Ich denke, es ist sinnvoller, Geschichten zu erzählen. Geschichten vom Wahren, Guten und Schönen. Von mutigen Vorbildern, großen Taten, tiefgehenden Erlebnissen. Und doch fällt mir das zunehmend schwerer. An manchen Tagen macht mich die geistige Verrohung in diesem Land fassungslos. Wir haben eigentlich alles und geraten dennoch (oder deswegen?) immer näher an die scharfe Abrisskante über einem Abgrund.
„Die Kultur endet, indem die Barbaren aus ihr ausbrechen.“ Der große österreichische Schriftsteller Karl Kraus hat das vor rund 100 Jahren formuliert. Schauen Sie sich um. Was tun Menschen sich alles an? Sie schrecken vor nichts mehr zurück. Übelste Beleidigungen, Drohungen, Hass, eine vergiftete Gesellschaft. Und den großen Applaus bekommen die Einseitigen, die Groben, die Vulgären, die Exzessiven. Die Trumps, Salvinis, Bolsonaros dieser Welt, die trunken vom eigenen Ego alles Menschliche niederschreien.
Dieses Wortgift breitet sich aus. „Durch einen negativ gefärbten Sprachgebrauch wird die Wahrnehmung verändert und in Folge auch das Verhalten“, sagt die Psychotherapeutin Barbara Lubisch. Das ist nicht etwa eine neue Erkenntnis. Ein 200 Jahre alter englischer Aphorismus mahnt: „Achte auf Deine Gedanken, denn sie werden Worte. Achte auf Deine Worte, denn sie werden Handlungen. Achte auf Deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheiten. Achte auf Deine Gewohnheiten, denn sie werden Dein Charakter. Achte auf Deinen Charakter, denn er wird Dein Schicksal.“
Das Unheil fängt im Kleinen an. Wer Beleidigungen aussät, wer mit Unterstellungen um sich wirft, kleine sprachliche Hiebe unter der Gürtellinie anbringt, Gerüchte und Halbwahrheiten verbreitet, die sprachlichen Grenzen immer wieder ein Stück verschiebt, der nimmt die Radikalisierung des Handelns in Kauf. Der macht sich mitschuldig.
Doch genau so fängt auch das Heil im Kleinen an. Mit jeder Entschuldigung, mit jedem mäßigenden Wort, mit jedem gefundenen Kompromiss, mit jedem Lächeln, mit jeder Ermunterung, mit jeder ausgestreckten Hand wird die Welt wieder ein wenig heller, schöner, menschlicher.
Nein, wir dürfen nicht aufhören, an das Wahre, Gute und Schöne zu glauben. Wir müssen uns mit allem, was wir haben, dafür einsetzen. Als Christen, als Eltern, als Menschen.
Wolfgang Krinninger
Chefredakteur
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