Der Platz war nur ein paar hundert Meter von zu Hause weg. Ein Feld aus harter Erde. Hier trafen sich die Burschen zwischen zehn und achtzehn Jahren und machten ihr Spiel, manchmal waren es fünf, ein anderes Mal zwanzig. Wir spielten auf ein Tor in Originalgröße. Alles andere war wild und schief. Auf zwei Seiten begrenzte ein steil abfallender Hügel den Platz. Wer den Ball ins Aus kickte, musste ihn holen. Das konnte dauern. Schluss war, wenn man in der einbrechenden Nacht den Ball nicht mehr von den rumliegenden Steinen unterscheiden konnte. Dann gingen wir heim. Mit klopfenden Herzen, zerschundenen Knien und glänzenden Augen. Es waren großartige Tage.
Vermutlich sind die Fußballplätze im Laufe der Jahrzehnte ein wenig gepflegter geworden, die Tore nicht mehr selbst gezimmert, und statt mit vergammelten T‑Shirts laufen die meisten Nachwuchshoffnungen von heute im Trikot ihres Lieblingsvereins auf. Doch die Grundidee ist die gleiche geblieben: Sich austoben, Spaß haben, Tore schießen, den Gegner alt aussehen lassen, mit stolz geschwellter Brust als Sieger vom Platz gehen. Das ist Fußball. Das ist Leidenschaft. Das ist Begeisterung. Egal ob auf dem Bolzplatz im Dorf oder in der Bundesliga-Arena. Mancher bedauert es, aber da kann in unserem Land keine andere Sportart mithalten.
Und nun also wieder einmal Weltmeisterschaft. Die Krönung. Die Besten der Besten aus der ganzen Welt, die Idole, denen Millionen Jugendliche nacheifern, treten mit ihren Teams gegeneinander an. Auch hier hat wohl jeder – abhängig vom Alter – Bilder im Kopf: Die Sensation 1954 in Bern, Franz Beckenbauer, wie er nach dem Triumph 1990 als Nationaltrainer allein und völlig in sich gekehrt über den Platz schleicht oder Mario Götzes Siegtreffer im Finale gegen Argentinien 2014. Momente für die Geschichtsbücher, Emotionen, die sich ins Gedächtnis eingebrannt haben.
Bestimmt wird es solche Augenblicke auch bei der Wüsten-WM im Advent geben. Aber ob sie so viele Zuschauer mitverfolgen werden, sei dahingestellt. Glaubt man den Umfragen, haben inzwischen selbst eingefleischte Fans einfach genug. Sie haben ein Gespür dafür, wenn etwas komplett aus dem Ruder läuft. Sie wollen nicht mehr zuschauen bei einer gekauften WM in Arenen, für die viel Blut geflossen ist und die nachher kein Mensch mehr braucht. Der Weltfußballverband FIFA hat die Grundidee dieses Sports systematisch verraten. Es geht nur mehr um Geld, um viel Geld, um immer noch mehr Geld. In diesem Verband offenbaren sich einige der hässlichsten Seiten des Menschen und er ist nicht reformierbar. International ist dieses herrliche Spiel verloren, so lange die FIFA nicht zerschlagen und ersetzt wird.
Bis es soweit ist, bleibt den Fans der Club im Heimatort, die zweite, dritte oder vierte Liga oder einfach der Bolzplatz nebenan – ein Feld aus harter Erde, auf dem die Leidenschaft blüht.
Wolfgang Krinninger
Chefredakteur