
Premiere im Kloster St. Scholastika in Ortenburg: Das Seminar „Gemeinsam statt einsam“ wirft viele Fragen auf, gibt aber auch inspirierende Antworten. Unsere Autorin hat sich auf dieses intensive Erlebnis eingelassen.
Ob allein oder in Beziehungen – immer mehr Menschen fühlen sich einsam und wünschen sich echten Austausch und Zugehörigkeit. Der Vorsteher des Benediktinerklosters Plankstetten, Abt Beda Maria Sonnenberg, erfährt dies häufig von den Gästen, die zu Seminaren und Veranstaltungen ins oberpfälzische Berching kommen. Mit Schwester Cäcilia Keim vom Kloster Neustift in Ortenburg, einer Niederlassung der Benediktinerinnen der Anbetung, ersann er ein Angebot, das jetzt in Niederbayern Premiere hatte. Durch inhaltliche Impulse, Gespräche, Spaziergänge im Klostergarten, gemeinsames Kochen und Singen sowie die Einbindung in das Klosterleben sollten die Teilnehmer neue Impulse bekommen.

Ein Satz aus einem „echten“ Paulus-Brief, wie Abt Beda Maria Sonnenberg sagt, ist mir besonders im Gedächtnis geblieben: „…gerade die schwächer scheinenden Glieder des Leibes sind unentbehrlich…“ (1 Kor 12,12−27). Allerdings nicht, als der Benediktiner das „Bild vom Leib mit seinen verschiedenen Gliedern“ vorliest. Da habe ich innerlich längst abgeschaltet. Dennoch lasse ich mich auf eine neue Erfahrung ein. Wir Teilnehmer am Seminar „Gemeinsam statt einsam“ sollen den Text, jeder für sich, im Rahmen einer „Lectio divina“ (göttlichen Lektüre) aufmerksam lesen. Ich setze mich in meinem Zimmer im Gästehaus in einen Ohrensessel und versuche, innerlich ruhig zu werden. Wie heißt es in der Anleitung, die wir an die Hand bekommen haben: „Dem Lesen geht ein persönliches Gebet voran. Ich bitte Gott, dass er mir die Gnade schenkt, gegenwärtig, präsent zu sein. Er spricht zu mir in meiner persönlichen Situation und weist mir darin den Weg.“
Und da passiert etwas Überraschendes: Obige Passage berührt mich so tief, dass ich prompt zu weinen beginne. Wie sehr ringe und bemühe ich mich darum, so stabil zu werden wie andere, meine vermeintlichen Schwächen, meine hohe Sensibilität, meine Verletzbarkeit, mein verzweifeltes Festhalten an bestimmten Werten, die rundum verloren zu gehen scheinen, wegzudrücken … Sind das intensive innere Erleben, die Fähigkeit, genau hinzuschauen und zuzuhören, nicht vielleicht auch eine Stärke? Sind das nicht Talente, die mir der liebe Gott mitgegeben hat, um etwas daraus zu machen? Ist es nicht das, was gerade mich ausmacht? Könnte ich ohne diese Teile meiner Persönlichkeit mit so viel Herzblut Bücher und journalistische Texte schreiben?

Ein Stück weiter heißt es in dem ersten Brief an die Korinther: „Denen (Gliedern des Leibes), die wir für weniger edel ansehen, erweisen wir umso mehr Ehre …“ Tue ich das – rein körperlich betrachtet? Bin ich dankbar für alles, was funktioniert und regeneriert, oder lege ich den Fokus nur auf Schmerzen und Defizite? Ein gefühltes Aha-Erlebnis!
Die Tage im Kloster bedeuten ein besonders intensives Betrachten des eigenen Inneren, öffnen ein kleines Guckloch in das von anderen und zeigen auf, was letztendlich allen trotz vieler Unterschiede gemeinsam ist. Dabei wird deutlich, dass wir echte Gemeinschaft wohl erst dann leben können, wenn wir uns selbst mit all unseren „Gliedern“ angenommen haben. Die große Frage lautet dabei: Was macht unser Menschsein aus und was verbindet uns mit anderen Menschen, die wir zunächst durch ihr Äußeres vielleicht abwertend in eine Schublade stecken?
Apropos außen: Laudes, Eucharistiefeier, Mittagshore, Vesper – der Tagesablauf im Kloster sieht viel Zeit in der Kirche vor. Und die vielen (hoch)betagten Schwestern, die an Krücken und Rollatoren gehen, sind präsent, wenn es nur irgendwie geht. Mit Anfang 40 ist Schwester Cäcilia die Jüngste hier. 29 Benediktinerinnen der Anbetung leben im Kloster St. Scholastika – eine ganze Reihe ist schon über 90 Jahre alt. Ich bewundere die Disziplin, mit der sie an den täglichen Verpflichtungen teilnehmen, und verspüre einen tiefen Respekt. Immer wieder frage ich mich: Was geschieht, wenn immer mehr Klöster aus Nachwuchsmangel ihre Pforten für immer schließen? Was wird aus all diesen Zentren der Kultur und Religiosität, den wunderbaren geschichtsträchtigen Orten, an denen auch heute noch eine ganz besondere Kraft zu spüren ist? Wer betet für uns und die Welt? Wissen die Menschen eigentlich, welche Schätze der Erkenntnisse und Spiritualität hinter den Klostermauern verborgen sind?

Abt Beda Maria Sonnenberg hat seine persönliche Antwort auf diese Fragen gefunden. Er gehe seinen familien- und partnerlosen Weg in der Klostergemeinschaft „konsequent bis zum Ende“, ohne sich zur Zukunft allzu viele Fragen zu stellen, und ist zutiefst davon überzeugt, „dass es danach weitergeht“.
Doch zurück in das Innen: Wir erforschen mit kleinen Aufgaben, wie es uns gerade geht, was jeder Einzelne von uns braucht, und überlegen uns, wer in unserem gegenwärtigen Leben oder aus unserer Vergangenheit für diese Bedürfnisse stehen könnte. Dabei erkennen wir, dass wir gar nicht so alleine sind, wie wir manchmal meinen. Ich persönlich habe in diesem Seminar jedenfalls viel erfahren, nette Menschen kennengelernt und mich an diesen Tagen weniger einsam gefühlt.
Im August findet das Seminar in der Abtei Plankstetten statt.
Text: Christine Hochreiter