Frech ist er, der Herbst, weil er Lebensfreude und Erwartungen weckt – nur um uns kurz darauf einen Streich zu spielen: mit warmem Sonnenschein lockt er uns hinaus – und lässt uns dann eiskalten Wind um die Ohren sausen; er verzaubert uns mit bunten Blättern und raschelndem Laub – und besprengt uns mit Graupel und Regen; er schickt uns weiches, goldenes Licht – und blendet uns mit Nebel; er belebt uns mit frischer würziger Luft – und jagt uns frierend ins Innere; er verschont uns mit Blumengießen und Rasenmähen – und verdonnert uns zum Hausputz; er vertreibt die lästigen Mücken – und erschrickt uns mit großen Spinnen in den Zimmern …
Dann lädt uns der Herbst ein zum Entspannen und Genießen: zu einer schönen warmen Tasse Tee bei Kerzenschein; zu einem schönen Glas Wein mit allerlei Nüssen vor dem Fernseher im Wohnzimmer; zum spannenden Roman unter der kuscheligen Wolldecke auf dem Sofa; zu duftenden saftigen Schwammerln in der Küche; zum leckeren Apfel- und Nusskuchen in der Backstube … Doch aufgepasst! Der Herbst hat uns nur etwas vorgemacht. Wenn er uns die ersten Schneeflocken schickt, fällt es uns siedend heiß wieder ein und plötzlich wird es hektisch: der Jahres-Endspurt beginnt, der Jahresabschluss in der Arbeit, die Planung für das neue Jahr, der große Run auf die Geschäfte, am besten noch vor dem Advent, aber mindestens vor Weihnachten, …
Eines steht also fest: Fad ist er gewiss nicht, der Herbst!
Aber allzu beliebt ist er auch nicht. Umfragen zufolge mögen den Herbst nur rund zehn Prozent der Deutschen. Unbeliebter ist nur der Winter, der ihm folgt. Klar, nicht jeder freut sich über freche Jahreszeiten. Und ja, der Herbst kann mit seinen grauen nebligen Tagen, mit dem Blick auf eine verstummende, verfallende Natur auch stark aufs Gemüt schlagen. Aber tun wir dem Herbst nicht ein wenig Unrecht? Er bietet immerhin ein besinnlich-nachdenkliches Erntedankfest und fröhlich-gesellige Kirchweihfeiern. Viele Gaststuben sind das ganze Jahr über geöffnet und gerade in dieser Jahreszeit besonders gemütlich. Niemand muss einsam Trübsal blasen.
Herbst – Impressionen
Fotos: Roswitha Dorfner
Zweifellos ist der Herbst sehr beliebt bei Wallfahrern. Vor allem im September und im Rosenkranzmonat Oktober sind traditionell viele unterwegs (siehe dazu auch Ausgabe Nr. 39 – 2022: Wallfahrts‑Seite 18 und Kindergeschichte Seite 36). Das herbstliche Wetter – nicht zu heiß, nicht zu kalt – ist ideal. Vielleicht ist es auch die Stimmung im Herbst, die zum Pilgern animiert: mal bunt, sonnig und lebensfroh, mal grau, trüb und nass – oft sind es ja gerade die Gegensätze, die neue Perspektiven eröffnen. Wer Erfahrungen mit sich selbst, mit Anderen, mit der Natur und mit Gott machen möchte, der hat jetzt beste Möglichkeiten.
Eine sehr gute Bekannte hat mir kürzlich verraten, wieso sie den Herbst von allen Jahreszeiten am liebsten mag: „Weil die Farben wechseln, weil die Tage rauer werden und den Winter ankündigen, weil dieser Umbruch zur kalten, kargen Zeit angenehm und bunt daherkommt und weil der Herbst ein schöner Ausklang ist für das, was im nächsten Frühjahr sowieso wieder kommt.“
Auf letzteres hat auf seine ureigene freche Art übrigens auch Heinz Erhardt in einem seiner Gedichte hingewiesen:
„Im Herbst bei kaltem Wetter / fallen vom Baum die Blätter – Donnerwetter! // Im Frühjahr dann / sind sie wieder dran. – Sieh mal an.”
In diesem Sinne wünscht einen hoffentlich schönen Herbst:
Michael Glaß
Readkteur