Weltkirche

Wir brauchen einen Mentalitätswandel

Redaktion am 04.11.2024

2024 11 04 pb alb hans zollner Foto: Susanne Schmidt / pbp
Kinderschutzexperte Hans Zollner bei seinem Vortrag bei der KEG Deggendorf.

Vatikan-Experte Dr. Hans Zollner erklärt, wie die Kirche den Missbrauch aufarbeiten und Prävention nachhaltig verankern kann.

Seit 2010 arbei­tet die katho­li­sche Kir­che in Deutsch­land inten­siv dar­an, die bekannt gewor­de­nen Fäl­le sexu­el­len Miss­brauchs durch Pries­ter und kirch­li­che Mit­ar­bei­ter auf­zu­ar­bei­ten. Trotz umfang­rei­cher Maß­nah­men wie Schutz­kon­zep­te, Leit­li­ni­en und Prä­ven­ti­ons­schu­lun­gen blei­ben die Fort­schrit­te, ins­be­son­de­re im Umgang mit den Betrof­fe­nen, nach wie vor hin­ter den Erwar­tun­gen vie­ler zurück. Einer der füh­ren­den Exper­ten auf die­sem Gebiet, Dr. Hans Zoll­ner, Jesu­it und Kin­der­schutz­ex­per­te, beton­te bei einem Vor­trag bei der KEG Deg­gen­dorf, dass ein tief­grei­fen­der Men­ta­li­täts­wan­del erfor­der­lich sei, um die Prä­ven­ti­on von Miss­brauch in der Kir­che nach­hal­tig zu verankern.

Ein zen­tra­ler Bestand­teil die­ses Wan­dels sei das soge­nann­te Safe­guar­ding“. Der Begriff beschreibt eine umfas­sen­de Prä­ven­ti­ons­stra­te­gie, die sich nicht nur auf den Schutz von Min­der­jäh­ri­gen und vul­ner­ablen Per­so­nen kon­zen­triert. Safe­guar­ding umfasst viel­mehr alle Maß­nah­men, die siche­re Räu­me, siche­re Pro­zes­se und siche­re Bezie­hun­gen schaf­fen, um ein siche­res Umfeld und respekt­vol­les Mit­ein­an­der zu beför­dern. In kirch­li­chen Insti­tu­tio­nen bedeu­tet dies, dass Schutz­kon­zep­te in alle Berei­che des kirch­li­chen Lebens inte­griert wer­den – von Schu­len und Kin­der­gär­ten über Pfar­rei­en bis hin zu Alten­hei­men und Kran­ken­häu­sern. Es rei­che nicht, for­ma­le Leit­li­ni­en und Schu­lun­gen zu imple­men­tie­ren. Das Bewusst­sein für den Schutz der Men­schen­wür­de müs­se tief im kirch­li­chen All­tag ver­an­kert sein.

Pater Zoll­ner unter­strich, dass Prä­ven­ti­ons­ar­beit zwar nach­weis­lich wir­ke – die Anzahl der Neu­an­schul­di­gun­gen sei dort gesun­ken, wo Schu­lun­gen und Maß­nah­men ernst­haft umge­setzt wor­den sei­en. Doch die Her­aus­for­de­rung bestehe dar­in, die­se Kon­zep­te in der gesam­ten Struk­tur der Kir­che zu ver­an­kern. Es gehe dar­um, so Zoll­ner, dass man inner­lich über­zeugt ist, dass Men­schen in Wür­de zu behan­deln und ihnen mit Respekt zu begeg­nen, ein Zei­chen des Evan­ge­li­ums ist.“

Bei einer gene­rel­len Sen­si­bi­li­sie­rung aller Betei­lig­ten geht es zudem dar­um, dass man die Augen auf­macht, die Ohren auf­macht und das Herz auf­macht, wenn sich jemand mit­tei­len will – und dann den Mund auf­macht, wenn es not­wen­dig ist.”

Dr. Hans Zollner zum Thema Präventionsschulungen

Im Jahr 2014 war Zoll­ner Mit­be­grün­der der Päpst­li­chen Kin­der­schutz­kom­mis­si­on, mit der ein wich­ti­ges Signal an die Welt­kir­che gesen­det wur­de. Seit­her ist das Bewusst­sein für Miss­brauchs­fäl­le in der Kir­che welt­weit gestie­gen. Beson­ders in der Prä­ven­ti­ons­ar­beit, bei­spiels­wei­se durch Schu­lun­gen und Leit­li­ni­en, sei viel erreicht wor­den. Doch die Auf­ar­bei­tung und der Umgang mit den Ver­bre­chen blei­be eine gro­ße Her­aus­for­de­rung. Wo wir wirk­lich nicht gut sind, bis heu­te nicht, ist im Zuge­ben von dem, was an Ver­bre­chen im Namen der Kir­che gesche­hen ist, auch im Namen oder durch Ver­tre­te­rin­nen und Ver­tre­ter der Kir­che. Da fällt uns bis heu­te sehr schwer, tat­säch­lich zu sagen: Da ist so viel Schlim­mes gesche­hen, auch durch Ver­tre­ter der Kir­che“, erklärt Zoll­ner. Der Spa­gat zwi­schen den Erfol­gen in der Prä­ven­ti­on und den Schwie­rig­kei­ten im Umgang mit den Betrof­fe­nen müs­se wei­ter auf­ge­löst werden.

Für Zoll­ner ist klar: Eine rei­ne Imple­men­tie­rung von Prä­ven­ti­ons­maß­nah­men reicht nicht aus. Es bedarf eines Men­ta­li­täts­wan­dels im kirch­li­chen Sys­tem, der sich über Gene­ra­tio­nen erstre­cken wird. Miss­brauch wird es immer geben“, sagt Zoll­ner rea­lis­tisch, aber was wir tun kön­nen, ist, dass wir ein Umfeld schaf­fen, in dem sol­che Taten schwe­rer durch­zu­füh­ren sind.“ Es gehe dar­um, Men­schen zu sen­si­bi­li­sie­ren und sie zu ermu­ti­gen, auf­merk­sam zu sein und zu han­deln, wenn sie etwas Unge­wöhn­li­ches bemerken.

Prä­ven­ti­ons­schu­lun­gen spiel­ten dabei eine zen­tra­le Rol­le. Sie wür­den nicht nur dazu bei­tra­gen, poten­zi­el­le Täter abzu­schre­cken, son­dern sen­si­bi­li­sier­ten auch das Umfeld. Bei einer gene­rel­len Sen­si­bi­li­sie­rung aller Betei­lig­ten geht es zudem dar­um, dass man die Augen auf­macht, die Ohren auf­macht und das Herz auf­macht, wenn sich jemand mit­tei­len will – und dann den Mund auf­macht, wenn es not­wen­dig ist.“ 

Als wei­te­ren bedeut­sa­men Punkt sprach Zoll­ner den rich­ti­gen Umgang mit den Betrof­fe­nen an: Mei­ne Erfah­rung ist, dass es die Betrof­fe­nen‘ nicht gibt. Die Grup­pe der Betrof­fe­nen ist sehr unter­schied­lich in ihren Erwar­tun­gen und in ihren For­de­run­gen.“ Vie­le von ihnen for­der­ten Trans­pa­renz, Auf­ar­bei­tung und Ver­ant­wort­lich­keit von der Kir­che. Zen­tral ist, dass kirch­li­che Stel­len den Betrof­fe­nen zuhö­ren und auf das ein­ge­hen, was sie äußern“, so Zoll­ner. Dabei müs­se jede betrof­fe­ne Per­son indi­vi­du­ell gehört wer­den, denn ihre Bedürf­nis­se und For­de­run­gen sind viel­fäl­tig: Man­che for­der­ten finan­zi­el­le Ent­schä­di­gun­gen, ande­re spi­ri­tu­el­le Beglei­tung oder ein­fach nur eine Aner­ken­nung ihres Leids. Was die meis­ten jedoch eine, sei der Wunsch nach Über­nah­me von Ver­ant­wor­tung und die kla­re Aner­kennt­nis der Schuld. Denn es habe in der Ver­gan­gen­heit der Kir­che oft an der Bereit­schaft, Ver­ant­wor­tung zu über­neh­men, gefehlt.

Zoll­ner sah eine lang­fris­ti­ge Auf­ga­be dar­in, Safe­guar­ding als fes­ten Bestand­teil des kirch­li­chen Lebens zu eta­blie­ren. Insti­tu­tio­nen welt­weit müss­ten nicht nur for­ma­le Maß­nah­men umset­zen, son­dern das Prin­zip des Schut­zes und der Ach­tung der Men­schen­wür­de fest im Kon­text ihrer Kul­tur inte­grie­ren. Dabei gehe es nicht nur um die Ein­rich­tung von Prä­ven­ti­ons­stel­len, son­dern dar­um, dass alle kirch­li­chen Akteu­re – von der Basis bis zur Füh­rung – die­ses Bewusst­sein ver­in­ner­lich­ten. Es bedür­fe mehr denn je eines Men­ta­li­täts­wan­dels im kirch­li­chen System.

Sei­ne Arbeit am Insti­tut für Anthro­po­lo­gie in Rom, das er lei­tet, zie­le dar­auf ab, Men­schen welt­weit in der Prä­ven­ti­ons­ar­beit zu schu­len. Er betont, dass dies beson­ders in den Län­dern wich­tig sei, in denen das Bewusst­sein für Miss­brauch noch nicht so stark aus­ge­prägt sei.

Die katho­li­sche Kir­che hat im Bereich der Prä­ven­ti­on von Miss­brauch bereits viel erreicht, doch der Weg zur umfas­sen­den Auf­ar­bei­tung und zur Imple­men­tie­rung einer nach­hal­ti­gen Schutz­kul­tur sei lang. Safe­guar­ding müs­se in allen kirch­li­chen Berei­chen zum Stan­dard wer­den – ein Ziel, das Pater Hans Zoll­ner als Gene­ra­tio­nen­auf­ga­be betrach­tet. Nur durch einen tief­grei­fen­den Men­ta­li­täts­wan­del kön­ne die Kir­che zu einem siche­ren Ort für alle werden.

Schmidt Susanne

Susanne Schmidt

Bischöfliche Pressesprecherin

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