Kunst

„Ich bin ein einfacher Handwerker“

Redaktion am 07.04.2024

2024 04 05 pb alb seitfudem ausstellung stadtgalerie1 Foto: Roswitha Dorfner
Künstler Hans Joachim Seitfudem mit Ausstellungsstücken in der Altöttinger Stadtgalerie.

Hans Joachim Seitfudem und sein Altötting – Fünfter Teil der Reihe „Altöttinger Künstlergespräche“

Es ist kühl, der leich­te Über­gangs­man­tel tat­säch­lich etwas zu leicht für einen Spa­zier­gang durch das Alt­öt­ting der Bild­hau­er, Maler und Archi­tek­ten. Es ist Oster­sonn­tag, kurz vor neun Uhr mor­gens im Bach­vier­tel, einer ruhi­gen, unspek­ta­ku­lä­ren Ecke Alt­öt­tings. Doch heu­te darf dort kos­ten­los geparkt wer­den – ein Auto nach dem ande­ren, alle erkenn­bar orts­fremd, biegt in die schma­le Kapu­zi­ner­stra­ße ein. Türen­schla­gen, Schimpf­ti­ra­den. Es wird laut und hek­tisch. Kaum aus­ge­stie­gen dis­ku­tie­ren, nein lamen­tie­ren die Fah­rer und ihre Bei­fah­rer, wo es denn jetzt hin­gin­ge, man habe die Zeit­um­stel­lung über­se­hen, die Oster­läm­mer in den mit­ge­brach­ten Kör­ben zit­tern hef­tig vor Erre­gung. Ob sie es noch unbe­scha­det zu einer der Spei­sen­wei­hen schaf­fen werden?

Inner­halb weni­ger Minu­ten ist der eigen­tüm­li­che Oster­spuk vor­bei. Die letz­ten fei­nen Nebel­fet­zen ver­su­chen sich in der Stra­ße zu heben und blei­ben doch merk­wür­dig zäh in den klei­nen Hin­ter­hö­fen und Ein­fahr­ten hän­gen. Nichts erin­nert mehr an die Zei­ten, als hier das Leben pul­sier­te, in den Werk­stät­ten der Hand­wer­ker, in den klei­nen Läden und beson­ders im Ate­lier der Bild­hau­er­fa­mi­lie Gir­lich. Vater und Sohn, zwei Gene­ra­tio­nen in einer Werk­statt, bei­de prä­gend für die bild­haue­ri­sche Gestal­tung ihrer Hei­mat­stadt, sind mitt­ler­wei­le fast vergessen.

2024 04 05 pb alb seitfudem ausstellung stadtgalerie eingang hf Foto: Roswitha Dorfner
Künstler Hans Joachim Seitfudem vor der Altöttinger Stadtgalerie.

Wie anders dage­gen ver­läuft das Leben von Vater Hans Joa­chim und Sohn Joa­chim Seit­fu­dem. Sie sind in der Welt zuhau­se, stel­len inter­na­tio­nal aus, sie ken­nen den Kunst­markt und er kennt sie. Ich bin kein Künst­ler, ich bin ein ein­fa­cher Hand­wer­ker“, sag­te Seit­fu­dem der Älte­re beschei­den bei unse­rer ers­ten Begeg­nung in der Alt­öt­tin­ger Stadt­ga­le­rie, wo er gera­de aus­stellt (sie­he Aus­ga­be Nr. 15, S. 20). Ich schlug ihm vor, den Spu­ren Alt­öt­tin­ger Künst­ler bei einem Spa­zier­gang durch die Stadt zu fol­gen. Dar­auf ging er sofort ein, war er, einer der bedeu­tends­ten christ­li­chen Holz­bild­hau­er über­haupt, doch erst zum zwei­ten Mal in der Wall­fahrts­stadt. Der ers­te Besuch in Alt­öt­ting war mit mei­nen Krie­gern, ist schon län­ger her“, sagt er lachend im keh­li­gen Ton­fall der Ammer­gau­er. Die Krie­ger, das sind die Mit­glie­der des Bad Kohl­gru­ber Krie­ger- und Vete­ra­nen­ver­eins, Seit­fu­dem ist ihr Ehrenvorsitzender.

Gese­hen hat­te Hans Joa­chim Seit­fu­dem in der ers­ten Aus­stel­lungs­wo­che noch nichts von Alt­öt­ting. Im Sou­ter­rain der Stadt­ga­le­rie rich­te­te er sich eine klei­ne Werk­statt ein: mit Lin­den­holz­blö­cken, sei­nen Schnitz­mes­sern und Arbeits­stü­cken, ein Stück Daheim, das er bis zum Oster­sonn­tag­mor­gen kaum verließ.

Ich muss immer mit dem Holz arbei­ten, egal wo ich bin“. Sei­ne Ideen, sein Schaf­fens­drang sind unend­lich wie auch sei­ne spür­ba­re Lust und Neu­gier, Men­schen, ihren Lebens­ent­wür­fen und ihren Geschich­ten zu begeg­nen. Und zwar über­all, selbst in sei­ner Alt­öt­tin­ger Unter­kunft im Bach­vier­tel: Mich hat der Geruch der indi­schen Gewür­ze ein­fach in die Küche gelockt. Ich lie­be indi­sches Essen, seit ich in Banga­lo­re gear­bei­tet habe. Lei­der haben mich die indi­schen Gäs­te nicht ver­stan­den. Ich hät­te ger­ne zusam­men mit ihnen geges­sen und geratscht.“

Impressionen aus der Schau „Wie der Vater, so der Sohn – Werke aus der Familienwerkstatt Seitfudem“ in der Altöttinger Stadtgalerie I

Fotos: Ros­wi­tha Dorfner

Sei­ne Offen­heit, sein Geer­det-Sein ist es auch, was den klei­nen quir­li­gen Mann zu einem gro­ßen Päd­ago­gen wer­den ließ. Sie­ben Kam­mer­sie­ger und Lan­des­sie­ger und vier Bun­des­sie­ger habe er aus­ge­bil­det, erzählt er, als er vor der ehe­ma­li­gen Werk­statt der Gir­lichs in der Kapu­zi­ner­stra­ße steht und fragt, ob sie Schü­ler unter­rich­tet hät­ten. Hans Joa­chim Seit­fu­dem lässt ger­ne jun­ge Men­schen an sei­ner Kunst – er wür­de wohl eher das Wort Kunst­fer­tig­keit bevor­zu­gen – teil­ha­ben; und zwar mit viel Geduld und gro­ßem Ein­füh­lungs­ver­mö­gen. Du musst immer mit dem gro­ben Mes­ser anfan­gen, nimm den Vie­rer und treib ihn so von der Sei­te rein, das Män­ner­ge­sicht braucht die Kan­te“, erklärt er einem Alt­öt­tin­ger Schnit­ze­le­ven und führt gleich vor, was und wie er es meint. Er bleibt dabei behut­sam und auf Augen­hö­he mit dem Anfän­ger. Am liebs­ten wür­de ihm der Bild­hau­er gleich die pas­sen­den Mes­ser und ein Werk­stück zum Nach­ar­bei­ten nach Hau­se mit­ge­ben. Sei­ne Haus­auf­ga­be sol­le er bis mor­gen erle­di­gen, schärft er ihm ein. Der jun­ge Mann nickt ehr­fürch­tig. Er wird in sei­ner Oster­nacht bis zum Sonn­tag­mor­gen einen klei­nen Chris­tus­kopf mit Dor­nen­kro­ne ausarbeiten.

Impressionen aus der Schau „Wie der Vater, so der Sohn – Werke aus der Familienwerkstatt Seitfudem“ in der Altöttinger Stadtgalerie II

Fotos: Ros­wi­tha Dorfner

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Künstler Hans Joachim Seitfudem beim Spaziergang durch Altötting – hier vor der Mechanischen Krippe.

Hans Joa­chim Seit­fu­dem lässt unter­des­sen sei­ne Holz­bild­haue­rei aus­nahms­wei­se etwas ruhen. Er besucht das Pan­ora­ma und ist schier über­wäl­tigt von Grö­ße, Kon­struk­ti­on und der künst­le­ri­schen Aus­füh­rung. Das zei­ge ich mei­nen Freun­den von daheim. Das müs­sen sie sehen!“ Und dann nur weni­ge Meter wei­ter, in der Mecha­ni­schen Krip­pe, rührt den Mann aus Bad Kohl­grub sicht­bar an, was sei­ne Bild­hau­er­kol­le­gen aus Ober­am­mer­gau vor bei­na­he 100 Jah­ren geschaf­fen haben. Die­se Tie­re, die Prä­zi­si­on – das ist unglaub­lich. Das konn­ten nur zwei.“

Seit­fu­dems Begeis­te­rung ist gren­zen­los, jede Zie­ge, jeder Vogel, jedes Pferd, jedes Kamel begut­ach­tet er genau, Ana­to­mie und Bewe­gung wer­den ana­ly­siert. Am liebs­ten wür­de er wohl eine der klei­nen Tier­plas­ti­ken in die Hand neh­men und über Fell und Gehörn streichen.

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Künstler Hans Joachim Seitfudem beim Spaziergang durch Altötting – hier am Michaelifriedhof vor einer Jesus-Figur von Girlich.

Doch die für den Künst­ler wich­tigs­te Begeg­nung in Alt­öt­ting fin­det auf dem alten Michae­li­f­ried­hof statt. Er gehe ger­ne auf Fried­hö­fe, weil man dort viel über die Men­schen und ihre Orte erfah­re. Ergrif­fen ver­harrt er vor dem Fami­li­en­grab der Gir­lichs. Der alles über­ra­gen­de Tor­so des Ecce Homo“ hat Seit­fu­dem still wer­den las­sen. Die Dar­stel­lung des Dor­nen­ge­krön­ten durch­zieht sein Schaf­fen wie ein roter Faden seit sei­nem Meis­ter­stück vor mehr als einem hal­ben Jahr­hun­dert. Seit­fu­dem nimmt sei­nen blau­en Filz­hut ab. Er scheint ein Gebet zu spre­chen, bekreu­zigt sich und neigt sei­nen Kopf vor der Arbeit des Alt­öt­tin­ger Bildhauerkollegen.

Lei­se sagt er: Das ist ganz groß. Der denkt, wie ich über Chris­tus den­ke. Sein Chris­tus ist so in sich gekehrt, so bei sich, so ruhig wie ich das noch nie gese­hen habe. INRI, König der Juden, ver­höhnt als Mensch, als Idee ewig.“

Man spürt förm­lich, wie er den inne­ren Dia­log mit Gir­lich sucht, den er zu sei­nem Bedau­ern nicht mehr ken­nen­ler­nen kann. Die Begeg­nung der bei­den Künst­ler – was hät­te das für einen Moment in Alt­öt­ting geben können.

Text: Maxi­mi­lia­ne Heigl-Saalfrank

Die Schau Wie der Vater, so der Sohn – Wer­ke aus der Fami­li­en­werk­statt Seit­fu­dem“ wird bis 12. Mai in der Alt­öt­tin­ger Stadt­ga­le­rie zu sehen sein. Sie ist in ein brei­tes Rah­men­pro­gramm ein­ge­bun­den – am 6. und 7. April sind z. B. bei frei­em Ein­tritt Spiel­eta­ge im Forum angesetzt.

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