Glaube und Tradition

Lebensnah und skurril

Redaktion am 16.12.2024

2024 12 13 pb alb silvester feuerwerk Foto: Roswitha Dorfner
„Freuen wir uns darauf, wie wir und freuen, wenn uns ein Kind geboren wird. Lachen wir es an, das neue Jahr, lächeln wir ihm zu!“ (Charles Dickens, 1812-1870, englischer Schriftsteller). Im Bild: Silvester-Feuerwerk auf dem Altöttinger Kapellplatz.

In der Neujahrsnacht spielen Liebe, Sympathie und das Hoffen auf künftiges Glück eine große Rolle – aber auch Unsicherheit und Angst, was die Zukunft bringen mag. All das spiegeln vielfältige Bräuche wieder.

Gefühlt acht Wochen vor Neu­jahr tau­chen sie in den Rega­len der Süß­wa­ren­ab­tei­lun­gen auf: pin­ke Schwein­chen, Glücks­wür­fel, vier­blät­te­ri­ger Klee, Schorn­stein­fe­ger, Huf­ei­sen und Mari­en­kä­fer – aus Mar­zi­pan, Per­si­pan oder Scho­ko­la­de. Und so will es schei­nen, immer öfter auch chi­ne­si­sche Glücks­kek­se, inklu­si­ver ihrer nichts- und alles­sa­gen­den Botschaften. 

Dane­ben lässt sich in unse­ren Brei­ten seit eini­gen Jah­ren auch über­ra­schen­des Brauch­tum rund um Neu­jahr beob­ach­ten. In den Aus­la­gen vie­ler Wäsche­ge­schäf­te setzt man auf rote Des­sous – ganz so wie in Ita­li­en. Nach dem Vor­bild bekann­ter Orte an Nord- und Ost­see badet auch der Bay­er mitt­ler­wei­le das neue Jahr bei eisi­gen Was­ser­tem­pe­ra­tu­ren an, von kuli­na­ri­schen Aneig­nun­gen wie etwa dem in Spa­ni­en übli­chen Zwölf-Trau­ben-Essen um Mit­ter­nacht ganz zu schwei­gen. Bewusst aus­ge­spart blei­ben hier Geschich­ten übers eher wenig tra­di­tio­nel­le Neu­jahrs­an­schie­ßen, geheim­nis­vol­le Rauh- und Los­näch­te, Frau Percht, Räu­cher­werk und Ener­gie­ri­tua­le. Sie sind seit eini­ger Zeit The­ma in Frau­en­zeit­schrif­ten und Life­sty­le­ma­ga­zi­nen, und zwar immer dann im Dezem­ber, wenn es beson­ders gefühl­voll, ver­spon­nen und rät­sel­haft her­ge­hen muss.

Tat­säch­lich spiel­te das Brauch­tum an Neu­jahr im bäu­er­lich gepräg­ten Alt­bay­ern bis ins 19. Jahr­hun­dert eine nach­ran­gi­ge Rol­le. Erst im Bie­der­mei­er (18151848) hiel­ten Neu­jahrs­bräu­che, die eigent­lich aus der städ­ti­schen Lebens­welt stamm­ten, Ein­zug auf dem Land. Hau­sie­rer brach­ten Neu­jahrs­kar­ten mit Sprü­chen und bis­lang unbe­kann­ten Glücks­sym­bo­len mit. Illus­trier­te Blät­ter wie die Gar­ten­lau­be“, bebil­der­te Kalen­der und Alma­na­che, die sie eben­falls ver­kauf­ten, zeig­ten den Men­schen auf dem Land wie in der Stadt Sil­ves­ter und Neu­jahr gefei­ert wur­de. Schnell erfreu­te sich das Blei­gie­ßen gro­ßer Beliebt­heit, ähnel­te es doch sehr dem Eier­ora­kel, das man in der Nacht zu Neu­jahr all­jähr­lich prak­ti­ziert hat­te. Hüh­ner­ei­er wur­den in eine Schüs­sel mit Was­ser geschla­gen. Aus der Form, wie Dot­ter und Eiweiß inein­an­der ver­lie­fen, inter­pre­tier­te man die Zukunft. Klei­ne Tup­fen oder Rüb­chen ver­spra­chen Reich­tum, ein Sarg stand für den Tod.

Und doch zeigt ein Blick in die Ver­gan­gen­heit, dass gera­de der ers­te Tag im Jahr eini­ges an Beson­der­hei­ten zu bie­ten hat, unnach­ahm­lich, bis­wei­len skur­ril, oft lebens­nah, aber auch berüh­rend. Das fängt mit dem Datum des Neu­jahrs­ta­ges an und endet beim soge­nann­ten Kra­geln, einer wahr­lich sehr spe­zi­el­len Form des Baju­wa­ren, sich mit roher kör­per­li­cher Gewalt ein gutes neu­es Jahr zu wün­schen. Doch blei­ben wir beim Neu­jahrs­tag, der über vie­le Jahr­hun­der­te nicht am 1. Janu­ar, son­dern über­all in Euro­pa an Ostern oder spä­ter im Lenz gefei­ert wur­de. Immer wie­der ver­such­te die Obrig­keit dies zu unter­bin­den, im frü­hen Mit­tel­al­ter durch Kai­ser Karl II., in der Neu­zeit der spa­ni­sche König Feli­pe II. für sein Welt­reich genau­so wie sein Habs­bur­ger Ver­wand­ter Mit­te des 18. Jahr­hun­derts, als man mit­tels eines kai­ser­li­chen Erlas­ses, den Flo­ren­ti­nern und Pisan­ern end­lich den 1. Janu­ar als Neu­jahrs­tag auf­zwin­gen woll­te, was die­se nicht scher­te. Selbst die Anord­nung von Papst Inno­zenz XII., der 1691 fest­leg­te, dass für alle Katho­li­ken am 1. Janu­ar das neue Jahr begän­ne, wur­de igno­riert, zu sehr schien man der alten Idee ver­haf­tet, dass der Auf­bruch ins Neue nur mit dem Früh­ling, mit dem Aus­schla­gen der Bäu­me, dem Wie­der­erstar­ken von Fau­na und Flo­ra zu tun haben kann. Gera­de­zu salo­mo­nisch lös­ten aller­dings die Eng­län­der das Pro­blem des ein­zig wah­ren Neu­jahrs­tags. Das Par­la­ment leg­te den 1. Janu­ar dafür fest, die angli­ka­ni­sche Staats­kir­che fei­er­te den 1. Advents­sonn­tag als ers­ten Tag des neu­en Jah­res und die Bür­ger blie­ben beim 25. März.

2024 12 13 pb alb goldenes roessl Foto: Roswitha Dorfner
Vielfältiges Neujahrsbrauchtum: Von wertvollsten Geschenken wie dem Goldenen Rössl – heute in der Altöttinger Neuen Schatzkammer zu bewundern (...)

Dem gan­zen war bereits 1310 der kirch­li­che Ver­such vor­aus­ge­gan­gen, Neu­jahr mit dem Weih­nachts­tag zu ver­ei­nen. Er schlug fehl, doch wünscht man sich bis heu­te in einem Atem­zug ein geseg­ne­tes Weih­nachts­fest und Pro­sit Neu­jahr. Auch für Alt­öt­ting ist das Zusam­men­le­gen von Neu­jahr und Weih­nach­ten im Mit­tel­al­ter immer noch von gro­ßer, ja größ­ter Bedeu­tung, birgt der Gna­den­ort doch in sei­ner Schatz­kam­mer das wert­volls­te Neu­jahrs­ge­schenk über­haupt, das Gol­de­ne Rössl – ursprüng­lich im Jah­re 1404 im Auf­trag der fran­zö­si­schen Köni­gin Isa­beau de Baviè­re, einer Wit­tels­ba­che­rin, zum Jah­res­wech­sel für ihren Gemahl König Karl VI. gefertigt. 

Zu den his­to­ri­schen Beson­der­hei­ten eines baye­ri­schen Neu­jahrs­ta­ges gehört der legen­dä­re Zop­fer­lass der baye­ri­schen Armee des noch jun­gen Königs­reichs. In alten Gar­ni­sons­städ­ten heißt es bis heu­te, dass man 1806 am 1. Janu­ar, nicht nur in der Nähe der Kaser­nen durch Zöp­fe wate­te – vom Oberst abwärts muss­ten sich die Sol­da­ten ihre lan­gen Haa­re abschnei­den las­sen, sehr zur eige­nen Freu­de, waren sie wegen der Län­ge, der Dicke und der Bin­de­tech­nik ihres Zop­fes unglaub­li­chen Schi­ka­nen aus­ge­setzt gewesen.

Unge­wöhn­li­ches aus alten Tagen, das bis heu­te Bestand hat, kann man für den Neu­jahrs­tag auch aus dem ober­pfäl­zi­schen Cham berich­ten. Dort schenkt man sich an Neu­jahr ein beson­ders Gebilde­brot, einen fünf­za­cki­gen Kamm aus Honig­leb­ku­chen, mit Zucker­guss ver­ziert. Der Leb­zel­ten wird nur zwi­schen Weih­nach­ten und Neu­jahr geba­cken, sei­ne Form gleicht dem Sil­ber­kamm im Stadt­wap­pen. Frü­her erhiel­ten die Dienst­bo­ten und Kin­der, die zum Neu­jahr­wün­schen kamen, das selt­sa­me Gebäck genau­so wie Paten und Per­so­nen, die man sich gewo­gen machen woll­te. Dass sich Lie­ben­de am ers­ten Tag des Jah­res ein beson­ders schön gestal­te­tes Exem­plar über­reich­ten, ver­steht sich fast von selbst.

2024 12 13 pb alb apfel Foto: Maximiliane Heigl-Saalfrank
(...) über Neckereien bis hin zu Weissagungen mittels Bleigießen, aus zerschlagenen Eiern oder aufgeschnittenen Äpfeln reicht die Bandbreite.

Über­haupt spielt die Lie­be, spie­len Sym­pa­thie und das Hof­fen auf künf­ti­ges Glück eine gro­ße Rol­le in der letz­ten und zugleich ers­ten Nacht des Jah­res, in der man glaubt, in die Zukunft sehen zu kön­nen. Dazu brauch­te es nur einen Apfel. Die Zahl der Ker­ne weis­sag­te, ob eine Hoch­zeit ins Haus stand, die Apfel­scha­le über Schul­ter und Kopf gewor­fen, zeig­te aus wel­cher Rich­tung der Bräu­ti­gam kam. War kei­ne Frucht zur Hand muss­ten Pan­tof­feln und Mün­zen als gleich­wer­ti­ge Wurf­ge­schos­se her­hal­ten. Bei aller Schwär­me­rei konn­te es in die­ser Nacht zwi­schen­mensch­lich auch recht kon­kret wer­den. Ein Stück­chen Mar­zi­pan ent­schied dar­über, wer mit Erlaub­nis der Eltern als künf­ti­ger Schwie­ger­sohn am Kam­mer­fens­ter der Toch­ter erschei­nen durf­te. Hei­rats­wil­li­ge Män­ner gin­gen, so die Erzäh­lung, in klei­nen Grup­pen zum Haus eines Mäd­chens, das alle sym­pa­thisch fan­den und baten um Ein­lass. Die Toch­ter des Hau­ses ver­teil­te dann Gebäck, nur der Favo­rit bekam ein Stück­chen Mar­zi­pan, das von ihr vor aller Augen in zwei Hälf­ten gebro­chen wur­de. Für alle ande­ren Män­ner ist damit unver­brüch­lich klar, wer der künf­ti­ge Hoch­zei­ter ist.

Es wird auch erzählt, dass man Buben und jun­ge Män­ner am Neu­jahrs­tag ins Haus bit­ten soll, man ver­sprach sich davon Glück und Segen fürs gan­ze Jahr. Alte Frau­en hin­ge­gen ließ man nicht ein, fürch­te­te man doch dann um den Bestand der Ehe im kom­men­den Jahr. Über­haupt spiel­te das Öff­nen des Hau­ses in der Neu­jahrs­nacht eine gro­ße Rol­le. Beim zwölf­ten Stun­den­schlag, wenn die Glo­cken vom Kirch­turm das neue Jahr ankün­dig­ten, riss man die Fens­ter, andern­orts sogar die Haus- und Stall­tü­re auf, damit das alte Jahr ver­schwin­den und das neue Jahr ein­tre­ten kann. Im Land zwi­schen Inn und Salz­ach war es bis zur Auf­klä­rung üblich, auf dem Küchen­tisch einen Laib Brot, Salz und ein Mes­ser bereit­zu­le­gen, damit es die gut­ha­ben, die in die­ser Nacht aus dem Jen­seits erscheinen. 

Die lei­sen Momen­te der Unsi­cher­heit und Angst, was die Zukunft brin­gen mag, tre­ten völ­lig in den Hin­ter­grund vor den lau­ten, manch­mal unver­schämt fre­chen und nach heu­ti­ger Anschau­ung auch über­grif­fi­gen Bräu­chen, die angeb­lich das alt­baye­ri­sche Neu­jahr aus­ma­chen sol­len. Zu ihnen gehört das Neu­jahr abge­win­nen“, das in ver­schie­de­nen Aus­prä­gun­gen mit regio­na­len Unter­schie­den über­lie­fert ist. Kurz nach Mit­ter­nacht tau­chen die ers­ten Neu­jahrs­schrei­er, meist Kin­der, Wan­der­ge­sel­len und Dorf­ar­me, vor den Häu­sern auf, die sich einen Wett­be­werb dar­in lie­fern, wer der ers­te ist und mit dem größ­ten Wecken Weiß­brot, dem fet­tes­ten Schmalz­ge­ba­cke­nem und den meis­ten Klet­zen nach Hau­se gehen kann. Der Inhalt der Neu­jahrs­sprü­che, die mehr hin­aus­ge­plärrt als vor­ge­tra­gen wur­den, ähnelt sich von der Ober­pfalz bis ins Ober­land. Sind die Gra­tu­lan­ten mit der Anzahl der Schnäp­se und dem erheisch­ten Gut unzu­frie­den, kippt die Stim­mung, die Ver­se wer­den fri­vol und per­sön­lich unverschämt. 

Für Men­schen am Ran­de der dörf­li­chen Gemein­schaft war der Neu­jahrs­tag oft für lan­ge Zeit der ein­zi­ge Tag im Win­ter, um sich satt essen zu kön­nen und mit einem, wenn auch bösen Augen­zwin­kern, gesell­schaft­li­che Kri­tik äußern zu kön­nen. In der Gegend um Alt­öt­ting muss es in der Zeit um Neu­jahr beson­ders vie­le Rauf­han­del gege­ben haben. Es war hier üblich, in Grup­pen von mehr als zwan­zig Per­so­nen auf­zu­tre­ten, die sich gegen­sei­tig das Erbet­tel­te wenig char­mant abnah­men. Auch den Spen­dern begeg­ne­te man bru­tal. Dörr­obst­sä­cke, die Bau­ern für die bet­teln­den Neu­jahrs­auf­sa­ger vor­be­rei­tet hat­ten, wur­den ihnen unter Andro­hung von Gewalt ent­ris­sen. Es hieß dann lapi­dar, man war Klet­zen­bet­teln“. Doch der unge­wöhn­lichs­te Brauch phy­si­scher Archa­ik an Neu­jahr war im Chiem­gau daheim: Auch dort gab es ein Wett­ei­fern, wer als ers­ter sei­ne Segen­wün­sche für das jun­ge Jahr aus­spre­chen durf­te. Von einem Aus­spre­chen konn­te hier aller­dings kei­nes­wegs mehr die Rede sein, denn der Wün­schen­de schlich sich von hin­ten an, leg­te die Hän­de um den Hals sei­nes Opfers, würg­te es und raun­te ihm zu Was kriag i, wenn i dir Glück wünsch“.

Text: Maxi­mi­lia­ne Heigl-Saalfrank

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