Die Zeitungen mit den größten Buchstaben, die Sozialen Medien mit den grellsten Botschaften und die TV-Sender mit den lautesten Moderatoren haben den Hammer ausgepackt. Glaubt man ihnen, dann schaut es schlecht aus in den nächsten Monaten. Das Land bricht auseinander. Die Energie wird knapp, die Inflation galoppiert und wir fallen über uns her, um ein möglichst dickes Stück vom Kuchen zu erwischen. Jemand hat das Wort „Wutwinter“ aufgebracht – und so viele tragen den hässlichen Begriff lustvoll weiter.
Aber ist es wirklich so? Natürlich sind die Probleme nicht zu leugnen. Aber leben wir tatsächlich in einer Welt, in der jeder sich selbst der Nächste ist, in der getreten und gedrängelt wird und die Schwachen rücksichtslos niedergetrampelt werden für den eigenen Vorteil?
„In der überwiegenden Anzahl der Fälle leben wir auf einem altruistischen (uneigennützigen, selbstlosen) Planeten.”
Die Forschung sagt ganz klar: Nein, der Mensch ist nicht so. „In der überwiegenden Anzahl der Fälle leben wir auf einem altruistischen (uneigennützigen, selbstlosen) Planeten“, sagt etwa der Sozialpsychologe Tom Postmes in der Wochenzeitung „Die Zeit“. Die Menschen seien viel rücksichtsvoller und hilfsbereiter als man denke. Und gerade in Notlagen würden sie eher die guten Seiten aktivieren. „In 97 Prozent aller Flugzeug-Notlandungen verlassen die Passagiere ruhig und geordnet die Kabine“, sagt Postmes. Von Panik keine Spur. Auch bei den Terroranschlägen in New York am 11. September 2001 kam es nicht zur Massenpanik. Noch am Tag der Anschläge boten in der Stadt 40.000 Ärzte freiwillig ihren Einsatz an.
Das Problem ist nur: In der Öffentlichkeit kommt das viel zu wenig an. Auch die Medien schrauben gerne an der Erregungskurve, stürzen sich mit Vorliebe auf die Negativbeispiele, denn Hilfsbereitschaft bringt keine guten Quoten. Und so haben es radikale Kräfte leicht, die Mär vom gespaltenen Land zu verbreiten. Putins Internet-Propagandamaschine tut ein Übriges, um den Hass mit gezielter Desinformation zu schüren. Und damit wird der Trugschluss immer mehr zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Das ist es, was alle, denen die Demokratie etwas wert ist, aufrütteln sollte.

Als Christen haben wir einen Auftrag – erst recht in Zeiten wie diesen. Klar, wir sind auch nur Menschen mit Fehlern, Ungereimtheiten und Schwächen, aber wenn’s darauf ankommt, sollten wir da sein, die Hand reichen, versöhnen, Brücken bauen, dem anderen aufhelfen, den Gemeinsinn stärken, Probleme mit Zuversicht diskutieren, das Herz und eine warme Stube öffnen. So haben wir es gelernt von unseren Eltern und Lehrern, gehört in vielen Predigten, gelesen in Texten der Bibel und anderen großen Schriften. Und ein paar Nummern kleiner: Es hilft schon viel, wenn wir die Wut nicht befeuern, ein Gerücht nicht weitertragen, Konflikte entschärfen, uns gut informieren, besonnen bleiben und erst durchschnaufen und dann sprechen. Wir haben einen riesigen Werkzeugkasten, um in unserer nächsten Umgehung für ein wenig Wärme zu sorgen, egal wie kalt der Winter wird. Nutzen wir ihn.

Wolfgang Krinninger
Chefredakteur