
Pater Viktrizius Weiß OFMCap wird rund um seinen langjährigen Wirkungsort Altötting besonders verehrt. Im Interview zum 100. Todestag am 8. Oktober erklärt Pater Marinus Parzinger Werdegang und Wirkung seines Ordensbruders.
Bruder Marinus, in welcher Zeit lebte der Kapuziner Viktrizius Weiß?
Bruder Marinus: Es war eine Zeit des Um- und Aufbruches, die von Säkularisierung, einer Krise in Kirche und Orden und der industriellen Revolution geprägt war. Das alles hat gesellschaftlich sehr viel in Bewegung gebracht. Bayern war zu der Zeit ländlich geprägt, es gab viele kinderreiche Familien. Viktrizius Weiß hatte es in dieser Zeit eher gut erwischt: Sein Vater war Arzt, der insgesamt 15 Kinder hatte. Einige sind im Kindesalter verstorben, sechs haben studieren können und eine gute Schulbildung erhalten. Eine seiner Schwestern war Ordensoberin. Viktrizius‘ Mutter war sehr begabt und präsent im Leben des jungen Viktrizius. Sie hat ihm das Religiöse vermittelt.
Waren Politik und die Fragen der Zeit prägend für seinen Werdegang?
Bruder Marinus: Es gibt da recht wenig in den Quellen. Aber er war schon sehr auf das Kloster fokussiert. Er hat sich der Welt nicht völlig entzogen, aber er hatte – ähnlich wie Bruder Konrad – einen Blick fürs Transzendente. Dennoch muss man sagen: Er muss schon auch sehr realistisch und praxisorientiert gewesen sein, denn sonst hätte er seine Arbeit als Provinzial nicht so gut machen können. Er hat die Dinge gut abgewogen, hat zugehört. Er war ein nachdenklicher Mensch, der niemanden in Schubladen gesteckt hat. Sein Ansatz für Veränderung war immer: Ich will es vorleben, durch meine Haltung etwas ins Positive wenden.
Waren seine Entscheidungen in der Leitung des Ordens Antworten auf soziale Fragen der Zeit?
Bruder Marinus: Wie immer in Leitungsämtern kommt ja auch viel auf einen zu, nicht alles ging von ihm aus. Dennoch hat er wichtige Dinge in die richtige Bahn gebracht, etwa das Kinderhilfswerk der Kapuziner, das „Seraphische Liebeswerk“, aber auch Pfarrei-Gründungen wie in München. Viele seiner Entscheidungen wirkten gut und richtig in die Gesellschaft hinein. Es war kein Zufall, dass der Orden unter seiner Verantwortung deutlich wuchs.
„Pater Viktrizius Weiß hat niemanden in Schubladen gesteckt.”
Viktrizius Weiß hat in der gleichen Zeit, zum Teil am gleichen Ort, gelebt wie der heilige Bruder Konrad. Was verbindet die Ordensbrüder?
Bruder Marinus: Ich habe den Eindruck, dass sich die beiden vom Typ gar nicht so unähnlich waren. Das betrifft vor allem die Entschlossenheit, mit der sie ihr Kapuzinerleben gelebt haben. Natürlich waren sie von der Herkunft verschieden, der eine kam aus einer Arztfamilie und besaß eine entsprechend gute Ausbildung, der andere war Landwirt und Bauer. Beide kamen aus Niederbayern und sie haben gemeinsam in Altötting gelebt, als Viktrizius Weiß Provinzial war. Beide haben das schlichte Leben als Kapuziner gewählt. Sie hatten einen Blick, der über den Alltag hinausgeht, und das Transzendente und das Heil des Menschen in den Fokus nimmt. Beide Ordensleute waren keine Mitläufer, sondern sie lebten das, was sie für sich verstanden hatten, mit aller Kraft, radikal und entschieden. Ihr Gottvertrauen war stark.

Heißt es eigentlich Pater Viktrizius oder Bruder Viktrizius?
Bruder Marinus: Bei uns Kapuzinern ist es üblich, dass wir alle „Brüder“ sind. Es gibt keinen Unterschied zwischen Brüdern mit Priesterweihe und Brüdern mit anderen Berufungen. So wollte es auch der heilige Franz von Assisi. Für die meisten Menschen, und auch für mich, das gebe ich zu, ist „Pater Viktrizius“ gewohnter, denn in der damaligen Zeit war die Bezeichnung „Pater“ für einen Ordenspriester üblich. Aber ich bin auch sicher: Viktrizius Weiß war bescheiden, demütig und brüderlich auf seinem Weg. Er hätte vermutlich kein Problem damit gehabt, wenn er mit „Bruder Viktrizius“ angesprochen worden wäre.
Ist dieser Mitbruder für Sie ein Vorbild?
Bruder Marinus: Das ist eine schwere Frage, denn sein Leben liegt 100 Jahre zurück. Es war eine andere Zeit. Dennoch gibt es manches, das mir vertraut vorkommt und beispielhaft ist, auch für mich ganz persönlich. Er hat als Diözesanpriester mit guter Promotion und Karrierechancen ein einfaches Leben gewählt – eine klare Entscheidung, die er dann zu hundert Prozent gelebt hat. Er war sehr franziskanisch unterwegs, kein abgehobener Akademiker. Ich schätze ihn für seinen Mut, er war konsequent in seinen Handlungen als Provinzial. Er hat versucht, gerecht zu sein, hat sich sehr im Urteil über andere zurückgenommen. Er war radikal und mutig, ging an die Wurzel. Da muss ich ganz persönlich sagen: Ich besitze diese Konsequenz und Klarheit nicht unbedingt, da dient er mir schon zum Vorbild.
Viktrizius Weiß war ein „ehrwürdiger Diener Gottes“. Was bedeutet das eigentlich?
Bruder Marinus: Dieser Begriff ist Teil des Seligsprechungsprozesses, der zurzeit bei ihm läuft. So ein Prozess ist nichts, das geplant oder gemacht wird, sondern er startet im Volk Gottes. Er startet durch die Verehrung einer Frau oder eines Mannes durch die Menschen vor Ort. In diesem Prozess geht es darum, zu prüfen, ob jemand zum Segen für andere geworden ist. Ob er etwas von Gottes Güte in diese Welt getragen hat. Viktrizius Weiß war geschätzt als geistlicher Begleiter und Beichtvater, er war sehr bekannt im Volk, auch der Bischof war schon zu Lebzeiten auf ihn aufmerksam geworden. Aus der Bevölkerung kam nach der Beerdigung in Vilsbiburg der Wunsch, ihn vom Klosterfriedhof zu holen und in der Kirche beizusetzen. Das wurde vom Bischof erlaubt und so begann der Prozess. Es wurden eine historische Gruppe eingesetzt, sein Leben beschrieben und alle Dokumente gesammelt.
Was war Ziel dieser Kommission?
Bruder Marinus: Sie stellt den Tugendgrad fest. Es geht nicht darum, dass der Mensch keine Fehler machen darf, sondern darum, dass er sich erfolgreich bemüht hat, Glaube, Hoffnung und Liebe zu leben. Das ist ein festgelegtes Verfahren, viele, die ihn kannten, wurden befragt. So entsteht ein Bild. Durch den Krieg wurde die Arbeit unterbrochen, am Ende liegt alles beim Papst. Dieser bestätigte im Jahr 1979 Viktrizius Weiß den sogenannten „heroischen Tugendgrad“. Deswegen darf er nun „ehrwürdiger Diener Gottes“ genannt werden. Das ist alles die Vorarbeit für eine mögliche Selig- oder Heiligsprechung.
Nun braucht es ein Wunder.
Bruder Marinus: So ist es. Das ist alles klar geregelt, mit medizinischen Gutachten, Pro und Contra. Am Ende entscheidet wieder der Papst: Ist eine Seligsprechung nun dran? Passt derjenige in die Zeit? Inwieweit ist er ein Vorbild? Bei Viktrizius Weiß gibt es bisher noch kein durch diesen Prozess bestätigtes Wunder.
Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einem Seligen oder einem Heiligen?
Bruder Marinus: Es braucht ein Wunder, um eine Seligsprechung zu erreichen, für eine Heiligsprechung ein weiteres Wunder. Vom Prozess und der Vorbereitung gibt es also gar keinen großen Unterschied, es geht eher um die Bekanntheit. Ein Seliger hat regionale Bedeutung und wird üblicherweise vor Ort seliggesprochen. Heilige werden in Rom heiliggesprochen und gelten als Vorbilder für die Weltkirche.
Was sind Heilige für Sie?
Bruder Marinus: Heilige sind für mich Menschen, durch die es anderen leichter wird, an Gott zu glauben. Sie bringen eine Facette ins Leben, in den Glauben. Mit ihrer Art, wie sie gelebt haben, machen sie das Christliche konkreter. Menschen streben nach Glück, sie versuchen das Richtige zu tun. Die Kirche will durch Selige und Heilige Vorbilder aufzeigen, die Gott nahe sind und eine Brücke zu Gott sein können.
Wie blicken Sie auf den Seligsprechungsprozess von Viktrizius Weiß?
Bruder Marinus: Ich habe einige Berührungspunkte zu Heiligen, die mir viel bedeuten. Ich feiere sie gerne, weil ich glaube, dass der Glaube eine Konkretheit bekommt, wenn man sich konkrete Beispiele ins Leben hereinholt. Wir brauchen Orientierung. Viktrizius Weiß war einer, der nicht polarisiert hat, der die Menschen gesehen hat und sehr bescheiden lebte. Das ist für mich zeitgemäß. Und damit ist er heute schon – auch ohne Seligsprechung – für mich ein Vorbild.
Interview: Tobias Rauser
Pater Viktrizius Weiß OFMCap – Lebenslauf
Am 18. Dezember 1842 wurde Anton Nikolaus Weiß in Eggenfelden geboren. Nach dem Abitur studierte er ab 1861 Philosophie und Theologie in München und wurde am 29. Juni 1866 zum Priester geweiht. In kurzer Zeit promovierte er zum Doktor der Theologie. Er wurde 1875 in den Kapuzinerorden aufgenommen und bekam den Namen Viktrizius. 1884 wählten ihn die Brüder erstmals zum Provinzial. Insgesamt wurde er fünf Mal in diese Aufgabe berufen. In seiner Zeit stellte er wichtige Weichen für die Zukunft des Ordens. Am 8. Oktober 1924, also vor 100 Jahren, starb er in Vilsbiburg im „Ruf der Heiligkeit“. Er galt als geduldiger Zuhörer, ein Menschenfreund, einer, der etwas von Gottes Güte spüren ließ. 1935 wurde der Prozess zur Seligsprechung eröffnet.
Das Lieblingsgebet von Pater Viktrizius Weiß lautet:
Herr, gib mir Liebe, eine starke, glühende Liebe zu dir und wegen deiner zu allen Menschen und zu allem Guten. Gib mir Starkmut, dass ich alle Welt für unbedeutend ansehe, wenn sie sich zwischen dich und mich stellen wollte. Gib mir Treue in dem Beruf, zu dem du mich erwählt hast, und die Gnade recht Vieles und Großes darin zu wirken, in tiefster Demut und reinster Absicht, und tilge meine Sündenschuld. Amen.