch so zu fin­den ist: Kar­tof­feln, Sel­le­rie, Por­ree, Rot­kohl, drei­er­lei Ret­tich, Gel­be Rüben, Gur­ken, Boh­nen, Toma­ten, wei­ße, rote und schwar­ze Johan­nis­bee­ren, gel­be, rote und grü­ne Sta­chel­bee­ren, Him­bee­ren, Trop­fen­hei­del­bee­ren, Aro­nia-Bee­ren, Kap­ka-Bee­ren, Ama­ranth, Kräu­ter. Ganz zu schwei­gen vom Obst­gar­ten, in dem 171 Apfel­sor­ten und 18 Bir­nen­sor­ten wach­sen und gedei­hen. Auch Zwetsch­gen und Apri­ko­sen gibt es auf dem Hof. Lei­der sind heu­er zwei Drit­tel der Äpfel wurm­ig“, bedau­ert Anni. Vorm Haus wächst ein Apri­ko­sen­baum, der ihr heu­er vie­le appe­tit­li­che Früch­te gelie­fert hat. Aber die­se gan­ze Pracht will natür­lich auch geern­tet und ver­ar­bei­tet, ein­ge­macht, ent­saf­tet und ein­ge­fro­ren wer­den. Man hat halt auch Arbeit das gan­ze Jahr über“, stellt die Selbst­ver­sor­ge­rin klar und freut sich, dass ihr Sohn und die Schwie­ger­toch­ter ihr helfen.

Ich pro­bie­re noch ein paar Bee­ren aus dem Gar­ten. Dann neh­me ich die Tasche mit den Zwie­beln, die mir die Anni geschenkt hat und sage ihr beim Gehen zum Spaß: Anni, halt die Ohren steif!“ – Und sie lacht: Die sind bei mir sowie­so immer steif!“

Ursula
Friedenberger

Redakteurin

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