Weltkirche

Bange Zuversicht

Redaktion am 04.03.2021

Csm Zulehner d360506cb8 Foto: KNA
Nachdenklich und engagiert: DDr. Paul M. Zulehner (81) war von 1984 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2008 Professor für Pastoraltheologie in Wien. In zahlreichen und viel beachteten Veröffentlichungen beschäftigt er sich vor allem mit religionssoziologischen, kirchensoziologischen und pastoraltheologischen Themen.

Corona: „Was macht das alles mit den Menschen?“ Mit einer Online-Umfrage von Juli 2020 bis Januar hat der emeritierte Wiener Pastoraltheologe Prof. Paul Zulehner Antworten auf die Frage gesucht. Mehrere Tausend Antworten aus allen Kontinenten sind für ihn Zumutung und Ermutigung zugleich für die Verantwortlichen des öffentlichen Lebens ebenso wie für die einzelnen Menschen. Für den Altöttinger Liebfrauenboten und das Passauer Bistumsblatt fasst Zulehner seine Erkenntnisse exklusiv zusammen.

Bei allen neu­er­li­chen Bedro­hun­gen durch Muta­tio­nen des Virus: Es zeigt sich Licht am Ende des Coro­na-Tun­nels. Impf­stof­fe sind in Sicht, auch wenn die Aus­lie­fe­rung holp­rig vor sich geht. Nicht nur die Wirt­schaft, son­dern auch vie­le Men­schen atmen auf. Zag­haft wächst die Hoff­nung, dass sich bald wie­der nor­ma­les Leben“ ein­stel­len kann: kei­ne Aus­gangs­sper­ren, kein Abstand, kei­ne FFP2-Mas­ken, herz­li­che Umar­mun­gen, kei­ne Angst vor Anste­ckun­gen, kei­ne Rei­se­war­nun­gen, offe­ne Gas­tro­no­mie und got­tes­dienst­li­che Fei­ern für jene, die sie in der Zeit der Pan­de­mie ver­misst haben.

Die Men­schen wer­den nach der Erfah­rung des social distancing‘ Begeg­nun­gen mehr schät­zen und suchen.“ Zwei von zehn der 12.200 Befrag­ten in mei­ner inter­kon­ti­nen­ta­len Coro­na-Online-Stu­die haben die­ser Aus­sa­ge zuge­stimmt. Und vier von zehn Befrag­ten fin­den den Satz rich­tig: Die Erfah­rung der Ver­wund­bar­keit des Lebens wird vie­le dazu bewe­gen, ihr Leben mehr zu genie­ßen.“ Wer­den wir mehr schät­zen ler­nen, was wir in der Zeit der Pan­de­mie ent­beh­ren muss­ten? Ist Coro­na eine Art kol­lek­ti­ver Fas­ten­kur für einen über­hitz­ten Lebens­stil, in dem wir die Akzen­te falsch gesetzt haben, weil wir uns zu wenig Zeit für unauf­ge­reg­te Mit­mensch­lich­keit gönn­ten? Immer­hin hal­ten es neun von zehn Befrag­ten für wün­schens­wert: dass wir uns mehr Zeit für Freun­de und Fami­lie neh­men“ werden.

PANDEMIEVERLIERER

Sol­che Zuver­sicht wird rasch gedämpft, blickt man auf die vor­her­seh­ba­ren Nach­wir­kun­gen der Pan­de­mie, die nicht weg­ge­impft wer­den kön­nen. Solo­un­ter­neh­men, Fami­li­en­be­trie­be oder Kunst­pro­jek­te ste­hen vor dem Aus. Vie­le Men­schen sind auf Kurz­ar­beit gesetzt, ande­re haben ihren Arbeits­platz ver­lo­ren oder hegen begrün­de­te Angst davor. Die revo­lu­tio­nä­re Infor­ma­ti­sie­rung, wel­che wie einst die Indus­tria­li­sie­rung zu einem Umbau des gesell­schaft­li­chen Gefü­ges füh­ren wird, wur­de in der Zeit der Pan­de­mie beschleu­nigt. Bun­des­kanz­le­rin Ange­la Mer­kel ver­merk­te am 26.10.2020, dass eine sozia­le Fra­ge auf uns zukom­me. Sie wird den rei­chen Län­dern viel abver­lan­gen. Die Sor­ge ist groß, dass Kin­der und Jugend­li­che, die durch den Lock­down der Schu­len trotz Home­schoo­ling in ihrer Bil­dung beein­träch­tigt sind, über Gene­ra­tio­nen hin­weg mit unse­rem Schul­den­berg wer­den leben müs­sen. Noch mehr betrof­fen von der Pan­de­mie und ihren Fol­gen sind die ärme­ren Regio­nen der Erde. Sie konn­ten sich in der Coro­na-Zeit kei­ne so opu­len­ten Unter­stüt­zun­gen für die Bedroh­ten leis­ten. Sogar bei der Über­win­dung durch Imp­fen ste­hen sie abge­schla­gen in der zwei­ten Reihe.

S08 cover zulehner bange zuversicht patmos alb Foto: KNA
Paul M. Zulehner: Bange Zuversicht – Was Menschen in der Corona-Krise bewegt Der Religions- und Werteforscher Paul M. Zulehner legt die Ergebnisse seiner großen Studie vor und interpretiert sie pastoraltheologisch. Gesicherte Antworten auf die „Welt nach Corona“ lassen noch auf sich warten – auch in diesem Buch, das aber wertvolle Bausteine für Antworten liefert. Patmos, 240 S., € 20,- ISBN 978-3-8436-1303-3

Zu den Ver­lie­rern der Coro­na-Kri­se zäh­len die wäh­rend der Pan­de­mie Ver­ges­se­nen: die Migran­ten sowie das Kli­ma. Sie­ben von zehn Befrag­ten bedau­ern es, dass in der Zeit des Lock­downs das Flücht­lings­the­ma in den Hin­ter­grund getre­ten ist“. Und weil die Pan­de­mie die armen Län­der wirt­schaft­lich noch stär­ker getrof­fen hat als die rei­chen Län­der, wird jene Migra­ti­on zuneh­men, wel­che sich hoff­nungs­lo­ser Armut ver­dankt. Die immer noch ver­gleichs­wei­se rei­chen Län­der der Erde wer­den ver­su­chen, sich gegen die andrän­gen­den Armen abzu­schot­ten. Vie­le wer­den in den über­schwemm­ten Lagern wie auf Les­bos lei­den, nicht weni­ge wer­den ihr Leben las­sen. Aber auch der Ver­such, sie durch grau­sa­me Zustän­de in Lang­zeit­flücht­lings­la­gern abzu­schre­cken, wird schei­tern. Wir ver­spre­chen schon lan­ge eine Bekämp­fung der Armut, die Siche­rung des Frie­dens, die Scho­nung der Natur, um die drei gro­ßen Flucht­ur­sa­chen abzu­schwä­chen. Aber unse­re Wor­te sind kräf­ti­ger als unse­re Hilfe.

Man­che haben gemeint, dass die Lock­downs dem Kli­ma­wan­del eine Ver­schnauf­pau­se gebracht haben. Fak­tisch aber, so die Berich­te der UNO, haben sie dem Kli­ma nur mar­gi­na­le Ent­las­tung beschert. Dabei hal­ten drei Vier­tel der Befrag­ten die Her­aus­for­de­rung durch die Kli­ma­kri­se für weit­aus schwer­wie­gen­der als jene durch die Covid-19-Pan­de­mie“. Wer­den wir bei ihrer Bewäl­ti­gung auch so geeint und ent­schlos­sen als Welt­ge­mein­schaft auf­tre­ten wie ganz am Beginn der Covid-Pandemie?

NORMALITÄT

Wir seh­nen uns wie­der nach nor­ma­lem“ Leben. Für vie­le bedeu­tet das, so frei und opu­lent leben zu kön­nen wie vor der Pan­de­mie, in die wei­te Welt zu rei­sen, Kreuz­fahr­ten zu unter­neh­men, Urlaub in den Male­di­ven zu machen. Die Hälf­te der Befrag­ten nimmt an, dass die meis­ten Men­schen wei­ter­le­ben wer­den wie bisher“.

Unse­re Wor­te sind kräf­ti­ger als unse­re Hilfe.”

Pastoraltheologe Prof. Paul Zulehner

(Nur) ein Drit­tel meint hin­ge­gen, es wird sich viel ändern“. Die­se Men­schen hof­fen auf eine neue Nor­ma­li­tät“. Sie wol­len kein Hoch­fah­ren“ des bekann­ten Betriebs­sys­tems, son­dern wün­schen tief­grei­fen­de Ver­än­de­run­gen. Die Unter­bre­chung unse­res Lebens­be­triebs durch die Covid-19-Kri­se eröff­ne die Chan­ce, einer kran­ken Nor­ma­li­tät“ (Papst Fran­zis­kus) zu ent­kom­men. Vie­le in der Stu­die stim­men dem Papst zu. Es wer­de, so hof­fen sie zuver­sicht­lich, zu einem tief­grei­fen­den Umbau der Schlüs­sel­in­sti­tu­ti­on Wirt­schaft unse­rer Gesell­schaft kom­men. Die­se hat sich in den letz­ten Jahr­zehn­ten von vie­len Rege­lun­gen befreit und bestimmt längst die glo­ba­le Ent­wick­lung. Sie kann vie­le Erfol­ge vor­zei­gen. Zumin­dest in den städ­ti­schen Zen­tren der armen Regio­nen der Mensch­heit ist ein bes­se­res Leben für vie­le mög­lich gewor­den. Aber, so fra­gen vie­le, ist der Preis dafür nicht hoch? Die Sche­re zwi­schen reich und arm tut sich wei­ter auf, nicht nur zwi­schen dem Nor­den und dem Süden der Erde, schon inner­halb Euro­pas. Selbst in rei­chen Län­dern gibt es zu vie­le Kin­der, die unter der Armuts­gren­ze leben. Die Pan­de­mie hat auf­ge­deckt, dass es gro­ße Bevöl­ke­rungs­grup­pen gibt, die sozi­al ver­letz­li­cher sind als ande­re. Das Virus trifft alle gleich“, so war zu hören. Noch rich­ti­ger ist aber: Das Virus trifft nicht alle gleich.“

NEUE WIRTSCHAFT

Hoff­nung gebe es nur, so vie­le in der Umfra­ge, an der sich über­durch­schnitt­lich vie­le Aka­de­mi­ker betei­ligt haben, wenn das neo­li­be­ral-kapi­ta­lis­tisch gepräg­te Wirt­schafts­sys­tem in eine öko­so­zia­le Markt­wirt­schaft umge­baut wer­de. Chan­cen dafür bestün­den der­zeit vie­le: Die staat­li­che Unter­stüt­zung der Kon­zer­ne oder von Flug­li­ni­en soll­te ver­bind­lich an nach­hal­ti­ge öko­lo­gi­sche Umbau­pro­gram­me gebun­den werden.

Zum der­zeit glo­bal domi­nan­ten Wirt­schafts­sys­tem gehört, so die Ana­ly­sen der Kom­men­ta­re in der Umfra­ge, des­sen Bin­dung an die Kon­sum­be­reit­schaft der Bevöl­ke­rung. Sie erin­nern an den pol­ni­schen Sozio­lo­gen Zyg­munt Bau­mann, der ange­lehnt an den Phi­lo­so­phen Des­car­tes for­mu­lier­te: Con­su­mo ergo sum!“ (Ich kon­su­mie­re, also bin ich!) Gewerk­schaf­ten, wel­che in Gehalts­ver­hand­lun­gen die Trumpf­kar­te der Stär­kung der Kauf­kraft aus­spie­len, kämp­fen nicht nur für Arbeits­plät­ze, son­dern stüt­zen zugleich das neo­ka­pi­ta­lis­ti­sche Wirtschaftssystem.

Wird es der glo­ba­li­sier­ten Wirt­schaft gelin­gen, die gro­ßen Her­aus­for­de­run­gen gemein­sam zu meis­tern: die neue sozia­le Fra­ge, die durch die Digi­ta­li­sie­rung aus­ge­löst und durch die Pan­de­mie beschleu­nigt wird, sowie die öko­lo­gi­sche Fra­ge, um die Welt auch für kom­men­de Gene­ra­tio­nen bewohn­bar zu erhal­ten? Füh­ren­den Frau­en und Män­nern auf der inter­na­tio­na­len Büh­ne schwebt eine Ent­wick­lung zu einer öko­so­zia­len Markt­wirt­schaft“ vor, wel­che jenen Kapi­ta­lis­mus ablö­sen kön­ne, durch den die Armen wie die Natur leiden.

NACHDENKLICHKEIT

Wäh­rend der Pan­de­mie schrieb der Köl­ner Psy­cho­the­ra­peut Man­fred Lütz in der Rhei­ni­schen Post“ in einem Bei­trag: Ober­fläch­li­che Gewiss­hei­ten ver­schwin­den, aber dadurch schaut man viel­leicht auch mal ein biss­chen tie­fer. Tat­säch­lich ist es ja so, dass alle Men­schen ster­ben müs­sen. Alle. Wir den­ken im All­tag nur nicht dau­ernd dar­an und das muss man auch nicht. Aber im Moment kann man die­ser Rea­li­tät weni­ger gut aus­wei­chen. Und das Beson­de­re ist, dass wir das alle gleich­zei­tig kol­lek­tiv erleben.“

Die Stu­die dämpft sol­che spi­ri­tu­el­le Zuver­sicht, löscht sie aber nicht ganz aus. Ledig­lich Vier von Zehn stim­men der Aus­sa­ge zu: Die Men­schen wer­den sich ihrer Ver­wund­bar­keit und Sterb­lich­keit bewuss­ter sein.“

Die Men­schen wer­den sich ihrer Ver­wund­bar­keit und Sterb­lich­keit bewuss­ter sein.”

Kölner Psychotherapeut Manfred Lütz

Die Wei­sen der gro­ßen Reli­gio­nen der Welt haben ein­mü­tig gelehrt, dass wir im Ange­sicht des Todes mensch­lich wach­sen und rei­fen. Herr, leh­re uns unse­re Tage zäh­len, damit wir ein wei­ses Herz gewin­nen“, so lässt uns der Psalm 90 sin­gen. Sind wir in der Pan­de­mie wei­ser gewor­den? Das hängt wohl auch damit zusam­men, ob es uns gelingt, unse­re ange­sichts der Ver­wund­bar­keit tief­sit­zen­de Angst vor der End­lich­keit und dem Tod zu zäh­men. Wir leben immer mit die­ser Angst, ob sie uns bewusst ist oder nicht. Die wach­sen­de Zahl der Toten hat zumal bei Risi­ko­grup­pen laut Stu­die viel­fäl­ti­ge Ängs­te geweckt. Die­se sind nicht grund­los. Wir kön­nen ler­nen, sie zu ver­ste­hen. Dabei wer­den wir kei­nes­wegs stän­dig mit dem gro­ßen Tod“ kon­fron­tiert, den jeder in sich trägt“, wie Rai­ner M. Ril­ke dich­te­te. Viel­mehr sind es oft die nähe­ren Ängs­te, vor dem Ver­lust gelieb­ter Men­schen, denen wir nicht ein­mal beim Ster­ben bei­ste­hen kön­nen, vor dem Ver­lust der Arbeit oder dem Kol­laps eines Familienbetriebs.

Nun gilt es aber, so leh­ren heu­te vie­le Fach­leu­te, die sich mit dem Men­schen und der Gesell­schaft beschäf­ti­gen, dass es nicht nur dar­um gehe, die Angst zu ver­ste­hen, obgleich das schon sehr wich­tig ist. Wich­ti­ger ist es, zu ler­nen, in der Angst zu bestehen. Das gelingt, wenn Ver­trau­en stär­ker wird als die Angst. Ver­trau­en bil­det sich in der klei­nen fami­lia­len Welt, in er wir leben und ein­an­der trau­en. Ver­trau­ens­bil­dend wirkt eine Poli­tik mit ruhi­ger Hand, die zugibt, dass sie selbst am Ler­nen ist, an die­sem Vor­gang aber die Men­schen maxi­mal beteiligt.

Ver­trau­en ist nicht zuletzt ein gro­ßes Gut, das uns ver­tief­te Reli­gi­on schen­ken kann. Reli­gi­on dient nicht in ers­ter Linie der Moral, son­dern der Ver­bun­den­heit des Men­schen mit Gott. Das bes­te Gegen­mit­tel gegen unse­re Angst, zumal jener vor dem Tod, ist Gott­ver­trau­en. Vie­le in den Kir­chen haben die­se Lek­ti­on auch gelernt und in der Coro­na-Zeit prak­ti­ziert. Sie sind nicht nur den Ver­ein­sam­ten zur Sei­te gestan­den, haben sich um über­for­der­te Allein­er­zie­hen­de geküm­mert, die mit dem Ler­nen daheim über­for­dert waren. Zu all dem aber haben kirch­li­che Gemein­schaf­ten vie­len Men­schen in ana­lo­gen und vir­tu­el­len Got­tes­diens­ten jenes Ver­trau­en in Gott bestärkt, wel­ches uns unauf­ge­regt auch in den Ängs­ten der Coro­na-zeit bestehen lässt. Gott war nicht im Lockdown.

Von Prof. em. Paul M. Zulehner 

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