Zeitlos

Redaktion am 04.09.2023

2023 09 04 pb alb uhr Foto: Frank Pfeiffer auf Pixabay

Am 1. September vor 50 Jahren veröffentlichte Michael Ende das Märchen „Momo“. Im Editorial unserer aktuellen Ausgabe stellt unser Autor fest: das Werk ist gerade heute aktuell und dürfte auch Papst Franziskus gefallen.

Lie­be Leu­te, gebt acht! Denn auch heu­te besu­chen sie uns, paf­fen ihre Zigar­ren aus ver­dorr­ten Zeit­blu­men und rei­ben sich zufrie­den die Hän­de. Die grau­en Her­ren von der Zeit-Spar-Kas­se. Sie trei­ben uns an, damit wir immer schnel­ler und effi­zi­en­ter wer­den. Dann len­ken sie uns ab mit zahl­lo­sen Bild­chen und Film­chen und rau­ben unse­re Zeit – bis wir immer gestress­ter und generv­ter wer­den … Gott sei Dank aber stellt sich ihnen ein klei­nes Mäd­chen in den Weg. Sie kön­nen es erken­nen an ihrem dunk­len Locken­kopf, der noch nie einen Kamm gese­hen hat, einem kun­ter­bunt zusam­men­ge­näh­ten Fli­cken­rock und einer viel zu wei­ten Män­ner­ja­cke. Es lebt in einem Amphi­thea­ter und ver­schenkt sei­ne Zeit. Denn es weiß: Zeit ist Leben. Und das Leben wohnt im Herzen.“

Als Micha­el Ende am 1. Sep­tem­ber vor 50 Jah­ren das Mär­chen Momo“ ver­öf­fent­lich­te, konn­te er noch nicht ahnen wie erfolg­reich es ein­mal sein wür­de. In 53 Spra­chen ist es mitt­ler­wei­le über­setzt und ins­ge­samt mehr als 12,5 Mil­lio­nen Mal ver­kauft wor­den. Es ist ein Mär­chen – für Kin­der natür­lich, aber viel­leicht sogar noch mehr für Erwach­se­ne, ins­be­son­de­re für sol­che, die nur in einer ent­zau­ber­ten Welt soge­nann­ter Tat­sa­chen“ exis­tie­ren. Denn trotz sei­nes Erfolgs schei­nen die Men­schen nicht viel gelernt zu haben aus der Geschich­te und las­sen sich ihre Zeit rauben …

Michael Endes Märchen „Momo“

Es gibt nur weni­ge Bücher, die zeit­los sind und auch noch Jahr­zehn­te nach ihrem Erschei­nen aktu­ell blei­ben. Momo“ gehört zwei­fel­los dazu. An man­chen Stel­len scheint es auch christ­lich inspi­riert zu sein. Etwa an der Stel­le, an der es heißt, dass Momo all die Wor­te ihres Freun­des Beppo Stra­ßen­keh­rer in ihrem Her­zen bewahr­te“ (vgl. Lk 2,19). Oder als sie den Agen­ten BLW/​553/​c der grau­en Her­ren mit ihrer Fra­ge, ob ihn denn nie­mand lieb­ha­be, der­art aus der Fas­sung bringt, dass die­ser ihr alle Geheim­nis­se der Zeit-Spar-Kas­se ver­rät. Oder an der Stel­le, als sich Momo mit Meis­ter Hora, dem Hüter der Zeit, unter­hält, der ihr erklärt, dass es nicht der Tod ist, vor dem die Men­schen Angst haben müs­sen: Aber ich fürch­te, sie wol­len es gar nicht hören“, sagt Hora, denn die Men­schen wol­len lie­ber denen glau­ben, die ihnen Angst machen“ – auch das ist ein Rät­sel“, das gera­de in unse­rer Zeit sehr aktu­ell ist, wenn man an all die Ver­schwö­rungs­my­then denkt oder an Poli­ti­ker, die lie­ber popu­lis­ti­sche Sprü­che klop­fen anstatt an Lösun­gen zu arbeiten …

Im Mär­chen Momo“ jeden­falls hat jeder Mensch sei­ne eige­ne Zeit­blu­me“ und damit sein eige­nes Leben und sein eige­nes Herz. Ein­heit­lich sind nur die grau­en Her­ren. Das Leben aber ist viel­fäl­tig. Wer sich dar­in ori­en­tie­ren will, der braucht Zeit zum Zuhö­ren, denn nur so kann er den Ande­ren auch verstehen …

2023 09 04 pb alb weltsynode logo aktuell

Momo kann so gut zuhö­ren wie nie­mand sonst – und das ist eine Eigen­schaft, mit der sie nicht nur ihre Freun­de glück­lich macht, son­dern die auch Papst Fran­zis­kus gefal­len dürf­te. Wenn es nach ihm geht, dann kann und soll­te jeder das Zuhö­ren üben. Das sagt er ziem­lich oft, vor allem mit Blick auf die im Okto­ber star­ten­de Welt­syn­ode. Zuge­ge­ben, das klingt ziem­lich abs­trakt, und manch einer fragt sich bestimmt, was das denn jetzt bit­te­schön kon­kret nut­zen soll. Doch es könn­te schon sein, dass der Papst genau den Nerv unse­rer Zeit trifft. Womög­lich hören wir ein­an­der zu wenig zu – weil wir zu wenig Zeit dafür haben, weil es anstren­gend ist, weil unse­re Auf­merk­sam­keits­span­ne auch auf­grund der moder­nen Medi­en immer wei­ter sinkt, … weil die Mei­nun­gen ja eh fest­ge­fah­ren sind. Fran­zis­kus sieht es genau anders­her­um: Mei­nun­gen und Welt­bil­der sind eben gera­de des­halb der­art fest­ge­fah­ren, weil die Leu­te ein­an­der nicht mehr zuhö­ren. Hat er da womög­lich recht?

Michael Glass

Michael Glaß

Redakteur

Weitere Nachrichten

Basilica San Francesco
29.04.2024

Am Kraftort Assisi richtig aufgetankt

Leserreise des Bistumsblattes führte an besonders schöne Ziele im italienischen Umbrien

2024 04 29 pb alb hilfsprojekt kenia hallo
Weltkirche
29.04.2024

Hände der Hoffnung

Unvorstellbare Armut auf der einen Seite, Dankbarkeit und Gottvertrauen auf der anderen liegen oft eng…

2024 04 27 pb alb christi himmelfahrt1
Glaube und Tradition
29.04.2024

Zwischen Himmelfahrt und Höllensturz

An Christi Himmelfahrt feiert die Kirche die Rückkehr des Gottessohnes zu seinem Vater im Himmel. Rund um das…

2024 04 23 pb alb weltgebetstag
Weltkirche
23.04.2024

Viel mehr als ein Beruf

Weiterleben – mit diesem Motto war der Weltgebetstag für geistliche Berufe in diesem Jahr überschrieben. In…