
Der Ausdruck Macht kommt vom Wort „machen“ und ist als solcher erst einmal wertneutral. Nicht nur mit Blick auf politische Machthaber denken wir zunehmend an die „dunkle“ Seite der Macht und vergessen, dass es auch eine helle geben kann, kommentiert der Autor unseres Editorials der aktuellen Ausgabe 9-2025.
„Willst du den Charakter eines Menschen erkennen, so gib ihm Macht.“ Es gab eine Zeit, da waren Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika für kluge Sätze und vor allem für weises Handeln bekannt. In dem Fall ist es tatsächlich schon richtig lange her: Abraham Lincoln, Mitbegründer der Republikanischen Partei und von 1861 bis zu seiner Ermordung 1865 der 16. US-Präsident, wird der oben zitierte Satz zugeschrieben. Lincoln wird neben George Washington und Franklin D. Roosevelt als einer der besten Präsidenten, die das Land jemals hatte, verehrt. Als der Dichter Walt Whitman von Lincolns Tod erfuhr, widmete er ihm das Gedicht „O Captain! My Captain!“ Es handelt von einem Kapitän, der sein Schiff durch große Gefahren sicher in den Hafen steuert, das Ziel aber selbst nicht lebend erreicht.
160 Jahre später spielt der 47. US-Präsident, der auch schon der 45. war, eher Schiffe versenken als sie sicher zu lenken. Die sinkenden Kähne tragen Begriffe wie Vertrauen, Berechenbarkeit, Vernunft, Mitgefühl, Ehre. Vermutlich wird Donald Trump gerade deshalb auch einmal Legendenstatus erreichen: wegen der verbrannten Erde, der zerstörten Hoffnungen, der korrumpierten Gesellschaft, die er hinterlassen wird.
Es sind Typen wie Trump, Putin, Erdogan und Kim Jong-un, die dafür gesorgt haben, dass wir Macht in unseren Tagen fast ausschließlich mit skrupellosen Egomanen verbinden. Peter Modler, Unternehmensberater und Autor, will das nicht länger so hinnehmen. In seinem Buch „Macht. Wie du sie anwendest, auch wenn du von ihr nichts wissen willst“, beschreibt er den „Ablehnungsreflex“ beim Stichwort Machtanwendung als eine bedenkliche Entwicklung mit weitreichenden Konsequenzen. „Wir regen uns so oft über Machtmissbrauch auf, dass wir ganz vergessen, wie oft Machtanwendung auch gelingt“, sagt er. Beispiele für eine gelingende Ausübung gebe es wie Sand am Meer: Die Lehrerin, die in ihrer Klasse für Ruhe und Ordnung sorgt; der Chirurg, der den bewusstlosen Patienten erfolgreich operiert; der Abteilungsleiter, der im Meeting einen übergriffigen Kollegen in seine Schranken weist, nennt er in einem Bericht der Katholischen Nachrichtenagentur. „Unser aller Alltag“, sagt Modler, „ist dominiert von überwiegend geräuschloser Machtanwendung, die wir nie infrage stellen, weil sie für uns nützlich und gewinnbringend ist.“
Wer einmal mit Kindererziehung zu tun hatte, weiß, dass auch im privaten Bereich Machtausübung manchmal unerlässlich ist.
In seinem Plädoyer wirbt Modler für die schöpferische, die helle Seite kreativer Machtanwendung: Jeder sei zeit seines Lebens befähigt, etwas zu erschaffen, das niemand anderer hervorbringen könne. Damit das gutgeht und nicht in einem machtvollen Fiasko endet, hat der Autor ein paar recht einfach klingende Rezepte parat: Führung gelingt nur in Verbindung mit Verantwortung; sich nur mit Jasagern zu umgeben, führt ins Verderben; es hilft, eine Leitungsfunktion nur befristet anzunehmen. Damit sind wir am Ende wieder beim Anfang angelangt: Es ist halt doch alles eine Frage des Charakters.

Wolfgang Krinninger
Chefredakteur