In Todesanzeigen wird oft das Franz Kafka zugeschriebene Wort zitiert, dass man die Sonne langsam untergehen sehe und doch erschrecke, wenn es plötzlich dunkel wird. Für alle, die ihm nahestanden, war Peter Becker so eine Sonne. Jahrzehntelang hatte er ihnen mit seiner Klugheit, seinem schnellen Witz und seiner Leutseligkeit das Leben erhellt. Obwohl sie ahnten, dass es für ihn an der Zeit war, aus diesem Leben langsam in ein anderes hinüberzugehen, sehen sie sich nun doch mit Schrecken in einer dunkleren Welt zurückgelassen. Am Samstagabend, 19. März, ist er im Alter von 77 Jahren gestorben.
Altötting ist um einen Mann ärmer geworden, den man als einen Bürger in der umfassendsten Bedeutung des Wortes in Erinnerung behalten wird. Peter Becker war ja keiner, der sozusagen den Herrgott einen guten Mann sein ließ und behaglich dabei zusah, wie andere sich mit den Belangen des Gemeinwesens abmühten. Sich nicht wichtigtuerisch, wohl aber sinnvoll und zweckmäßig einzumischen: Dabei war allemal mit ihm zu rechnen, und da es in seiner glücklichen Natur lag, wichtige und oft auch strittige Dinge sowohl geistreich als auch auf der Basis einer umfassenden Bildung vorzutragen, nahm man seine Interventionen auch dann gern zur Kenntnis, wenn sie mit der ihm stets verfügbaren Prise Sarkasmus gewürzt waren.
Mühldorf war seine Geburtsstadt, aber da die Eltern mit den fünf Kindern bald nach dem Krieg hierherzogen, wurde Altötting seine Heimat – eine Heimat, der er umso treuer verbunden war, als er in ihrem kleinen Kosmos die reiche Geschichte des Landes und die Größe der Katholischen Kirche musterhaft repräsentiert sah. Seine weit ausgreifende humanistische Bildung erwarb er sich bei den Benediktinern in Metten und am Kurfürst-Maximilian-Gymnasium Burghausen. Nach dem Abitur 1963 wandte er sich in München dem Studium der bayerischen Geschichte und der Kunstgeschichte zu und häufte dabei einen Wissensschatz auf, aus dem er zur eigenen Freude und zum Nutzen seines Publikums zeitlebens schöpfte.
Bilder von links: Peter Becker mit Kardinal Joseph Ratzinger. // Peter Becker mit Passaus Bischof Antonius Hofmann († 11. März 2000) und Kapuzinerpater Siegfried Huber. // Peter Becker mit Reinhard Ernst beim Pfarrfamilienabend in Altötting.
Fotos: Hildegard Pollety
Sein Publikum: Das waren in erster Linie die Leserinnen und Leser des Altöttinger Liebfrauenboten, des „Boten“, wie das Blatt in Anerkennung seiner kündenden Funktion allgemein genannt wurde. Dort war Peter Beckers Vater Heinrich schon Chefredakteur gewesen, und als es mit dessen Gesundheit nicht zum Besten stand, rückte der Sohn, der inzwischen beim Trierer Volksfreund volontiert hatte, an seine Stelle.
Betrachtet man die Geschichte dieses katholischen und speziell marianischen Wochenblatts, so kann man Peter Beckers Ära, ohne anderen Epochen etwas wegzunehmen, als dessen Goldenes Zeitalter bezeichnen. Es waren 1600 Ausgaben, die Becker in diesen gut dreißig Jahren nicht nur zu verantworten hatte, sondern auch dadurch adelte, dass er die meisten der „Bildartikel“ selber schrieb: kunst‑, religions- und landesgeschichtliche Reportagen, die ihn gleichermaßen als Wort- wie als Fotokünstler auswiesen. Würde man diese Arbeiten in Bücher zusammenfassen, ergäbe das ein einzigartiges Kompendium der „Bavaria sancta“.
Für die Stadt setzte Becker sich auf vielfältige Weise ein. 18 Jahre saß er für die CSU im Stadtrat, zeitweise auch als Kulturreferent, in welcher Position er die Gründung des Kunstvereins vorantrieb und sich dank seiner exzellenten Verbindungen nach Italien für die Städtepartnerschaft mit Loreto stark machte. Dass Altötting von solch markanten Aktivitäten profitierte, versteht sich, aber noch mehr Nutzen zog es wahrscheinlich aus seiner stetigen Verfügbarkeit als das wandelnde Lexikon stadtgeschichtlichen Wissens und als unerschöpflich sprudelnder Born heimatkundlicher Fakten, Mutmaßungen und Geschichten. Da gab es wenig, was er dank seines phänomenalen Gedächtnisses nicht aus dem Stand hätte aufrufen und wiedergeben können. Doch was heißt hier „wiedergeben“: Jede seiner Schnurren war übers trocken Anekdotische hinaus ein Meisterstück heiter-verschmitzter Erzählkunst.
Bilder von links: Peter Becker mit dem Lallinger Pilgerleiter Peter Weinmann sen. // Peter Becker mit Kapuzinerpater Barnabas im Umgang der Altöttinger Gnadenkapelle. // Zwei Experten unter sich: Peter Becker im Austausch mit dem langjährigen Altöttinger Kapelladministrator DDr. Robert Bauer († 15. Juli 2001). Beide waren profunde Kenner der (Altöttinger Wallfahrts-)Geschichte.
Fotos: Roswitha Dorfner / Archiv Altöttinger Liebfrauenbote
Um nur an zwei Begebenheiten zu erinnern, die in den Fundus hiesiger Geschichten eingegangen sind, so ist deren eine die, wonach Joseph Ratzinger, kaum dass er zum Papst gewählt worden war, den von ihm überaus geschätzten Liebfrauenboten nicht mehr bekam. Sein Büro hielt das Blatt wohl nicht für papstwürdig, und so musste sich Benedikt XVI. den Boten gewissermaßen hinterrücks besorgen, nämlich über seinen Adlatus Georg Gänswein. (Die Eltern Ratzinger hatten sich seinerzeit übrigens durch eine Heiratsanzeige im Boten kennengelernt.) Die andere hat mit dem Goldenen Rössl zu tun, Altöttings wertvollstem Kleinod. Als ruchbar wurde, dass Ingolstadt unter Berufung auf frühere Zeiten das Kunstwerk für sich beanspruchte, trieb Peter Becker den Ingolstädtern mit einem virtuos historisierenden „Spott- und Schandbryef“ diese Flausen aus.
Als Peter Becker 70 wurde, würdigte ihn der Pfarrbrief als „eine Art Grundrauschen unserer Pfarrei“. Damit war generell auf sein nimmermüdes publizistisches Wirken verwiesen, näherhin aber auch auf die musikalische Seite seiner Existenz. Länger als ein halbes Jahrhundert gehörte er dem Altöttinger Pfarrchor an, dessen Bass er mit mächtiger Stimme absicherte und in dem er dadurch Staunen erregte, dass er Chorsätze, die nach einer halben Ewigkeit wieder aufs Programm gesetzt wurden, auswendig singen konnte, als wären sie gestern einstudiert worden.
Seine Lebensfreude, die das Leibliche ebenso einschloss wie das Geistige und für die ein guter Surbraten keine geringere Gottesgabe war als ein feines Deckengemälde, musste sich in den letzten Jahren damit abfinden, dass das Schicksal, das ihn reich mit Talenten beschenkt hatte, auch mit Krankheiten freigebiger ist, als einem lieb sein kann. Wiewohl ein starker und mutiger Kämpfer, musste er am Ende die Waffen strecken, und das ausgerechnet am Josefitag, an dem es dem Volksglauben nach wieder aufwärtsgehen sollte.
Um Peter Becker trauern seine Frau Eva-Maria, seine Tochter Barbara und sein Sohn Peter mit Familien. Das Requiem wird am Montag, 28. März, um 10 Uhr in der Basilika gefeiert, anschließend ist Beerdigung auf dem Friedhof C.
Text: Hermann Unterstöger