Liebe Leserinnen und Leser,
vielleicht fragen Sie sich auch, wenn Weihnachten wieder einmal vor der Tür steht: Ist es für mich in erster Linie ein Familienfest mit viel Erinnerung und Gefühl? Oder ist es auch ein Fest des Glaubens – meines Glaubens? Und wenn ja, was bedeutet dieser Glaube? Für mich? Für meine Familie? Für uns alle? Für mich ist es zumindest überaus interessant, dass diese Fragen seit jeher Menschen umtreibt. Denn sie sind verbunden mit der Frage, wer denn dieses Kind ist, das da in Betlehem in der Krippe liegt und in jedem Fall der Ursprung des Festes ist. Das Kind von Betlehem ist Ursprung, aber wir sehen natürlich, dass es für ganz viele Menschen längst nicht mehr die Hauptsache ist. Das Kind ist eher zur Nebensache geworden – die meisten feiern Weihnachten als ein romantisches Familienfest und ob das Geburtstagskind irgendwie als anwesend geglaubt wird, ist für viele zur Randerscheinung geworden.
Dabei feiern wir kommenden Jahr ein besonderes Jubiläum: Vor 1700 Jahren stand genau diese Frage: Wer ist dieses Kind? Oder breiter gefragt: Wer ist dieser Jesus von Nazareth? erstmals im Mittelpunkt eines Kirchenkonzils. Bischöfe aus der ganzen bekannten Welt kamen in Nicäa, in der heutigen Türkei, zusammen und sind dieser Frage nachgegangen, weil es nicht wenige gab, die den Glauben an die Gottessohnschaft, wie er in den Evangelien bekannt wird, angezweifelt haben. Und die Bischöfe haben damals einmütig festgehalten: Jesus ist der Sohn, der im Wesen eins ist mit dem Vater – der also wirklich wahrer Gott und zugleich wahrer Mensch ist. Er ist für uns Menschen und für unser Heil herabgestiegen und ein sterblicher Mensch geworden. Das heißt: Der Sohn, der von Ewigkeit her beim Vater war, ist einer von uns geworden, mit Leib und Seele, Haut und Haaren – und einem schlagenden Herzen.
Das Herz ist nicht nur ein – lebensnotwendiges – Organ, sondern steht für mehr. Darauf wies uns kürzlich erneut Papst Franziskus in einer Enzyklika hin: „Das Herz Christi, das seine persönliche Mitte versinnbildlicht, aus dem seine Liebe zu uns hervorströmt, ist der lebendige Kern der ersten Verkündigung.“
Im Herzen Jesu kommt also das zum Ausdruck, was Jesus, was die Mitte der christlichen Botschaft ausmacht. Und das führt uns zum Kern von Weihnachten: Gottes Sohn hat aus Liebe zu uns ein menschliches Herz angenommen. Und durch dieses Herz dürfen wir erkennen, wie Gott ist. Schauen wir auf den Stall von Bethlehem: Wir sehen Jesus als Baby, klein, verletzlich und demütig. Und er liebt. Aus seinem Herzen strömt die Liebe zu jedem einzelnen hervor. Oder anders gesagt: Er liebt übernatürlich, durch alle Grenzen von Raum und Zeit hindurch – und er liebt zugleich jeden ganz persönlich: er liebt Sie, sieht Sie, will das Beste für Sie. Seine unermessliche Liebe zu einem jeden von uns zeigt sich in der Krippe – und wird später seinen Höhepunkt am Kreuz finden.
„Gott liebt übernatürlich, durch alle Grenzen von Raum und Zeit hindurch – und er liebt zugleich jeden ganz persönlich.”
Im Stall von Bethlehem wird uns diese unendliche Liebe auf besondere Weise sichtbar: Der, der alle Macht hat, kommt nicht in Herrlichkeit, sondern in Armut und Zerbrechlichkeit. Warum? Wegen unseres Heiles. Weil Gott uns liebt und alles für uns tun würde – sogar in den Tod gehen –, um uns zu retten. Um auch Sie aus der Verlassenheit zu befreien und zu heilen.
Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien in dieser Weihnachtszeit, dass Sie sich vom Herzen Jesu neu anrühren und verwandeln lassen. Möge sein Frieden Ihr Herz erfüllen, Ihnen neue Hoffnung schenken und Sie zum göttlichen Vater führen.
Gesegnete Weihnachten!
Dr. Stefan Oster SDB
Bischof