Soziales

„Ein bisserl Glitzer muss schon sein“

Redaktion am 14.11.2022

2022 11 11 pb alb ursula gschwendtner adventskalender Foto: Roswitha Dorfner
Im SchokoLaden: das kleine Traditionsgeschäft von Ursula Gschwendtner ist voll von Adventskalendern in allen Größen und Formen.

Ursula Gschwendtner hat in ihrem „SchokoLaden“ eine Vielfalt ganz besonderer Adventskalender.

Ein leich­ter Druck gegen die von Alter und Wet­ter ver­zo­ge­ne Holz­tür, den Tür­griff gleich­zei­tig etwas anhe­ben und dann vor­sich­tig öff­nen. Die Laden­glöck­chen schep­pern, fein und dünn – wie das Besche­rungs­glöck­chen an Hei­lig­abend – und schon steht man im Scho­ko­La­den von Ursu­la Gschwendt­ner. Wobei in der Advents­zeit die Bezeich­nung Laden für das klei­ne Tra­di­ti­ons­ge­schäft in der Alt­öt­tin­ger Kapu­zi­ner­stra­ße 12 wohl eher unter­trie­ben ist, ver­wan­delt es sich doch ab Anfang Okto­ber Tag für Tag mehr in eine Wun­der­kam­mer – voll von Advents­ka­len­dern in allen Grö­ßen und For­men, mit allen nur erdenk­li­chen Moti­ven, mit kalo­rien­rei­chen Fül­lun­gen von Zart­bit­ter bis Nou­gat­süß und natür­lich mit ein bis­serl Glit­zer“, denn der gehört für die Laden­in­ha­be­rin ein­fach zu einem klas­si­schen Papier­ad­vents­ka­len­der dazu.

Als die Fami­lie Gschwendt­ner 1878 ihr ers­tes Geschäft im ober­baye­ri­schen Alt­öt­ting eröff­ne­te, begann sich vor allem in groß­bür­ger­li­chen evan­ge­li­schen Fami­li­en in Deutsch­land das Weih­nachts­fest und damit auch die Advents­zeit sehr zu ver­än­dern. Weih­nach­ten ver­wan­del­te sich von einem kirch­li­chen Hoch­fest in ein bür­ger­li­ches Fami­li­en- und Geschen­ke­fest, dass auch den Zeit­läuf­ten ent­spre­chend päd­ago­gisch ent­deckt wur­de. Nur wohl­ge­fäl­li­ge Kin­der konn­ten dem­nach hof­fen, unter dem Weih­nachts­baum beschert zu wer­den. Und so wur­de der Advent, in dem sich die Chris­ten­heit spi­ri­tu­ell auf die Geburt Jesu Chris­ti vor­be­rei­tet, eben­falls für Kin­der päd­ago­gisch instru­men­ta­li­siert und ritua­li­siert: Brie­fe an das Christ­kind muss­ten geschrie­ben, Geschen­ke für Eltern und Geschwis­ter gebas­telt, Plätz­chen geba­cken und Weih­nachts­lie­der aus­wen­dig gelernt wer­den. Jetzt hat­ten Kin­der die Gele­gen­heit, vier Wochen lang ihre gro­ßen und klei­nen Sün­den, die sie unter dem Jahr began­gen hat­ten, durch bes­tes Beneh­men, beson­de­ren Fleiß und Mit­hil­fe im Haus­halt wett­zu­ma­chen, um dann am Hei­lig­abend beschenkt zu wer­den. Um die Bedeu­tung die­ser vier Wochen sicht­bar zu machen, dach­ten sich Pas­to­ren, Eltern und Erzie­her im 19. Jahr­hun­dert Zähl­hil­fen aus.

Impressionen von Adventskalendern aus Ursula Gschwendtners SchokoLaden

Eine der ers­ten und bekann­tes­ten ist der Advents­kranz. Der evan­ge­li­sche Theo­lo­ge Johann Hin­rich Wichern hat­te den in Nord­deutsch­land bereits bekann­ten Brauch eines mit Ker­zen geschmück­ten Wagen­ra­des auf­ge­grif­fen. Er bestück­te sei­nen Advents­kranz aber mit 24 Ker­zen, 19 klei­ne rote für die Wochen­ta­ge und vier dicke Wei­ße für die Sonn­ta­ge. 1838 ent­zün­de­te Wichern ihn erst­mals im Rau­en Haus, einem Wai­sen­haus, in Hamburg.

Fried­rich von Bodel­schwingh, eben­falls evan­ge­li­scher Theo­lo­ge und der Grün­der der Bodelschwingh’schen Anstal­ten in Bethel, beschreibt wenig spä­ter den Brauch des Advents­bäum­chens, an das 24 Tage lang Tex­te mit Bibel­ver­sen gehängt wer­den. Doch auch in katho­li­schen Fami­li­en berei­te­ten sich die Kin­der im Advent auf Wei­hach­ten mit Zähl­hil­fen vor. Der seli­ge Pater Rupert May­er, auf­ge­wach­sen im Schwä­bi­schen in einer kin­der­rei­chen Fami­lie, erzählt dar­über in einem Advents­brief: So hat­te man bei uns zu Hau­se am Abend des 30. Novem­ber in Anwe­sen­heit der Eltern und Kin­der 25 Krei­de­stri­che in das Inne­re eines alten Spiel­schranks, der im Kin­der­zim­mer stand, gemacht. In Gegen­wart von klein und groß durf­te jeden Abend eines der Geschwis­ter in bestimm­ter Rei­hen­fol­ge einen Strich aus­lö­schen. Jeden Abend nahm die Span­nung zu. So ging das bis zum 24. Dezem­ber. Wel­che Freu­de, wenn nur noch ein Strich da war!“

Neben Krei­de­stri­chen und Ker­ben an Tür­rah­men kennt Ursu­la Gschwendt­ner, deren Mut­ter aus dem benach­bar­ten Ober­ös­ter­reich stamm­te, selbst noch den Brauch des Stroh­halm­ste­ckens. Sie sagt: Mei­ne Mama war eine sehr reli­giö­se Frau, die ger­ne die Tra­di­tio­nen ihrer Inn­viert­ler Hei­mat pfleg­te. Am ers­ten Dezem­ber wur­de bei uns zuhau­se eine lee­re Krip­pe auf­ge­stellt, die wir drei Kin­der – mei­ne Schwes­ter, mein Bru­der und ich – für das Jesus­kind bis zum Hei­lig­abend pols­tern soll­ten. Wenn man artig war, durf­te man einen Stroh­halm ins Krip­perl legen, wenn man sehr artig war, sogar auch ein­mal zwei oder drei Stroh­hal­me. Aller­dings konn­te es auch pas­sie­ren, dass wir Stroh­hal­me aus der Krip­pe her­aus­neh­men muss­ten.“ Sie schmun­zelt und meint: Es ist durch­aus vor­ge­kom­men, dass das Christ­kind recht hart lie­gen musste.“

Dane­ben habe es aber auch einen Papier­ad­vents­ka­len­der mit Tür­chen gege­ben, die die Geschwis­ter abwech­selnd öff­nen durf­ten, unab­hän­gig von Fleiß oder Brav­sein. Damals hat die 66-Jäh­ri­ge Alt­öt­tin­ge­rin wohl ihre Begeis­te­rung für gra­phisch anspre­chen­de Advents­ka­len­der ent­deckt. Mir gefal­len bis heu­te am bes­ten die Niko­laus­ka­len­der mei­ner Kind­heit von Fritz Baum­gar­ten, mit ihren Zwer­gen und Tie­ren in ver­schnei­ten Win­ter­land­schaf­ten. Es gibt die­se Moti­ve, wenn auch in klei­ner Auf­la­ge seit Mit­te der 1920er-Jah­re unver­än­dert und ich lege mir jedes Jahr einen für mich zurück.“ Ihre Lie­be für die zau­ber­haf­ten klei­nen und gro­ßen Advents­ka­len­der und die Geschich­ten und Erin­ne­run­gen, die sich dahin­ter ver­ber­gen, teilt sie mit ihren Kun­din­nen und Kun­den. Eini­ge von ihnen kau­fen tat­säch­lich das gan­ze Jahr über Advents­ka­len­der, hän­gen sie auf oder sam­meln sie. Und so macht sich Ursu­la Gschwendt­ner auch im nächs­ten Jahr für sie wie­der auf die Suche nach unge­wöhn­li­chen Moti­ven und For­ma­ten, und zwar genau in der Woche nach Ostern, denn da bestellt sie dann wie­der ihre Kalen­der, die klei­nen, die gro­ßen, die süßen – mit 24 oder auch 32 Türchen.

Text: Maxi­mi­lia­ne Saal­frank / Fotos: Ros­wi­tha Dorfner

Die ersten Weihnachtskalender

1908 liegt der ers­te Weih­nachts­ka­len­der Im Land des Christ­kinds“, gedruckt bei F. Reich­hold. Lith. Kunst­an­stalt Mün­chen, dem Neu­en Tag­blatt Stutt­gart“ bei. Die Zeich­nun­gen stam­men von Richard Ernst Kep­ler, die 24 Ver­se von Ger­hard Lang. 1906 war im Münch­ner Stadt­an­zei­ger“ bereits H. Schreiber’s Mün­che­ner Weih­nachts-Kalen­der“ als Bei­la­ge erschie­nen. Die Inno­va­ti­on Langs ist es, die Bild­spra­che zeit­ge­nös­si­scher Kin­der­bü­cher und Aus­schnei­de­bö­gen auf­zu­grei­fen und spe­zi­ell einen Kalen­der­in­halt nur für Kin­der zu schaf­fen. Auch der gefüll­te Advents­ka­len­der geht auf Ger­hard Lang zurück, sei­ne Mut­ter hat­te ihm 24 Wibe­le, ein tra­di­tio­nel­les Bis­kuit­klein­ge­bäck aus dem Hohen­lo­her Land, auf einen Kar­ton genäht. In den 1920er-Jah­ren ent­stand so in Zusam­men­ar­beit mit dem Köl­ner Süß­wa­ren­her­stel­ler Stollwerck der ers­te mit Scho­ko­la­de gefüll­te Kalender.

Text: Maxi­mi­lia­ne Saalfrank

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