Wunden und Erinnerungen

Redaktion am 21.02.2023

Zeichnung: Katharina Krinninger

Die Zeit heilt alle Wunden, heißt es. Aber stimmt das auch? – Gedanken zum Thema Tod und Erinnerungen von Chefredakteur Wolfgang Krinninger im Editorial der aktuellen Ausgabe.

Fast ein Jahr ist es her, dass mein Vater starb. Wir waren bei ihm, hiel­ten sei­ne Hän­de, wein­ten allein und mit­ein­an­der, trös­te­ten uns gegen­sei­tig und taten schließ­lich alles, was getan wer­den muss an Tagen wie die­sen. Er war alt gewor­den, Opa Fritz“. 90 Jah­re. Er hat­te Leid und Not erlebt, aber auch gute Zei­ten, wie so vie­le Frau­en und Män­ner die­ser Gene­ra­ti­on, die nach dem Krieg aus Sehn­sucht und Trüm­mern eine bes­se­re Zukunft schu­fen. Ja, er war alt gewor­den – und trotz­dem war es unfass­bar, als er auf­hör­te zu atmen.

Es war ein früh­lings­fri­scher Tag, als der gro­ße, dunk­le Lei­chen­wa­gen in unse­re Zufahrt ein­bog, um ihn abzu­ho­len. Im dicken Daim­ler fuhr er ein letz­tes Mal vor­bei an den Häu­sern der Nach­barn, der Bank am Weg­rand, der gro­ßen Lin­de, die win­zig war bei sei­nem ers­ten Schrei. Und wir blie­ben zurück. Stan­den am Welt­rand. Schau­ten ihm nach, als könn­te ihn das hal­ten. Und trau­ten uns nicht zu win­ken, nicht wis­send, ob das sich in der Ewig­keit gehört.

Foto: Wolfgang Krinninger

Seit­dem sind vie­le Tage, Wochen und Mona­te ver­gan­gen. Opa Fritz‘ klei­ner Sko­da steht immer noch vor sei­nem Haus. Über der Ein­gangs­tür in sei­ne gute Stu­be ver­kün­det eine geschnitz­te Holz­ta­fel wei­ter­hin: Freu­de dem, der kommt. Frie­de dem, der hier ver­weilt. Segen dem, der wei­ter­zieht.“ Wind, Frost und Regen haben dem Beer­di­gungs­kreuz auf sei­nem Grab arg zuge­setzt, das klei­ne Foto dar­auf ist blass gewor­den. Doch immer wie­der schmü­cken fri­sche Geste­cke und Grab­lich­ter sei­ne letz­te Ruhe­stät­te, zei­gen, dass Men­schen an sei­nem Grab ver­wei­len, an ihn den­ken, für ihn beten. 

Trau­ern ist ein Weg mit vie­len Hal­te­stel­len. Das Nicht-Wahr­ha­ben-Wol­len gehört genau­so dazu wie Schmerz und Wut. Der Glau­be, die Hoff­nung namens Him­mel, macht viel­leicht das bewuss­te Abschied­neh­men, das Akzep­tie­ren des Todes, die Gestal­tung des Lebens ohne den Ver­stor­be­nen ein wenig leich­ter. Doch um die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Ver­lust kommt nie­mand herum.

In mei­nem Han­dy-Kalen­der blinkt an zwei Aben­den in der Woche immer noch das Wort Opa“ auf. In sei­nen letz­ten Lebens­wo­chen mar­kier­te die­ser wie­der­keh­ren­de Ein­trag die Tage, an denen ich der­je­ni­ge aus unse­rer Groß­fa­mi­lie war, der sich abends um ihn küm­mer­te. Heu­te lässt mich die­ser Ter­min­hin­weis einen Moment inne­hal­ten, lächelnd zu ihm auf­schau­en. Die­sen Ter­min löschen? Geht gar nicht!

Und dann ist da noch Opas alte Win­ter­ja­cke, die ich mir aus sei­nem Schrank mit­ge­nom­men habe. Ich schlüp­fe früh­mor­gens und spät­abends hin­ein, wenn ich die Tie­re ver­sor­ge. Sie ist mir viel zu groß, aber ich habe noch nie in mei­nem Leben eine Jacke beses­sen, die so wärmt. Bis tief hin­ein, noch weit unter die Haut. Da wo die Erin­ne­run­gen woh­nen und vie­le Wun­den heilen.

Wolfgang Krinninger

Chefredakteur

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