Ein sonniger Freitagnachmittag im Frühling 1994: Der fleißige Thomas Rösch mäht im Freizeitlook in seinem Garten in Passau-Heining den Rasen. Auf einmal klingelt das Telefon: „Rösch, ich möcht’ Sie gern kennenlernen, kommen S’ doch jetzt gleich zum Vorstellungsgespräch in mein Büro“, sagte der legendäre und früh verstorbene Diözesanbaumeister Josef Lechner. Kurz darauf betritt Thomas Rösch in kurzen Hosen und leicht verschwitzt zum ersten Mal den Ort, an den er in den nächsten 31 Jahren fünf Mal die Woche so gern – dann natürlich immer sauber mit Hemd und Sakko – gehen wird.
Ende dieses Jahres wird er zum letzten Mal um kurz vor halb neun Uhr mit seiner grauen Aktentasche durch den Torbogen des Domplatzes 3 marschieren und im zweiten Obergeschoss emsig seine Arbeit, zuletzt als stellvertretender Diözesanbaumeister, Gebietsreferent und Leiter der Stabsstelle Arbeitsschutz, verrichten. Der 65-Jährige geht in Rente. Eine Institution legt die letzten Steine seiner beruflichen Baustelle.
„Wenn ich durchs Bistum fahre, denke ich mir immer wieder: ‚Wow, an der Renovierung oder dem Neubau habe ich ja auch mitgewirkt’“, erzählt Rösch. „Es ist schön, zu sehen, dass etwas bleibt.“ Rund 700 Kirchen zählt das Bistum, etwa die Hälfte hat Rösch schon von innen gesehen.
Einen wie ihn wird es nicht mehr geben: Thomas Rösch beansprucht als Dienstältester im Diözesanbauamt nicht nur zahlreiche Superlative für sich, seine Stelle wird auch nicht nachbesetzt. Der Grund: Rationalisierungsmaßnahmen. „Mir tut es nur für die Kollegen leid. Ich sehe das Arbeitspensum, das schon jetzt sehr hoch ist, obwohl wir sechs Gebietsreferenten sind.“
Foto: Privat/pbp
Der 65-Jährige hinterlässt in doppelter Hinsicht eine Lücke. Seit knapp 20 Jahren ist er neben seiner Bauamts-Tätigkeit auch Leiter der Stabsstelle Arbeitsschutz. Rösch hatte die Stelle von seiner Vorgängerin Renate Voggenreiter als Ein-Mann-Posten übernommen, inzwischen arbeiten neben ihm zwei Voll- und zwei Teilzeitkräfte in der Abteilung. Als Leiter der Stabsstelle musste er eine eineinhalbjährige Ausbildung absolvieren. Rösch arbeitete damals weiter Vollzeit, am Abend und an den Wochenenden wurde gepaukt.
Der Paukenschlag folgte bald nach seinem Ausbildungsabschluss: Am 22. Dezember 2007 stürzte in Eggenfelden eine instabile Kanzel zu Boden. Mit ihr zwei Personen, die darauf beim Christbaumschmücken standen und sich verletzten. Rösch veranlasste daraufhin, alle Kanzeln und Emporen im Bistum auf ihre Statik zu überprüfen. Auch sorgte er dafür, dass jede Pfarrei einen eigenen Arbeitsschutzordner anlegte: „Wer schreibt, der bleibt“, kommentiert er.
Oft habe Rösch sich beim Arbeitsschutz „wie ein Missionar“ gefühlt. Er zitiert den Kirchenlehrer Augustinus: „Nur wer selbst brennt, kann in anderen Feuer entfachen.“ Rösch mag solche kleinen Sprüche. In fast jeder Situation hat er eine passende Parole parat. Das zeigt sich auch in seinem Büro: Links neben der Tür hängt ein Zitat des Philosophen Arthur Schopenhauer.
Büros erzählen Geschichten – zumindest wenn man 31 Jahre drin war. In Röschs Zimmer riecht es leicht nach Rauch. Auch die rechteckige Ausbeulung in seiner Hemdtasche verrät sein Laster. „Ich war der Letzte, der hier im Haus drinnen geraucht hat“, so Rösch. Seit 2010 muss er für eine Zigarette an die frische Luft gehen.
Sein Büro ist wahrlich ein Papierpalast. „Nur das Genie überblickt das Chaos – und ich finde immer alles.“ Wieder einer von seinen Sprüchen. Doch nicht nur Akten und Ordner sind in Röschs Büro zu finden, auch liegen dort ein weißer Baustellenhelm und schwere Sicherheitsschuhe. „Ungefähr einen Tag in der Woche verbringe ich auf der Baustelle und schaue, wie die Projekte so laufen.“
In über 30 Jahren am selben Arbeitsplatz entwickelt man so seine Eigenheiten, das kann auch Thomas Rösch nicht leugnen. Da wäre die Thermoskanne Kaffee, die neben einer Tasse auf einem alten Schmierpapier rechts von seinem PC steht. Rösch bringt sie jeden Morgen von daheim mit (Zitat: „Da weiß ich, was drinnen ist.“). An der Wand hängt ein Plakat der Gemeinde Nonnenhorn am Bodensee (Zitat: „Blau beruhigt.“). Außerdem findet man an der Pinnwand eine von Rösch gefertigte Zeichnung. Darauf ist eine knorrige Eiche zu sehen, gezeichnet mit dem Tuschefüller. „Die stammt noch aus dem zweiten Semester meines Architekturstudiums“, erinnert sich Rösch. Von 1980 bis 1984 studierte er Architektur in Regensburg.
Sich sorgen, dass es ihm künftig langweilig wird, braucht sich niemand: Der Technikprofi betreut die Homepage des Heininger Sponti-Chors und der Leukämiehilfe Passau. Ersteren hat seine Frau Christl 1994 spontan, daher der Name, gegründet. Rösch singt dort als Tenor mit und spielt Gitarre. Mit den sechs Saiten beschäftigt er sich seit fünf Jahrzehnten.
Rösch bleibt seinen Leidenschaften treu, das ist nicht nur am Arbeitsplatz oder bei der Musik so, sondern auch beim Ministrieren in St. Paul. Ganze 17 Jahre ging sein Dienst am Altar. „Kurz nach meiner Hochzeit 1985 habe ich dann aufgehört“, erinnert sich der studierte Architekt. Seine Frau Christl hätte Rösch nie ohne das Ministrieren kennengelernt: „Ich war Oberministrant, sie Pfarrsekretärin in St. Paul“, lacht der Lektor und Kommunionhelfer. Sohn Markus, 39, und Tochter Steffi, 37, natürlich beide ehemalige Ministranten wie der Papa, machten schließlich das Familienglück perfekt. Mit den vier Enkeln hat der stolze Opa viel Freude.
In Heining kennt man ihn, dabei ist Rösch als gebürtiger Münchner im Alter von einem Jahr mit seinen Eltern in die Passauer Altstadt gezogen und dort auch aufgewachsen. Mit Freunden aus dem Heininger Sponti-Chor sowie Dr. Ralf-Peter Filipp gründete Rösch 2005 die Passauer Leukämiehilfe. Seine simple Begründung: „Warum nicht helfen, wenn man es kann?“ Auf den stellvertretenden Diözesanbaumeister kann man bauen.
Gab es in all der Zeit einmal ein Lieblingsprojekt? Rösch seufzt. „Es hat alles Spaß gemacht“, meint er. Jedes Projekt hatte seinen eigenen Reiz, doch eines blieb immer gleich: „Mir war es wichtig, ein gutes Verhältnis mit den Kirchenpflegern vor Ort zu haben. Ärger gab es nie.“ Auch im Büro im Domplatz 3 war Rösch eine gute Stimmung unter den Kollegen immer wichtig.
Sekretärin Sigrid Sexlinger macht Rösch in Sachen Dienstjahren fast Konkurrenz, sie feierte heuer ihr „30-Jähriges“. „Mei, er wird schon sehr abgehen“, meint Sexlinger. „Es ist halt keiner so pflichtbewusst wie er.“ Auch Röschs Vorgesetzter Jochen Jarzombek hat nur Lob für ihn übrig: „Er ist eben ein richtiger Bauseelsorger, einer, der im Bistum Baugeschichte geschrieben hat.“
Text: Anna Kelbel


