Verstanden?

Redaktion am 22.04.2024

2024 04 19 pb alb nicht verstanden Foto: Adobe Stock

Beendet moderne Technik die sprichwörtliche babylonische Sprachverwirrung? Der Autor des Editorials der aktuellen Ausgabe Nr. 18-2024 hat da so seine Zweifel ...

Mal Hand aufs Herz: Wür­den Sie tat­säch­lich ger­ne alles ver­ste­hen, was ande­re so sagen? Ich fra­ge des­halb nach, weil kürz­lich der Geschäfts­füh­rer des Deut­schen Kul­tur­rats, Olaf Zim­mer­mann, die The­se auf­ge­stellt hat, dass dank Künst­li­cher Intel­li­genz bald alle Sprach­bar­rie­ren fie­len und dass die­se Tech­nik gro­ßes Poten­zi­al habe, die Welt zu ver­bes­sern: Die zukünf­ti­ge Lin­gua fran­ca ist das wun­der­ba­re baby­lo­ni­sche Sprach­ge­wirr, das mit­tels Uni­ver­sal­über­set­zer für alle ver­ständ­lich wird“, schreibt er in der März-Aus­ga­be von Poli­tik & Kul­tur“. Und zitiert sozu­sa­gen als Beleg die Sci­ence-Fic­tion-Rei­he Star Trek“.

Da aber hab‘ ich so mei­ne Zwei­fel und hal­te mit der berühm­ten Sci­ence-Fic­tion-Sati­re Per Anhal­ter durch die Gala­xis“ von Dou­glas Adams dage­gen. Durch sie wis­sen wir, dass ein Uni­ver­sal­über­set­zer eine gro­ße Gefahr wäre. In Adams‘ Roman erfüllt die­se Rol­le eine ganz beson­de­re Lebens­form: Ein klei­ner egel­ar­ti­ger Babel-Fisch“, den man sich ins Ohr steckt, und der dann alles von ande­ren Gesag­te auf­nimmt und als tele­pa­thi­sche Matrix in das Gehirn des Wirts aus­stößt. Das klingt nicht sehr ange­nehm, viel ent­schei­den­der aber ist: Der Babel-Fisch hat mehr und blu­ti­ge­re Krie­ge“ ver­ur­sacht als sonst jemand in der gan­zen Geschich­te der Schöp­fung“. Eben gera­de des­halb, weil plötz­lich alle ver­ste­hen kön­nen, was ande­re sagen …

Klar, es ist ärger­lich und auch ein wenig trau­rig, wenn wir nicht all die 7000 Spra­chen, die es in etwa gibt, in einem Leben erler­nen und ver­ste­hen kön­nen. Und ich gebe zu, so ein Uni­ver­sal­über­set­zer steht auch auf mei­ner heim­li­chen Wunsch­lis­te – allein schon aus purer Neugier!

Jeder will zwar eine Stim­me haben, aber nicht jeder will auch Ohren haben – die es aber braucht für den Dia­log, für das Wech­sel­spiel, in dem ich mich vom ande­ren berüh­ren und ver­wan­deln lasse.”

Hartmut Rosa, Soziologe

Außer­dem stim­me ich zu, dass die Welt eine fried­li­che­re sein könn­te, wenn wir ein­an­der bes­ser ver­ste­hen wür­den. Im christ­li­chen Glau­ben gibt es den Aus­druck mit dem Her­zen hören“ (vgl. 1 Kön 3,9 oder Lk 2,19). Das mag für man­che Ohren ein wenig kit­schig klin­gen, zeigt aber deut­lich auf, dass es zum gegen­sei­ti­gen Ver­ständ­nis mehr braucht als nur das Ver­ste­hen von Wör­tern und Sät­zen: Das Gefühl, bzw. eine Ahnung davon, was im Gegen­über gera­de so alles vor sich geht. Der Sozio­lo­ge Hart­mut Rosa brach­te das Mit­te April beim Jah­res­emp­fang des Katho­li­schen Büros Sach­sen auf den Punkt: Jeder will zwar eine Stim­me haben, aber nicht jeder will auch Ohren haben – die es aber braucht für den Dia­log, für das Wech­sel­spiel, in dem ich mich vom ande­ren berüh­ren und ver­wan­deln las­se.“ Er emp­fahl das hören­de Herz“ als Grund­hal­tung, um Poli­tik­ver­dros­sen­heit und Kir­chen­flucht ent­ge­gen­zu­wir­ken. Klingt sinn­vol­ler als ein Uni­ver­sal­über­set­zer oder ein Babel-Fisch …

Noch eine Anek­do­te zur Spra­che am Ran­de: Wie das Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum Würz­burg (UKW) kürz­lich mit­teil­te, machen sich kul­tu­rel­le Unter­schie­de schon im Schrei­en, Wei­nen, Quie­ken und Brab­beln von Säug­lin­gen bemerk­bar. Laut der Ver­hal­tens­bio­lo­gin Kath­le­en Werm­ke wei­nen fran­zö­si­sche Babys tat­säch­lich mit Akzent“: Ihre Melo­die­kon­tur ver­lau­fe von tief nach hoch, wäh­rend Babys deutsch­spra­chi­ger Müt­ter mit fal­len­der Melo­die­kon­tur, also von hoch nach tief, wein­ten. Und: In der Lamnso-Spra­che der Nso, einem länd­li­chen Volk im Nord­wes­ten Kame­runs, gibt es sogar acht Ton­hö­hen plus spe­zi­fi­sche Ton­hö­hen­ver­läu­fe. Das Wei­nen der Nso-Babys gleicht eher einem Sing­sang.“ Die For­sche­rin hat über ihre Erkennt­nis­se ein Buch ver­öf­fent­licht („Baby­ge­sän­ge. Wie aus Wei­nen Spra­che wird“). Damit will sie Erwach­se­ne dazu ani­mie­ren, Babys ein­fach mal zuzu­hö­ren. Sie for­dert: Akzep­tiert, dass die­se Gefühls­spra­che der Weg zur Spra­che ist!“

Im Umkehr­schluss heißt das: Akzep­tie­ren wir, dass Spra­che Gefüh­le aus­drückt. Egal wo. Das wäre dann der ers­te Schritt hin zum wirk­li­chen Ver­ständ­nis … Und viel­leicht auch ein Bei­trag zum Ende der sprich­wört­li­chen baby­lo­ni­schen Sprachverwirrung.

Michael Glass

Michael Glaß

Redakteur

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