Soziales

„Jetzt erst recht!“

Redaktion am 28.02.2023

Einsatz für den Frieden: Vergissmeinnicht und Mohnblumen – Symbole deutschen und britischen Erinnerns an die Kriegstoten – schmücken den stählernen Gedenkkranz des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge zum Volkstrauertag. Im Bild: Stifterin Carmen Würth und Volksbund-Präsident Wolfgang Schneiderhan

Auch wenn Bomben vom Himmel fallen: Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge lässt in seinem Bemühen nicht nach, gefallene deutsche Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg zu bergen, auf Friedhöfen würdig beizusetzen, ihre Gräber zu pflegen – und damit Friedensarbeit zu leisten.

So wur­den 2022 in der Rus­si­schen Föde­ra­ti­on 5.839 Tote gebor­gen, in der Ukrai­ne 1.475. Da es sich beim Volks­bund-Prä­si­den­ten Wolf­gang Schnei­der­han um den frü­he­ren Gene­ral­inspek­teur der Bun­des­wehr han­delt, hat die­ser im Inter­view mit dem Pas­sau­er Bis­tums­blatt auch etwas über Putins Angriffs­krieg zu sagen …

2023 02 27 pb alb kriegsgraeberfuersorge schneiderhan Foto: Werner Friedenberger
Wolfgang Schneiderhan (76) ist ein deutscher General a. D. der Bundeswehr. Er war vom 27. Juni 2002 bis zum 31. Dezember 2009 der 14. Generalinspekteur der Bundeswehr und damit der ranghöchste Soldat in Deutschland. Seit 2017 ist er Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. – Unser Archivbild zeigt Wolfgang Schneiderhan während seiner aktiven Zeit als Generalinspekteur der Bundeswehr bei einer Einweihung eines deutschen Soldatenfriedhofes in Russland.

Russ­lands Angriff auf die Ukrai­ne hat alles ver­än­dert. Der Krieg steht nicht nur im Geschichts­buch, wir sehen ihn jeden Tag in der Tages­schau. Was bedeu­tet der ver­lo­re­ne Frie­den in Euro­pa für den Volks­bund Deut­sche Kriegs­grä­ber­für­sor­ge in der täg­li­chen Arbeit?
Wolf­gang Schnei­der­han: Wir dür­fen uns nicht ent­mu­ti­gen las­sen. Vie­le unse­rer Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter waren fas­sungs­los. Sicher hat­ten wir gespürt, dass das Kli­ma zwi­schen Russ­land und der Bun­des­re­pu­blik auf poli­ti­scher Ebe­ne küh­ler und fros­ti­ger wur­de. Aber die­ser Krieg, die­se Bru­ta­li­tät, die sich auch gegen die Zivil­be­völ­ke­rung rich­tet, die hat­te ich mir nicht vor­stel­len kön­nen.
Jahr­zehn­te­lan­ge Ver­söh­nungs­ar­beit, das war und ist manch­mal sehr müh­sam, klein­tei­lig, lang­wie­rig und anstren­gend. Aber wir haben in ganz Ost­eu­ro­pa und gera­de auch in Russ­land vie­le ermu­ti­gen­de Erleb­nis­se gehabt. Sie dür­fen nicht ver­ges­sen, dass uns die Rus­sen die Hand zur Ver­söh­nung gereicht haben. Sie haben mit dem Abschluss des Kriegs­grä­ber­ab­kom­mens vor drei­ßig Jah­ren erlaubt, dass die Sol­da­ten, die ihr Land über­fal­len hat­ten, in ihrer Erde die letz­te Ruhe fin­den. Ich durf­te auf unse­ren Fried­hö­fen auch immer wie­der erle­ben, wie freund­lich die rus­si­schen Gast­ge­ber uns und gera­de auch den Ange­hö­ri­gen begeg­net sind.
Des­halb bin ich froh, dass so vie­le Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen im Volks­bund sich ent­schie­den haben, zu sagen: Jetzt erst recht! Unse­re Frie­dens­ar­beit, unse­re Mühen dür­fen nicht ver­ge­bens gewe­sen sein.

…und wie schaut das vor Ort aus?
Wolf­gang Schnei­der­han: Der Volks­bund arbei­tet – bis auf die vier Fried­hö­fe im Osten, wo gekämpft wird – in der Ukrai­ne und in der Rus­si­schen Föde­ra­ti­on. Die Kriegs­grä­ber­stät­ten wer­den gepflegt, das sind wir den Ange­hö­ri­gen schul­dig. Dort, wo wir Geneh­mi­gun­gen erhal­ten und es nicht zu gefähr­lich ist, exhu­mie­ren wir auch. Die Wür­de der Toten ist wich­tig, aber noch wich­ti­ger ist die Sicher­heit und Gesund­heit der Leben­den, unse­rer Mit­ar­bei­ter. Im letz­ten Jahr haben wir in der Rus­si­schen Föde­ra­ti­on 5.839 Tote ber­gen kön­nen, in der Ukrai­ne 1.475 Tote.

Der Volks­bund betreut über 830 Kriegs­grä­ber­stät­ten in 46 Län­dern. Das schafft er vor allem auch mit ein­hei­mi­schen Kräf­ten. Man spricht des­halb von der Volks­bund-Fami­lie. Wie geht es Ihren Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern in der Ukrai­ne? Wel­che Initia­ti­ven hat der Volks­bund unter­nom­men, um Men­schen vor Ort zu hel­fen?
Wolf­gang Schnei­der­han: Die Volks­bund-Fami­lie hält zusam­men. Die ukrai­ni­schen Mit­ar­bei­ter sind an der Front. Wir haben, so rasch es ging, ihren Fami­li­en gehol­fen. Eini­ge konn­ten wir abho­len und hier­her in Sicher­heit brin­gen, ande­re haben wir mit Hilfs­lie­fe­run­gen unter­stützt. Durch die Kon­tak­te in die Ukrai­ne wuss­ten wir, was drin­gend nötig ist und wo wir es hin­brin­gen kön­nen. Das ging von Gene­ra­to­ren über war­me Win­ter­klei­dung, Medi­ka­men­te, Hygie­ne­ar­ti­kel, Spiel­sa­chen für Kin­der und Baby­nah­rung bis zum Inven­tar einer Arzt­pra­xis, die kurz zuvor auf­ge­löst wor­den war. Die Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen sind rüh­rig und aktiv, auch jetzt noch.

Sind auf deut­schen Sol­da­ten­fried­hö­fen in der Ukrai­ne, von denen es 24 gibt, Rake­ten ein­ge­schla­gen?
Wolf­gang Schnei­der­han: Nein, bis zum aktu­el­len Zeit­punkt sind kei­ne schwer­wie­gen­den Schä­den bekannt. Auf dem Fried­hof in Sapo­rischschja wur­de ein Baum beschä­digt, auf dem Fried­hof in Kiew zwei Bäume.

Besteht die Gefahr, dass dort in der Nähe Blind­gän­ger oder Minen lie­gen?
Wolf­gang Schnei­der­han: Den Fried­hof in Char­kiw lie­ßen wir vor Auf­nah­me von Pfle­ge­ar­bei­ten auf Blind­gän­ger und Minen untersuchen.

2023 02 27 pb alb kriegsgraeberfuersorge schuh Foto: Werner Friedenberger
Ein Garten in den Weiten Russlands: Im Auftrag des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge arbeitet – wenn auch derzeit eingeschränkt – der Umbettungsdienst, um gefallenen deutschen Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg ein würdiges Grab zu geben.

Die Erleb­nis­ge­ne­ra­ti­on des Zwei­ten Welt­krie­ges wird natur­ge­mäß weni­ger. Man sieht das auch an der Teil­nah­me bei den Volks­trau­er­ta­gen. Wo set­zen Sie an, damit aus dem Erin­nern kein Ver­ges­sen wird?
Wolf­gang Schnei­der­han: Das Geden­ken muss zeit­ge­mäß sein. In unse­ren Work­camps gestal­ten dies die Teil­neh­me­rin­nen und Teil­neh­mer. Auch Gedenk­ver­an­stal­tun­gen am Volks­trau­er­tag über­neh­men häu­fig jün­ge­re Leu­te. In Plöt­zen­see in Ber­lin wird schon seit eini­gen Jah­ren das Geden­ken von Schü­le­rin­nen und Schü­lern zusam­men mit dem Jugend­ar­beits­kreis in Ber­lin gestal­tet. Sie set­zen sich mit dem The­ma aus­ein­an­der, schrei­ben selbst Tex­te oder Gedich­te dazu, die sie vor­tra­gen.
Im letz­ten Novem­ber, am Volks­trau­er­tag, haben wir jun­ge Men­schen zwi­schen 17 und 25 gefragt, wie der Volks­trau­er­tag aus­se­hen soll: Da gab es ganz unter­schied­li­che Ant­wor­ten: Die einen sag­ten: Bloß kein Fes­ti­val, es ist doch ein Gedenk­tag!“ Ande­ren war es ganz wich­tig, nicht nur etwas vor­zu­le­sen, son­dern selbst inhalt­li­che Bei­trä­ge zu brin­gen. Bei der Pla­nung einer Gedenk­ver­an­stal­tung in Bran­den­burg woll­ten die Jugend­li­chen kei­ne Krän­ze, son­dern lie­ber ein­zel­ne Blu­men auf die Grä­ber legen, um der Toten zu geden­ken. Das mag ein Detail sein, aber trotz­dem war es ihnen wichtig.

Der Volks­bund Deut­sche Kriegs­grä­ber­für­sor­ge befasst sich ja nicht nur“, wie es der Name sagt, mit der Ver­gan­gen­heit, son­dern för­dert einen inten­si­ven Aus­tausch auch zwi­schen jun­gen Rus­sen und Ukrai­nern. Lie­gen sol­che inter­na­tio­na­len Begeg­nun­gen jetzt auf Eis?
Wolf­gang Schnei­der­han: Die Sicher­heit der Jugend­li­chen hat höchs­te Prio­ri­tät. Des­halb gibt es zur­zeit weder in der Ukrai­ne noch in der Rus­si­schen Föde­ra­ti­on Jugend­be­geg­nun­gen. Aus der Rus­si­schen Föde­ra­ti­on haben sich seit Kriegs­be­ginn auch kei­ne Jugend­li­chen ange­mel­det. Im letz­ten Som­mer tra­fen aller­dings in einem Work­camp in Mün­chen zwei jun­ge Ukrai­ne­rin­nen und eine rus­si­sche Teil­neh­me­rin, die schon län­ger in der Bun­des­re­pu­blik stu­diert, zusam­men. Was mir erzählt wur­de, fand ich anrüh­rend: Die drei Teil­neh­me­rin­nen gin­gen sehr behut­sam, sehr freund­lich mit­ein­an­der um. Sie mach­ten gewis­ser­ma­ßen Feri­en vom Krieg“. So ähn­lich haben sie es auch selbst ausgedrückt.

Deutsch-rus­si­sche Bezie­hun­gen wur­den auf vie­len Ebe­nen gekappt. Auf der ande­ren Sei­te ist der Volks­bund sei­nem Mot­to Ver­söh­nung über den Grä­bern“ ver­pflich­tet. Ein Draht­seil­akt?
Wolf­gang Schnei­der­han: Wenn die­ser Krieg zu Ende geht – und er wird hof­fent­lich mit einem gerech­ten Frie­den zu Ende gehen – dann kön­nen wir ver­su­chen, mit der Ver­söh­nungs­ar­beit zu begin­nen. Zu einem gerech­ten Frie­den gehört für mein Emp­fin­den Sicher­heit, Frei­heit und die Wah­rung der Men­schen­rech­te. Sonst kann er nicht gelin­gen. Ich kann mir vor­stel­len, dass die­ser Weg zur Ver­söh­nung auf einer Kriegs­grä­ber­stät­te beginnt. Eine jun­ge Kol­le­gin, die inter­na­tio­na­le Begeg­nun­gen in und mit Russ­land orga­ni­sier­te, sag­te: Wir müs­sen erst wie­der Kom­mu­ni­ka­ti­on ler­nen. Es war vor­her schon nicht immer leicht und es wird jetzt noch schwie­ri­ger sein. Aber wir müs­sen damit begin­nen, zu reden und uns gegen­sei­tig zu glauben.“

Die Arbeit des Volks­bun­des wird – auch ohne Krieg – von Jahr zu Jahr schwie­ri­ger: So man­che rus­si­sche Groß­mutter konn­te den Umbet­tern wert­vol­le Hin­wei­se geben, wo wäh­rend des Krie­ges deut­sche Sol­da­ten not­dürf­tig unter die Erde gebracht wur­den. Die­se Gene­ra­ti­on stirbt weg. Zudem gibt es Raub­grä­ber, die mit leis­tungs­fä­hi­gen Metall­son­den unter­wegs sind, Erken­nungs­mar­ken zu Geld machen und so Sol­da­ten ihre Iden­ti­tät neh­men. Wie lan­ge wird der Volks­bund noch sei­nen Anspruch auf­recht­erhal­ten kön­nen, dass jeder Mensch ein Recht auf ein Grab hat…?
Wolf­gang Schnei­der­han: An die­sem Anspruch hal­ten wir fest. Er gehört zu unse­rer Zivi­li­sa­ti­ons­ge­schich­te. Aber wir wis­sen, dass wir nicht mehr alle der unzäh­li­gen Toten und Ver­miss­ten ber­gen kön­nen. Wir haben über 1,3 Mil­lio­nen Tote mit Grab­la­ge­mel­dung, das heißt, wir wis­sen, wo sie lie­gen. Wir rech­nen mit einer knap­pen Mil­li­on Toten auf Kriegs­ge­fan­ge­nen­fried­hö­fen – und es gibt Hun­dert­tau­sen­de, die ver­schwun­den sind. Die Zah­len sind unfass­bar.
Trotz­dem – wir erle­ben aber auch Unter­stüt­zung von Men­schen in Russ­land. Ende Dezem­ber mel­de­te sich ein Mann aus der Nähe von Wol­go­grad, der bei Lei­tungs­ar­bei­ten Gebei­ne ent­deckt hat­te. Er infor­mier­te den Volks­bund und die Orts­grup­pe konn­te die sterb­li­chen Über­res­te von 35 Wehr­machts­sol­da­ten bergen.

2023 02 27 pb alb kriegsgraeberfuersorge panzer Foto: Werner Friedenberger
26 Millionen Sowjetbürger sind im Zweiten Weltkrieg ums Leben gekommen. Daran erinnern in Russland und der Ukraine unzählige Denkmäler, wie hier auf diesem Friedhof ein ausgedienter Panzer und ein durchschossener Stahlhelm.

Die Ver­söh­nungs­ar­beit des Volks­bun­des hat bei vie­len fried­lie­ben­den Men­schen in Russ­land tie­fe Wur­zeln geschla­gen. Wird die­se Freund­schaft den Krieg über­le­ben?
Wolf­gang Schnei­der­han: Ich wün­sche es mir.

Vor 80 Jah­ren rief Pro­pa­gan­da­mi­nis­ter Joseph Goeb­bels im Ber­li­ner Sport­pa­last mit sich über­schla­gen­dem Stim­men­ge­dröhn zum tota­len Krieg“ auf. Sie sind der Prä­si­dent des Volks­bun­des Deut­sche Kriegs­grä­ber­für­sor­ge. Wel­che Bot­schaft haben Sie an Kriegs­ver­herr­li­cher von ges­tern und heu­te?
Wolf­gang Schnei­der­han: Es beginnt mit Hass und Het­ze, wird zu Gewalt und Krieg und endet schließ­lich auf den Sol­da­ten­fried­hö­fen. Die­se Bot­schaft soll­te bekannt sein: Die Kriegs­grä­ber­stät­ten sind die gro­ßen Pre­di­ger des Frie­dens – sag­te Albert Schweit­zer. Dem kann man nichts mehr hinzufügen.

Herr Schnei­der­han, Sie zitie­ren auch den Phi­lo­so­phen Karl Jas­pers: Die Hoff­nungs­lo­sig­keit ist die vor­weg­ge­nom­me­ne Nie­der­la­ge.“ Was macht Ihnen Mut, dass der rus­si­sche Angriffs­krieg dort­hin zurück­kehrt, wo er hin­ge­hört – in die Geschichts­bü­cher?
Wolf­gang Schnei­der­han: Wir müs­sen mutig sein, denn Frie­den braucht viel Mut. Was wir in Euro­pa im Augen­blick erle­ben – mit weni­gen Abstri­chen – macht mir Mut. Man hat ver­stan­den, dass wir gemein­sam eine Her­aus­for­de­rung bewäl­ti­gen müs­sen, dass es nötig ist, die Eifer­süch­te­lei­en und das Klein­ka­rier­te weg­zu­drü­cken und das Gro­ße, die Kon­stan­ten des Ver­bin­den­den zu sehen. Und dass man dafür auch Opfer brin­gen will, bereit ist, mutig her­an­zu­ge­hen und zu sagen: Das muss sein. Wir kön­nen die­sem Aggres­sor nicht erlau­ben, dass er in der strah­len­den Son­ne ste­hen bleibt. Wir müs­sen die Schat­ten auf­zei­gen, zei­gen, dass das nicht die Welt ist, die wir gemein­sam wol­len. Mir macht sehr viel Mut, was wir erle­ben – im Inne­ren, aber auch im Zusam­men­halt in Europa.

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