Soziales

Bestattungskultur im Wandel

Redaktion am 14.11.2022

2022 11 14 pb alb thorsten benkel Foto: privat
Die Menschen trauern zunehmend „individualisiert und autonom“. Das ist ein Ergebnis der Forschungen von Dr. Thorsten Benkel, der sich seit Jahren intensiv mit dem Themenbereich Sterben, Tod und Trauer beschäftigt.

Tod und Trauer sind Bestandteile des Lebens, die jeden Menschen betreffen. Was sich jedoch, besonders in der jüngeren Vergangenheit, zunehmend verändert hat, ist der Umgang damit.

Wäh­rend vor weni­gen Jah­ren noch die Erd­be­stat­tung die klar über­wie­gen­de Form der Bestat­tung war, steigt der Anteil an Feu­er­be­stat­tun­gen immer wei­ter an. Für das Jahr 2021 mel­de­te etwa die Stadt Mün­chen einen Anteil an Urnen­bei­set­zun­gen von 68,8% und auch in wei­te­ren baye­ri­schen Städ­ten wie Nürn­berg, Würz­burg und Bam­berg wur­den in den ver­gan­ge­nen Jah­ren bereits 70% der Bestat­tun­gen als Urnen­be­stat­tun­gen durch­ge­führt. Auch deutsch­land­weit steht laut dem Bun­des­ver­band Deut­scher Bestat­ter die Erd­be­stat­tung mit 28% der Feu­er­be­stat­tung mit 72% gegenüber. 

Dr. Thors­ten Ben­kel ist Aka­de­mi­scher Ober­rat für Sozio­lo­gie an der Uni­ver­si­tät Pas­sau und forscht zum The­men­be­reich Ster­ben, Tod und Trau­er. Jeder von uns wird ster­ben, jeder von uns wird irgend­wann tot sein. Das ist so all­täg­lich, dass ich mich irgend­wann dafür inter­es­siert habe, war­um das so rela­tiv wenig erforscht wird“, beschreibt er sein For­schungs­in­ter­es­se. Mit Hil­fe qua­li­ta­ti­ver sozio­lo­gi­scher For­schung konn­te er eini­ge Trends in der Bestat­tungs­kul­tur im Lauf der Zeit erken­nen. Ins­ge­samt trau­ern Men­schen zuneh­mend indi­vi­dua­li­siert und auto­nom“. Auf den Fried­hö­fen gehe die Ten­denz weg vom kol­lek­ti­ven Fami­li­en­grab und hin zur indi­vi­du­el­len Gestal­tung der Grab­stät­te: Je indi­vi­du­el­ler, des­to stär­ker scheint es Men­schen bei der Trau­er­be­wäl­ti­gung zu unter­stüt­zen.“ An den Grä­bern wer­de vor allem zurück­ge­blickt auf das, was der Ver­stor­be­ne geleis­tet habe. Die Dar­stel­lung des­sen, was ihn zu Leb­zei­ten aus­ge­macht hat, sei mit der Haupt­trend in der Bestat­tungs­kul­tur. All­tags­ge­gen­stän­de an den Grab­stät­ten sol­len auch Frem­den zei­gen, die­ser Mensch war beson­ders und einzigartig“. 

2022 11 14 pb alb grab Foto: Roswitha Dorfner
Die Bestattungskultur ist im Wandel.

Fried­hö­fe fun­gie­ren all­ge­mein als Trau­er­or­te, das Inter­es­se an sol­chen öffent­li­chen Trau­er­or­ten neh­me aber in der indi­vi­dua­li­sier­ten Welt ab, so Ben­kel. Trotz­dem: Der Fried­hof ist kein Aus­lauf­mo­dell, er hat ein­fach nur Kon­kur­renz bekom­men.“ Neben der klas­si­schen Urnen­bei­set­zung wer­den auch Natur­be­stat­tun­gen immer belieb­ter, eben­so wie bei­spiels­wei­se die Auf­be­wah­rung von Urnen im eige­nen Zuhau­se. Letz­te­res ist grund­sätz­lich jedoch in Deutsch­land nach wie vor ille­gal. Hier­in lie­ge auch ein Grund, der die klas­si­sche Bestat­tung auf Fried­hö­fen in Deutsch­land an Attrak­ti­vi­tät ver­lie­ren las­se: eine star­re Regu­lie­rung der Bestat­tun­gen arbei­te ent­ge­gen des wach­sen­den Wun­sches nach Libe­ra­li­sie­rung, so Dr. Thors­ten Benkel. 

Eben­so im Wan­del sei der Stel­len­wert von Reli­gi­on im Trau­er­pro­zess, wie der Sozio­lo­ge beschreibt. Als klas­si­scher Trost­ge­ber“ funk­tio­nie­re der Glau­be heu­te weni­ger gut als noch vor eini­gen Jahr­zehn­ten, da er die Men­schen nicht mehr aus­rei­chend trös­te. Auch hier gehe der Trend wie­der in Rich­tung Auto­no­mie. Mit­tels Bas­tel­re­li­gio­nen“ bei­spiels­wei­se in Form von eso­te­ri­schen Vor­stel­lun­gen wol­len die Men­schen ihre Trau­er selbst­be­stimm­ter gestal­ten, so Ben­kel. Die Zahl der öffent­li­chen Bestat­tun­gen neh­me ab, vor allem in Groß­städ­ten. Bei Trau­er­fei­ern erin­ne­re Rock-Musik oder die Titel-Melo­die von Star Wars an den Ver­stor­be­nen. Wie­der ande­re las­sen die Asche des Ver­stor­be­nen zu einem Dia­man­ten pres­sen. Das alles sind Bei­spie­le für indi­vi­dua­li­sier­te Trauer. 

„Der tote Körper ist nicht mehr das Relevanteste“

All­ge­mein sei zu beob­ach­ten, dass Groß­städ­te die Trends vor­ge­ben. Es gibt einen Ver­zö­ge­rungs­ef­fekt“, erklärt Ben­kel. Den­noch sei er sich sicher, dass Klein­städ­te und Dör­fer die Trends irgend­wann nach­ho­len wer­den, auch wenn dies mit­un­ter auch Jahr­zehn­te dau­ern kön­ne. Einer die­ser Trends, der den Sozio­lo­gen aktu­ell beschäf­ti­ge, sei die Delo­ka­li­sie­rung, die vor allem mit der Digi­ta­li­sie­rung fort­schrei­te. So gibt es online vir­tu­el­le Grä­ber, Start-Ups ver­su­chen, Ver­stor­be­ne zwei­di­men­sio­nal wie­der zum Leben zu erwe­cken, und künst­li­che Intel­li­genz chat­tet aus der Per­spek­ti­ve eines ver­stor­be­nen Men­schen mit des­sen Ange­hö­ri­gen. Die Lei­che, der tote Kör­per, das ist gar nicht mehr das Rele­van­tes­te. Das ist nicht der Ort der Trau­er“, so Ben­kel. Statt­des­sen gebe es Mög­lich­kei­ten, über den Tod hin­aus ver­bun­den zu blei­ben. Und das spielt sich vor allem digi­tal ab“.

Text: Tami­na Friedl

Buchtipp

2022 11 14 pb alb cover ungewoehnliche grabsteine

Thors­ten Benkel/

Mat­thi­as Meitzler: 

Game Over

Gestat­ten Sie, dass ich lie­gen bleibe

In bei­den Büchern haben die Autoren eine Samm­lung von unge­wöhn­li­chen Grab­stei­nen aus rund 1.200 Fried­hö­fen in 26 Län­dern zusam­men­ge­stellt und geben auf die­se Wei­se einen mit­un­ter humor­vol­len Über­blick über Trends der Bestattungskultur. 

KiWi, Taschen­buch, 9,99 Euro 

ISBN: 9783462049053

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