Das glauben wir

„Jesus ist mein wichtigstes Vorbild, aus dem ich meine ganze Kraft ziehe“

Redaktion am 08.01.2024

2024 01 08 pb alb michael altinger1 Foto: Maximiliane Heigl-Saalfrank
Menschenfänger und Menschenfreund. Der Kabarettist Michael Altinger im Altöttinger Kultur- und Kongresszentrum.

Der Kabarettist Michael Altinger gewährt vor seinem Auftritt in Altötting sehr persönliche Einblicke – Vierter Teil der Reihe „Altöttinger Künstlergespräche“

Eine Bun­des­stra­ße ist per defi­ni­tio­nem eine Fern­stra­ße im Eigen­tum des Bun­des. Ganz anders ver­hält es sich mit der B15. Die Bun­des­stra­ße – sie führt seit genau 90 Jah­ren von Hof in Ober­fran­ken bis an die Tiro­ler Gren­ze bei Kie­fers­fel­den – befin­det sich qua­si im Fami­li­en­be­sitz der Altin­gers, jeden­falls in deren kol­lek­ti­vem Gedächt­nis. Sie ist seit Gene­ra­tio­nen ihr gefühl­ter Lebens­fa­den zwi­schen Lands­hut und Was­ser­burg – es geht hin und her, zwi­schen den bei­den Wit­tels­ba­cher­städ­ten an Isar und Inn, die ihrem Wesen nach unter­schied­li­cher nicht sein könn­ten: hier das nie­der­baye­ri­sche Redu­zier­te, die Kon­zen­tra­ti­on auf das Wesent­li­che, schnör­kel­los und doch hin­ge­bungs­voll, wenn es sich lohnt, dort dann die ober­baye­ri­sche Gelas­sen­heit, die Lebens­lust und die Ahnung von der gro­ßen wei­ten Welt gera­de in den Städ­ten am Inn, dem Fluss, der ihnen seit Jahr­hun­der­ten Men­schen aus aller Her­ren Län­der gebracht und genom­men hat.

Und die­se Codie­run­gen muss man wohl ver­ste­hen, um nicht nur dem Kaba­ret­tis­ten, son­dern auch der Per­son Micha­el Altin­ger etwas näher zu kom­men. 1970 in Lands­hut gebo­ren, in Was­ser­burg auf­ge­wach­sen und bis heu­te dort ver­wur­zelt, ist es immer noch die B15, die Micha­el Altin­ger hin­aus­führt in die Welt sei­ner Büh­nen­auf­trit­te, ins Fern­seh­stu­dio und auf klei­nen Umwe­gen über die B12 bis­wei­len auch nach Alt­öt­ting. Und zwar schon wesent­lich län­ger als man denkt, spiel­te doch der Kapell­platz in sei­ner Ado­les­zenz eine uner­war­te­te Rol­le. Ein Spezl von mir hat­te hier eine Woh­nung, direkt am Kapell­platz. Wir haben immer noch losen Kon­takt. Der ist heu­te noch schräg drauf, das war so der Punk­typ, der hier am Ort sei­ne Foto­gra­fen­leh­re gemacht hat. Und da habe ich öfter über­nach­tet“, erin­nert sich Altin­ger lachend. Die Woh­nung, das war der größ­te Sau-stall, den ich je erlebt hab.“ Man sieht ihm heu­te noch sei­ne Ungläu­big­keit an, spürt, dass Erin­ne­run­gen in ihm hoch­stei­gen. Mein Vater hat bei der tra­di­tio­nel­len Fuß­wall­fahrt der Was­ser­bur­ger öfter das Kreuz bis nach Alt­öt­ting zum Gna­den­bild getragen.“

Kennt­nis­reich hat­te Micha­el Altin­ger vor mehr als 20 Jah­ren auch das The­ma Wall­fahrt in eines sei­ner Kaba­rett­pro­gram­me auf­ge­nom­men. Es ging um Frau­en eines fik­ti­ven katho­li­schen Frau­en­bunds auf ihrem Weg nach Lour­des, die in der Schweiz ihre Wall­fahrt abbre­chen. Er trat damals im nie­der­baye­ri­schen Vils­bi­burg auf. Das war das ers­te und ein­zi­ge Mal, dass ich mei­nen Auf­tritt unter­bre­chen muss­te. Min­des­tens fünf Minu­ten lang. Da stand eine jun­ge Frau plötz­lich aus dem Publi­kum auf, ging zu mir nach vor­ne und for­der­te in einer Inten­si­tät, die mich heu­te noch beschäf­tigt, dass ich sofort die Büh­ne ver­las­sen müs­se. Dass sei Blas­phe­mie, was ich da mache. Das müs­se auf­hö­ren. Ich war völ­lig per­plex, denn gera­de in Sachen Reli­gio­si­tät und Glau­ben bin ich sehr emp­find­sam und lote sehr genau aus, was ich der Zuhö­rer­schaft und auch mir zumu­ten möch­te und kann“.

Die Sehn­sucht nach dem Frü­her, nach dem Gewohn­ten aus der Kind­heit, das ist so über­mäch­tig gewor­den. Die Eis­bah­nen, das Schlitt­schuh­lau­fen, das Eis­stock­schie­ßen – über­all bie­ten die Kom­mu­nen die glei­chen Lösun­gen an. Künst­li­che Erin­ne­run­gen auf künst­li­chen Bahnen.”

Michael Altinger

In Alt­öt­ting kennt Altin­ger alles in- und aus­wen­dig: die Schwar­ze Madon­na, den Tod z‘Eding – und was für einen Kaba­ret­tis­ten nicht aus­blei­ben darf: die Geschich­te des ehe­ma­li­gen Post­wirts, die ihn berufs­be­dingt immer noch oder aus aktu­el­lem Anlass wie­der zu fas­zi­nie­ren scheint. Das Fata­lis­ti­sche, das Gespür für das Dra­ma­ti­sche, das Ger­hard Polt an der Wall­fahrts­stadt nach eige­nen Aus­sa­gen aus­ge­macht haben will, das scheint für Micha­el Altin­ger eben­falls Teil des Fas­zi­no­sums Alt­öt­ting zu sein. Ich habe hier im Salettl beim Schex den dich­tes­ten Auf­tritts­ort in mei­ner gan­zen Lauf­bahn erle­ben dür­fen. Das ist vie­le Jah­re her, war sen­sa­tio­nell schön, bleibt mir für immer unver­ges­sen. Das war pure Magie. Das ist der idea­le Ort für Kaba­rett und für Kaba­ret­tis­ten“. Altin­ger scheint etwas ergrif­fen zu sein, eine Spur ehr­fürch­tig, bleibt pro­fes­sio­nell und fern jeg­li­cher Nost­al­gie, ist aber für einen klei­nen Moment auch fas­sungs­los, als er erfährt, dass es die­sen legen­dä­ren Spiel­ort in Alt­öt­ting nicht mehr gibt. Er schüt­telt den Kopf, will sofort die Grün­de für die Schlie­ßung wis­sen, über­legt, was man tun kön­ne. Er ist jetzt ganz der Ver­an­stal­ter, der jun­ge Kaba­rett- und Come­dy­ta­len­te seit vie­len Jah­ren mit sei­nem Brettl för­dert. Man merkt, dass er ihnen allen die­ses Alt­öt­tin­ger Gefühl wünscht, weil das Ange­nom­men­wer­den, wie er es für einen kur­zen Augen­blick im Gewöl­be an der Kapu­zi­ner­stra­ße erfah­ren durf­te, beruf­li­che Sicher­heit gibt, lebens­lang. Das muss reak­ti­viert wer­den, unbe­dingt, sofort“, sagt er.

Altin­ger sitzt dabei im Forum, dem Alt­öt­tin­ger Kul­tur- und Kon­gress­zen­trum, er war­tet auf sei­nen Auf­tritt, ahnend, dass der magi­sche Moment heu­te wohl nicht ein­tre­ten wird. Es ist der Tag des dich­tes­ten Schnee­falls seit Jahr­zehn­ten. Das Land wird in einer wei­ßen Uto­pie ver­sin­ken. In zwei Stun­den betritt er die Büh­ne, Sound­check, Umzie­hen, Kon­zen­tra­ti­on. Vor sei­nen Auf­trit­ten isst er nichts, sagt er. Er möch­te heu­te in Alt­öt­ting etwas Neu­es aus­pro­bie­ren, mit einem neu­en Musi­ker. Raiff­ei­sen­saal. Der Name irri­tiert ihn, Altin­ger fragt nach. Hier ist es eigent­lich für jeman­den wie ihn, den Men­schen­fän­ger und Men­schen­freund, zu groß, zu distan­ziert, zu per­fekt, zu grau.

Das Publi­kum habe sich ver­än­dert, sagt er, es sei dank­ba­rer als noch in den Vor­jah­ren für Zer­streu­ung. Er hat das Gefühl, dass die Besu­cher sei­ner Auf­trit­te sich mehr als frü­her eine Aus­zeit neh­men wol­len, sich eine klei­ne Zeit­span­ne gön­nen möch­ten, frei von Kon­fron­ta­ti­on und Exis­tenz­angst. Sie wol­len im Leben abge­holt wer­den. Er höre jetzt oft nach sei­nen Auf­trit­ten den glei­chen Satz: Dan­ke, dass ich heu­te bei Ihnen frei lachen durf­te.“ Er beob­ach­te das und ana­ly­siert, dass auch das Lachen in der Gemein­schaft einen höhe­ren Stel­len­wert gewon­nen habe. Über­haupt sagt er, sei es offen­sicht­lich, dass ein Ver­lan­gen nach Nost­al­gie im Raum ste­he, nach ver­trau­ter Woh­lig­keit im Mit­ein­an­der, nach Momen­ten kind­li­chen Still­stands, nach Frei­heit von Ver­ant­wor­tung. Es bie­der­mei­ert. Er hat die Eis­lauf­flä­che vor dem Bahn­hof gese­hen. Die Sehn­sucht nach dem Frü­her, nach dem Gewohn­ten aus der Kind­heit, das ist so über­mäch­tig gewor­den. Die Eis­bah­nen, das Schlitt­schuh­lau­fen, das Eis­stock­schie­ßen – über­all bie­ten die Kom­mu­nen die glei­chen Lösun­gen an. Künst­li­che Erin­ne­run­gen auf künst­li­chen Bahnen“.

Altin­ger schaut genau hin, sieht gro­ße Defi­zi­te gera­de in der Kom­mu­nal­po­li­tik, die ihm mitt­ler­wei­le zu wenig krea­tiv sei. Er macht dabei schon loka­le und regio­na­le Unter­schie­de aus, aber vie­len, die sich enga­gie­ren, gin­ge ein­fach der Atem aus, sie sei­en müde, kraft­los. Und über­all wer­de über das Glei­che gejam­mert, Lösun­gen ver­schlie­ße man sich aber. Das ist gefähr­lich, die Men­schen haben immer mehr den Ein­druck, dass sie sich auf nie­man­den mehr ver­las­sen könn­ten. Sie sind ohn­mäch­tig, denn weder Regie­rung noch Oppo­si­ti­on bie­ten ihnen etwas an, was für sie trag­fä­hig in die Zukunft weist. Letzt­lich haben sie Angst, eine Angst, die sie nicht arti­ku­lie­ren kön­nen. Sie lesen, hören und sehen Vie­les, was sie für sich nicht mehr ein­ord­nen kön­nen. Ihre Angst, ihr Unbe­ha­gen streut und macht sie anfäl­lig für Ver­schwö­rungs­theo­rien und poli­ti­sche Extre­me. Sie haben nichts mehr, was ihnen Sicher­heit schenkt.“

Micha­el Altin­ger wird ernst, sehr ernst, er beginnt von sich aus über sei­nen Glau­ben zu spre­chen und man ahnt, dass hier einer sitzt, der sicher ist und den nichts ver­un­si­chern kann. Gott ist mein Freund, ich ste­he in stän­di­gem Kon­takt mit ihm. Jesus ist mein wich­tigs­tes Vor­bild. Die radi­ka­le Geschich­te der Lie­be, das ist das groß­ar­tigs­te Geschenk, das Gott den Men­schen gemacht hat. Ich zie­he mei­ne gan­ze Kraft aus Jesus. Und Weih­nach­ten ist für mich das wich­tigs­te Fest über­haupt.“ Altin­ger wird still, lei­se. Ich bin tief­trau­rig über mei­ne Kir­che als Insti­tu­ti­on. Der Umgang mit den Miss­brauchs­fäl­len hat mich an den Rand mei­ner Mög­lich­kei­ten des Mit­ge­hens mit der katho­li­schen Kir­che gebracht.“ Und jetzt ist er es, der müde, ver­zwei­felt und kraft­los wirkt, dem der Atem aus­ge­gan­gen zu sein scheint.

Text und Foto: Maxi­mi­lia­ne Heigl-Saalfrank

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