Bistum

Der Wahrheit ins Auge schauen

Redaktion am 17.11.2022

2022 11 17 pb alb rolf fahnenbruck Foto: Werner Friedenberger
„Meinen Glauben an Gott habe ich nie verloren. Die katholische Kirche war mir immer Heimat und Stütze – bis heute.“ Das sagt Rolf Fahnenbruck, der als Kind von einem Priester schwerst missbraucht wurde.

Kirche und Missbrauch: Seit zwölf Jahren beschwören die Verantwortlichen, den Opfern nicht nur zuzuhören, sondern ihnen nach Kräften zu helfen, die Folgen des Leids zu verarbeiten – auch durch finanzielle Entschädigungen. Für Rolf Fahnenbruck, ein Missbrauchsopfer, sind das vielfach nur blumige Worte.

Rolf Fah­nen­bruck ist reich, denn: er emp­fin­det weder Hass, Wut noch Zorn auf sei­nen Pei­ni­ger, einen katho­li­schen Pries­ter, der ihn im Kin­des­al­ter im Bis­tum Essen übelst miss­brauch­te. Sie­he gegen­über­lie­gen­de Sei­te Ich wur­de zum Spielzeug!“.

Und weil er sich durch all das Gesche­he­ne nicht aus dem inne­ren Gleich­ge­wicht brin­gen las­se, habe der Täter heu­te kei­ne Macht mehr über ihn. Es dau­er­te lan­ge, sehr lan­ge, um über das Unsag­ba­re zu reden. 46 Jah­re konn­te Rolf Fah­nen­bruck nicht dar­über spre­chen, nicht ein­mal mit sei­ner Ehe­frau. Jetzt kann er es. Wenn man das nicht macht, bleibt man ein Leben lang mit dem Täter verheiratet.“

Glas­klar sei­ne Ein­stel­lung: Ich kann nicht ver­ge­ben. Ver­ge­ben muss Gott.“ Aber: Ich kann ver­ste­hen, und weil ich ver­ste­he, ver­spü­re ich kei­ne Rache­ge­dan­ken.“ Die wür­den eh nicht mehr hel­fen, weil der Ver­bre­cher bereits unter der Erde lie­ge. Wie er denn, soll­te tat­säch­lich so eine Fra­ge auf­tau­chen, ant­wor­ten wür­de, ob der Täter aus­ge­gra­ben und an einem unbe­kann­ten Platz ver­scharrt wer­den sol­le? Nein, auf so etwas lege ich kei­nen Wert. Der Unmensch, der mich über Jah­re ver­ge­wal­tigt hat, muss sich vor dem obers­ten Rich­ter verantworten.“ 

Auch wenn es nach­voll­zieh­bar wäre: Gott und der Kir­che hat Rolf Fah­nen­bruck nicht den Rücken gekehrt: Mei­nen Glau­ben an Gott habe ich nie ver­lo­ren. Die Kir­che und die in ihr leben­den, glau­ben­den Men­schen waren mir immer eine Stütze.“

Unheil statt Heil. Das hat­te Rolf Fah­nen­bruck durch einen grau­sa­men Men­schen über Jah­re erlit­ten, Fol­ter an Kör­per und See­le. Außer Fra­ge steht: Wenn im Rah­men der Insti­tu­ti­on Kir­che Ver­bre­chen pas­sie­ren, die das Leben von Men­schen zer­stö­ren, dann wird mit Füßen getre­ten, wofür sie eigent­lich steht. Einen tie­fe­ren Wider­spruch kann man sich nicht vor­stel­len. Rolf Fah­nen­bruck äußert sich über das The­ma Kir­che und Miss­brauch“ in die­ser Aus­ga­be des Bis­tums­blat­tes nicht als Spre­cher des Betrof­fe­nen­bei­ra­tes der Diö­ze­se Pas­sau, son­dern als Miss­brauchs­op­fer wäh­rend der Zeit sei­ner Kind­heit im Ruhrgebiet.

Das bewuss­te Weg­schau­en, das Unter-den-Tep­pich-keh­ren wiegt für mich schwe­rer als die eigent­li­che Tat!”

Rolf Fahnenbruck, Opfer sexueller Gewalt

Mei­ne Kin­der, wir wol­len nicht mit Wort und Zun­ge lie­ben, son­dern in Tat und Wahr­heit“ (Ers­ter Brief Johan­nes, Kapi­tel 3). Tat und Wahr­heit, von denen in der Hei­li­gen Schrift die Rede ist, ver­misst Rolf Fah­nen­bruck, wenn es um die quä­lend lan­ge Auf­ar­bei­tung des Miss­brauchs in der katho­li­schen Kir­che geht. 

Wie er sich denn erklä­re, war­um die­ser Pro­zess nun schon eine hal­be Ewig­keit daue­re? Der Kar­di­nal­feh­ler liegt schon ein­mal dar­in, dass die Deut­sche Bischofs­kon­fe­renz nicht ver­bind­lich fest­ge­legt hat, in allen Diö­ze­sen zeit­gleich mit der Auf­ar­bei­tung der Miss­brauchs­fäl­le zu begin­nen. Und so kommt über die Jah­re hin­weg Bis­tum um Bis­tum mit einem Miss­brauchs­gut­ach­ten nach dem ande­ren um die Ecke. Und jedes Gut­ach­ten steht für die häss­li­che Sei­te von Kir­che. Und jedes Mal lau­fen Mit­glie­der deutsch­land­weit in bis­lang unbe­kann­tem Aus­maß davon.“ 

Ob es einen Grund gebe, den Kelch der Auf­klä­rung end­los her­um­zu­rei­chen? Rolf Fah­nen­bruck: Es hat sich gezeigt, dass man­cher Bischof bei der Nen­nung der Täter zöger­lich gewe­sen ist, weil er selbst ver­tuscht und ver­schwie­gen hat.“ Obers­te Ver­ant­wor­tungs­trä­ger sei­en Teil des Sys­tems gewe­sen, ein Sys­tem, das die Insti­tu­ti­on und damit Ver­bre­cher schütz­te, nicht die Opfer. Und dann kommt ein Satz, der zur Nach­fra­ge des Autors führt – ein­mal, zwei­mal, drei­mal… Jedes Mal ist die Ant­wort gleich, gerich­tet an Kir­che und Gesell­schaft: Das bewuss­te Weg­schau­en, das Unter-den-Tep­pich-keh­ren wiegt für mich schwe­rer als die eigent­li­che Tat!“ 

Miss­brauchs­tä­ter gehö­ren hinter Schloss und Rie­gel – mit allem, was das Straf­recht hergibt.”

Rolf Fahnenbruck, Opfer sexueller Gewalt

Rolf Fah­nen­bruck sagt zwar, dass sich ein Täter vor dem obers­ten Rich­ter ver­ant­wor­ten müs­se. Gott­lob, möch­te man sagen, gibt es zudem ein irdi­sches Gericht. Wie es auf Erden mit einem Urteil aus­schau­en sol­le? Miss­brauchs­tä­ter gehö­ren hin­ter Schloss und Rie­gel – mit allem, was das Straf­recht her­gibt.“ Dass das manch Betrof­fe­nen nicht weit genug geht und sie Jus­ti­tia ledig­lich mit einem stump­fen Schwert aus­ge­stat­tet sehen, ist mehr als ver­ständ­lich. Rolf Fah­nen­bruck hiel­te auch eine anschlie­ßen­de Siche­rungs­ver­wah­rung“ für angebracht.

Die Geis­ter schei­den sich auch beim Geld. Die einen nen­nen es Ent­schä­di­gun­gen“, ande­re Aner­ken­nung des Leids der Miss­brauchs­op­fer“. Rolf Fah­nen­bruck sieht dar­in eher den Ver­such einer Wie­der­gut­ma­chung“. Von wel­chem Betrag er da spre­che? Eine Höchst­sum­me für jeden Ein­zel­nen – zwi­schen 300.000 und 400.000 Euro plus the­ra­peu­ti­scher Betreu­ung.“ Opfer wur­den durch die ekel­haf­te Frat­ze des Miss­brauchs erwerbs­un­fä­hig, leben am Existenzminimum.

Der zeit­li­che Ablauf? Drei bis sechs Mona­te, län­ger soll­te es nicht dau­ern.“ Die Rea­li­tät? Kom­mis­sio­nen, Gre­mi­en, Arbeits­krei­se und noch­mals Kom­mis­sio­nen: viel Sit­zungs­ka­tho­li­zis­mus, viel Papier, viel Absichts­er­klä­run­gen. Da staunt der Katho­lik, wenn er bei­spiels­wei­se ins Erz­bis­tum Köln schaut. Da wur­den in den ver­gan­ge­nen Jah­ren weit mehr Mil­lio­nen Euro für Gut­ach­ter, Medi­en­an­wäl­te, Kom­mu­ni­ka­ti­ons­be­ra­ter und Pres­se­kon­fe­ren­zen aus­ge­ge­ben als an Betrof­fe­ne sexu­el­len Miss­brauchs. Opfer, die bis­lang leer aus­gin­gen, den­ken laut: Was läuft da schief bei Mut­ter Kirche?

Gut gemeint ist nicht unbe­dingt gut gemacht! Rolf Fah­nen­bruck sieht es als den fal­schen Weg, wenn Juris­ten die ers­te Anlauf­sta­ti­on für Miss­brauchs­op­fer sind. Da geht es um Depres­sio­nen, Panik­at­ta­cken, post­trau­ma­ti­sche Belas­tungs­stö­run­gen. Des­halb: Zunächst müss­ten Betrof­fe­ne beim Erst­kon­takt mit dem Bis­tum in die Hän­de von sehr erfah­re­nen und spe­zi­ell aus­ge­bil­de­ten Ärz­ten und Trau­ma­the­ra­peu­ten. Die Scham ist immer dabei.“ Opfer sind oft hilf­los, kön­nen sich kaum arti­ku­lie­ren, müs­sen täg­lich aufs Neue ums Über­le­ben kämp­fen. Im Kopf ver­jährt nichts.

Ich hät­te mir gewünscht, dass man nicht nur in den Akten blät­tert, son­dern von Anfang an viel mehr Betrof­fe­ne als Exper­ten in eige­ner Sache betei­ligt hätte.”

Rolf Fahnenbruck, Opfer sexueller Gewalt zur geplanten Missbrauchsstudie im Bistum Passau

Im Bis­tum Pas­sau ist eine Stu­die beauf­tragt, die das Miss­brauchs­ge­sche­hen in den Blick nimmt. Sie trägt den Titel Sexu­el­ler Miss­brauch von min­derjähri­gen Schutz­be­foh­le­nen durch katho­li­sche Kle­ri­ker im Bis­tum Pas­sau 1945 – 2020. Aus­maß und Umstän­de – Reak­tio­nen und Hand­ha­bung sei­tens Kir­che, Öffent­lich­keit und sozia­lem Umfeld der Betrof­fe­nen“. Dazu Rolf Fah­nen­bruck: Ich hät­te mir gewünscht, dass man nicht nur in den Akten blät­tert, son­dern von Anfang an viel mehr Betrof­fe­ne als Exper­ten in eige­ner Sache betei­ligt hät­te.“ Was er anmahnt: Zudem hät­te ich mir erwar­tet, dass die Stu­die auch in jenen­Klös­tern, Inter­na­ten und Hei­men nach­schaut, die sich zwar auf dem Boden der Diö­ze­se Pas­sau befin­den, aber lei­der nicht immer der juris­dik­ti­ons­recht­li­chen Stel­lung des Bis­tums unter­lie­gen.“ Auf gut deutsch: Hier wären die jewei­li­gen Ordens­ge­mein­schaf­ten am Zug.

Was er neben all­ge­mei­ner sys­te­mi­scher Kri­tik zum Auf­klä­rungs­wil­len im Bis­tum Pas­sau sagt? Bischof Ste­fan Oster hat Punkt für Punkt alles umge­setzt und ist dem Staat weit vor­aus!“ Ob Rolf Fah­nen­bruck ver­ste­hen kön­ne, dass man­che Gläu­bi­ge das The­ma Miss­brauch ein­fach nicht mehr hören kön­nen“? Ja, das kön­ne er ver­ste­hen, sieht es aber als Feh­ler, mit dem Fin­ger hier allein auf die Kir­che zu zei­gen: Kei­ne Insti­tu­ti­on hat soviel gegen Miss­brauch getan wie die katho­li­sche Kir­che.“ Der Miss­brauch sei über­all in der Gesell­schaft prä­sent wie nie. Ein Blick ins Inter­net zeigt das. Schon am nächs­ten Tag kann mein eige­nes Kind, mein eige­ner Enkel betrof­fen sein. Man muss wach­sam sein. Miss­brauch hört nie auf!“ Stil­le Schreie, die kei­ner hört.

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Werner Friedenberger

stellv. Chefredakteur

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