Mein Jahr endet am 20. November. Immer. Was danach kommt, zählt nicht mehr, fällt unter den Tisch und wird irgendwann vergessen sein. Am Abend des 20. November beginne ich mit der Arbeit an unserem Familien-Jahresfotobuch. Bis dahin müssen Frau und Kinder alle Bilder, die es ihrer Ansicht nach wert sind, gedruckt zu werden, in irgendeiner digitalen Form bei mir abgeliefert haben, damit sie berücksichtigt werden. Ich habe dann ungefähr eine Woche Zeit, um aus Hunderten Fotos ein Jahrbuch der Erinnerung zu basteln. Am Heiligen Abend liegt es dann – so schön verpackt, wie ich es mit zwei linken Händen vermag – unterm Weihnachtsbaum. Fast 20 Jahre unseres Lebens sind so in unserem Bücherregal aufgereiht, die meisten reichlich abgenutzt vom vielen Blättern.
Es ist ein schönes Ritual. Dieser Rückzug für mehrere Abende, um das vergangene Jahr vor mir auszurollen, darin zu stöbern, es zusammenzufassen. Ich schenke das Buch meiner Familie, doch eigentlich beschenke ich mich selbst. Denn beim Gestalten der Seiten, dem Aussuchen der Fotos und passenden Texte dazu, begebe ich mich auf eine Zeitreise. Ich denke, es geht mir da wie den meisten Menschen: Getragen auf den gleichmäßigen Wogen des Alltäglichen ziehen wir durchs Jahr und vergessen schnell, was uns alles zum Lächeln brachte oder stolz machte, was unsere Sinne kitzelte oder uns zu Tränen rührte, was uns schwitzen ließ oder unser Denken bereicherte. Mit den Bildern kommen so viele berührende Augenblicke zurück ins Bewusstsein: das befreite Lachen der Kinder – mit dem Abschlusszeugnis in der Hand; das Vorher und Nachher bei Baustellen, die wir angepackt haben; das fröhliche Miteinander bei Familienfesten; die braungebrannten Körper, die im Urlaub ungestüm am Strand toben… Und natürlich hat auch die Trauer ihren Platz, weil wir einen geliebten Menschen verloren haben. In den Bildern erwacht all das wieder.
In der Rückschau wird mir einmal mehr bewusst, wie privilegiert wir leben dürfen. Kein geringer Teil der vergangenen 365 Tage war mit prallem Leben gefüllt. Mit Lachen, Feiern, Wandern, Reisen, Arbeiten. Mit erfüllten und geplatzten Träumen, geglückten und vermurksten Plänen, mit Freude und Leid, mit Lebensfesten und religiösen Ritualen, mit Lachen und Weinen, mit Wiedersehen und Abschied nehmen.
Am Ende des Jahres taste ich mich noch einmal durch so viele magische Augenblicke. Und ganz zum Schluss, wenn die rund 150 Seiten fertig gestaltet sind, wähle ich die Bilder für Vorder- und Rückseite aus und dann noch den Titel für das Jahrbuch. Ich muss nicht lange überlegen:
Auf das Leben!
Wolfgang Krinninger
Chefredakteur