Sein lautes Krähen ist unüberhörbar: der Hahn kündigt den Sonnenaufgang an, den neuen Tag und das Ende der Nacht. Als Symboltier hat er einen Erfolgszug durch die Geschichte der Religionen gemacht, von den alten Persern bis zu den Christen.
Er glänzt in der Sonne und ist schon von Weitem zu sehen: der Hahn, der sich hoch oben auf der Kirchturmspitze im Wind dreht. Aber wie hat er dort eigentlich seinen Platz gefunden? Oder anders gefragt: Was hat der Hahn auf dem Kirchturm verloren? Als Wetterhahn zeigt er an, woher der Wind weht; aber das könnte ein Fähnchen aus Metall genauso gut. Bei Renovierungen, wenn der Hahn nach vielen Jahrzehnten seinen Platz hoch oben für eine Weile räumt, dann zeigen sich oft Einschusslöcher; doch das kann ja schon gar nicht seine eigentliche Aufgabe sein, dass er als Zielscheibe herhalten muss.
Der Hahn auf dem Kirchturm erinnert uns an eine Episode aus der Leidensgeschichte Jesu. Er erinnert uns an einen seiner Jünger, Simon Petrus, der ganz fest zu ihm stehen wollte, der felsenfest jedem Sturm standhalten wollte – und der dann doch, als ihm der Wind ins Gesicht blies, sein Fähnchen in den Wind hing. „Alle werdet ihr mich verlassen“, hatte Jesus angekündigt. „Und ehe der Hahn kräht wirst du, Petrus, dreimal behaupten, dass du mich nicht kennst.“
Petrus hatte Angst, Angst um sein Leben, als er nach seiner Verbindung zu Jesus gefragt wurde, den man gerade verhaftet hatte. Und so wies er es weit von sich, etwas mit ihm zu tun zu haben. Der Hahnenschrei am frühen Morgen öffnete ihm die Augen: er war dem, dem er Treue versprochen hatte, untreu geworden. Zu Überzeugungen zu stehen, auch wenn einem der Wind ins Gesicht bläst, ist nicht immer leicht; zu Menschen zu stehen, die in Not sind und die unsere Solidarität brauchen, fällt uns vor allem dann schwer, wenn es uns selbst etwas kostet. An solche menschliche Schwäche erinnert der Hahn. Aber es ist auch der erste Hahnenschrei, der den neuen Tag begrüßt. Und so steht der Hahn auf dem Kirchturm für einen neuen Anfang nach der Dunkelheit der Nacht. Ganz besonders gilt das für den Ostersonntag, an dem wir den Sieg des Lebens über den Tod feiern.
In den Evangelien hat er eine besondere Rolle: Laut den biblischen Berichten hatte Jesus kurz vor seinem Tod seinem Jünger Petrus prophezeit, dass dieser ihn dreimal verleugnen würde, „ehe der Hahn kräht“ (Mt 26,34). So kam es: Petrus drehte sich aus Angst mit dem Wind – wie heute die Wetterhähne auf den Kirchtürmen.
Doch warum kommt ausgerechnet der Hahn auf die Kirchturmspitze?
Schon in der altpersischen Religionsgemeinschaft der Parsen galt das Tier als Künder der göttlichen Morgenröte. Auch die griechische Mythologie kennt ihn als Boten des anbrechenden Morgens. Historiker sagen uns, dass das früheste Zeugnis für einen Hahn als Wetterfahne auf einem römischen Mausoleum aus dem 2. Jahrhundert nach Christus zu finden gewesen sein soll. Der erste Hinweis auf einen Hahn auf einer christlichen Kirche stammt aus dem 9. Jahrhundert. Im Jahr 820 soll der Bischof von Brescia ihn auf seinem Kirchturm angebracht haben.
Für die Christen war es leicht, die Symbolik des Tieres in ihre Religion zu übertragen: Der Hahn ist der erste, der das Ende der Nacht ankündigt – so wie Jesus Christus die Dunkelheit des Todes besiegt hat. Der Hahn weckt die Menschen aus dem Schlaf, Christus erweckt zum ewigen Leben.
Symbole auf Kirchturmspitzen gibt es ganz unterschiedliche: Kreuze, Sterne, Erdkugeln, steinerne Rosetten oder eben Hähne. Immer wieder heißt es, dass katholische Kirchen an einem Hahn und evangelische an einem Kreuz erkennbar seien – oder umgekehrt. Doch das stimmt nicht. Nur bei Schwänen ist die Zuordnung klar: Sie gelten als Symbol für Martin Luther.
Das Bildmotiv des Schwans führt den Betrachter zurück in die Reformationszeit und darüber hinaus in das Zeitalter der spätmittelalterlichen Kirchenreform. Der Reformator Martin Luther selbst hatte die Anregung dazu gegeben, ihn im Medium Bild mit einem Schwan darzustellen. Denn Luther bezeichnete sich als Schwan, indem er Bezug nahm auf eine Prophezeiung, die der böhmische Reformator Jan Hus (etwa 1370 bis 1415) zu Beginn seiner Gefangenschaft in Konstanz (Ende 1414) getätigt haben soll. 1531 schrieb Luther: „Sankt Johannes Hus hat von mir geweissagt, da er aus dem Gefängnis in Böhmerland schrieb:
Sie werden jetzt eine Gans braten (denn ‚Hus‘ heißt auf Böhmisch ‚Gans‘). Aber nach hundert Jahren werden sie einen Schwan singen hören. Den sollen sie leiden (aushalten müssen). Da soll’s auch bei bleiben, ob Gott will.‘“
Die Symbolkraft des Hahnes hat im Laufe der Zeit nachgelassen. Heute drehen sich die Wetterhähne hoch oben auf Türmen und Dächern zumeist nur noch als Windfahne – und keiner kräht mehr nach ihnen.