
Oft war die Autorin des Editorials unserer aktuellen Ausgabe 26-2025 im St. Ursula Hospiz Niederalteich und hat gerade auch dort festgestellt wie wertvoll das Leben ist.
Das darf doch jetzt nicht wahr sein! In diesen Tagen ist mir in der Redaktion eine Einladung auf den Schreibtisch geflattert: Das St. Ursula Hospiz Niederalteich feiert Anfang Juli das 10. Jubiläum. Ich kann mich noch so gut an meinen ersten Besuch dort wenige Tage vor der Eröffnung erinnern. Da wurde geschrubbt und geräumt, da wurden noch die Fenster auf Hochglanz geputzt, Materialien eingeräumt. Damit bei der Eröffnung dann alles tipptopp war. Und das ist schon zehn Jahre her? Wahnsinn!
In den vergangenen Jahren kam ich oft ins Hospiz, um darüber zu berichten. Und ich war jedes Mal beeindruckt von der Atmosphäre, von der Seele dieser Einrichtung. Todkranke, die im Hospiz Gäste genannt werden, ließen mich bei Gesprächen teilhaben an der Fülle ihres Lebens und Sterbens. „Dem Leben nicht mehr Tage, sondern den Tagen mehr Leben geben!“, lautet das Motto.
So mancher Patient dort erzählte mir von der Dankbarkeit, in den letzten Lebenstagen in einer Umgebung sein zu dürfen, die so gut tut. Ich besuchte das Küchenteam, das alles gibt, um den Gästen auf ihrer letzten Wegstrecke ihre Leibspeisen zu servieren. Ich war beim Weinfest dabei, bei Gottesdiensten und beim Aufräumen im Herbst. Oft habe ich in den vergangenen Jahren im Hospiz den Baum im Hof betrachtet, an den für jeden verstorbenen Patienten ein Band gehängt wurde. Der Baum ist im Laufe der Jahre immer bunter geworden. Und jedes Band steht für einen verstorbenen Menschen und seine unverwechselbare Geschichte. Für das, was er oder sie getan hat oder nicht getan hat. Für die Möglichkeiten, die er oder sie ergriffen hat oder ungenutzt verstreichen ließ und die es mit dem Tod dann nicht mehr gab.
Und das ist für mich die wertvollste Erkenntnis aus meinen Besuchen im Hospiz: Wie unglaublich kostbar jeder Tag unseres Lebens ist. An jedem Morgen können wir uns neu entscheiden: Wollen wir uns heute bewusst Zeit nehmen für unsere Lieben, unsere Freundschaften pflegen, endlich einen langgehegten Traum verwirklichen, einen Streit beenden, die Beziehung mit Gott neu beleben? Oder wird es wieder ein Tag im Hamsterrad des Alltags werden, an dem wir rotieren und funktionieren? Unzufrieden. Bis es irgendwann zu spät ist. Weil wir erkennen, dass „nichts mehr geht“. Dass viel schneller als erwartet das letzte Stück des Weges angebrochen ist. Manche Bewohner im Hospiz haben von dieser bitteren Erkenntnis gesprochen, als sie merkten, dass sie die Träume und Pläne, die sie jahrelang verschoben haben, nun kurz vor dem Lebensende endgültig begraben müssen.
Wir können unsere Lebenszeit besser nutzen als damit, nur zu funktionieren. Wir haben die Chancen und Möglichkeiten noch, die Todkranke eben nicht mehr haben. Das Leben ist unendlich wertvoll und jeder Tag steckt voller Möglichkeiten, dem Leben mehr Sinn zu geben. Nutzen wir diese Chancen, so lange es geht!
